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Korea und die Probleme von Atomkontrolle und Aggressionsverhütung

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Die nachstehenden Ausführungen des bekannten mutigen Verfechters des echten Friedenswillens stellen dessen beachtliche persönliche Meinungen dar, die als Beitrag zu dem brennendsten Thema der Gegenwart angehört zu werden verdient. Das Gewicht scheint uns auf dem Vorschlag der Erstellung einer international gültigen Definition, des Begriffes .Aggression zu liegen! ist diese einwandfreie Feststellung erreichbar, so dürfte der Grund entfallen, die bedenkliche, wenn auch noch so sehr bedingte Zulassung der Atombombe in Erwägung zu ziehen.

.Die österreichische Furche“ Die tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Friedensbewegungen östlicher und westlicher Richtung sind durch den Koreakrieg begreiflicherweise verschärft worden. Zur Präzisierung der beiderseitigen Standpunkte mag der folgende Auszug aus meinem letzten Briefwechsel mit dem österreichischen Friedensrat dienen, an den sich einige grundsätzliche Betrachtungen über das Problem der Aggressionsverhütung anschließen lassen.

In einem am 13. Juli an den österreichischen Friedensrat gerichteten Brief motivierte ich meine Weigerung, die „Stockholmer Deklaration“ zur Ächtung des Atomkrieges zu unterschreiben, damit, daß ich nicht jene Regierung als Kriegsverbrecher ansehe, die zuerst Atombomben verwendet, sondern jene, die überhaupt einen Angriffskrieg entfesselt. (Nebenbei bemerkt hat der schwedische Ministerpräsident Erlander in einer am 17. Juli' veröffentlichten Verlautbarung genau den gleichen Standpunkt vertreten.) Ich wies in meinem Brief auch die Behauptung zurück, daß jene Leute, die ihre Unterschrift verweigern, für den Krieg sind. Im Gegenteil, gerade wer gegen jeden Krieg ist, muß auf dem Standpunkt stehen, daß derjenige, der das Verbrechen einer Aggression begeht, mit der vollen Wucht aller Vergeltungswaffen rechnen soll.

Zur Frage, wer in Korea der Angreifer war, schrieb ich folgendes:

„Wie gewöhnlich beschuldigt jeder Konfliktpartner den anderen der Aggression, und das hat zur Folge, daß die blinden Anhänger jeder der beiden Parteien Stein und Bein darauf schwören, daß die eigenen Waffen nur der Verteidigung dienen. Wer als Naturwissenschaftler gewöhnt ist, überhaupt keiner Autorität zu glauben, wird sein Urteil auf die Erfahrungstatsachen und die daraus gezogenen logischen Schlüsse stützen. Die Tatsachen sind nun Im vorliegenden Fall die folgenden:

1. Zur Zeit der ersten Veröffentlichungen über den koreanischen Konflikt (Rundfunk, Sonntag, 25. Juni mittags, Zeitungen 26. Juni morgens) hatten nordkoreanische Truppen bereits den 38. Breitegrad überschritten.

2. Die ersten in den kommunistischen Zeitungen (26. Juni morgens) ausgegebenen Meldungen besagten, daß in den Morgenstunden des 25. Juni südkoreanische Truppen bis 2 km tief in nordkoreanisches Gebiet eingedrungen seien, worauf nordkoreanische Truppen zum Gegenangriff übergingen und sogleich 5 bis 10 km tief in süd-koreanisdies Gebiet vordrangen.

3. In den zwei Tage später in ostdeutschen Blättern veröffentlichten Auszügen aus einer ausführlichen Darstellung der „Prawda“, in denen von einem vorangegangenen Vordringen der Südkoreaer über die Demarkationslinie überhaupt nicht mehr die Rede ist, wird eine andere Version gegeben, wonach am 23. und 24. Juni südkreanische Artillerie Ortschaften der Volksdemokratie Korea beschossen hätte.

4. Die große, zusammenfassende Darstellung von Ernst Fischer in der kommunistischen „Volksstimme“ vom 2. Juli bringt die Vorgeschichte des Konflikts nur bis zur Rede von John Foster Dulles vom 19. Juni, erwähnt aber von vorangegangenen Kriegshandlungen der Südkoreaner kein Wort mehr.

Soweit die Tatsachen. Jedem kritischen Beobachter muß sich nun die Frage aufdrängen: Warum haben die nordkoreanisdie Regierung und ihre Berater bei einer so todernsten Angelegenheit wie der Entfesselung eines Krieges, deren Schuldfrage nicht einfach durch einseitige Behauptungen, sondern nur durch handgreifliche Beweise geklärt werden kann, es unterlassen, am 23., 24. und 25. Juni (wenn sie wirklich gemäß ihrer Darstellung einer Aggression ausgesetzt waren) die Weltöffentlichkeit zu alarmieren, die Vereinten Nationen anzurufen und den

Tatbestand durch neutrale Beobachter feststellen zu lassen? Einer Macht, die, mit einer großen Invasionsarmee tief im Feindesland stehend, nachträglich mit der Eröffnung kommt, sie sei drei Tage vorher angegriffen worden, glaube ich ebensowenig, wie ich Hitler am 1. September 1939 den ihm aufgezwungenen Krieg glaubte. Wenn eine wohlausgebildete und mit modernen Waffen versehene Armee Hunderte von Quadratkilometern fremden Gebietes erobert und annektiert, so ist das wohl mit Fug und Recht als eine Aggression zu betrachten.

Ich will gar nicht auf die Frage eingehen, ob das Regime im Norden oder im Süden Koreas das schlechtere war. Es mag ohne weiteres möglich sein, daß das südkoreanische Regime schlecht war. Aber wo kämen wir hin, wenn die Nachbarn jedes schlecht regierten Landes anfingen, mit diesem Land Krieg zu führen?

Ich lasse audi das Argument nicht gelten, daß es sich in Korea nicht um einen Krieg, sondern um eine interne Angelegenheit handle. Lassen wir diese Argumentation zu, dann werden eines schönen Tages zehn motorisierte und zehn Infanteriedivisonen der deutschen Ostpolizei mit Panzern und mit schweren Geschützen von der Elbe bis zum Rhein vordringen, und das Garze wird den Titel tragen: .Säuberung Deutschlands von den Lakaien der Bourgeoisie'.“ Dieser Brief, dessen wesentlicher Inhalt hier auszugsweise wiedergegeben ist, bewog den „österreichischen

Friedensrat', ein Kommunique herauszugeben, in dem es heißt:

„Prof. Thirring lehnt es nicht nur ab, den Stockholmer Aufruf gegen die Atombombe persönlich zu unterschreiben, er billigt in seinem Brief, im Gegensatz zum geltenden Völkerrecht, ausdrücklich die Anwendung .aller Vergeltungswaffen', also auch der Atomwaffe, gegen eine Aggression.

Während die 200 Millionen Menschen, die den Stockholmer Aufruf unterzeichnet haben, darin einig sind, daß in jedem bewaffneten Konflikt Atomwaffen und andere Massenvernichtungsmittel verboten werden sollen, billigt Prof. Thirring jedem Lande, das sich aus eigener Machtvollkommenheit als angegriffen hinstellt, den Einsatz der Atomwaffe zu.

So sehr im Rahmen der Friedensbewegung jede ideologische und politische Meinungsverschiedenheit möglich ist, hat sich Prof. Thirring in der wichtigsten Frage der Friedensbewegung, nämlich in der Frage der Ächtung der Atombombe, selbst von der Friedensbewegung getrennt.'

Es wäre unangebracht gewesen, den vorliegenden Disput vor die Öffentlichkeit zu bringen, wenn nicht dabei e i n völkerrechtliches Problem größter Tragweite aufgeworfen würde. Der mir vom Friedensrat gemachte Vorwurf, daß ich im Gegensatz zum geltenden Völkerrecht die Anwendung „aller Vergeltungswaffen“ gegen eine Aggression zubillige, trifft formal-juridisch zu. Aber wir dürfen nicht übersehen, daß das geltende Völkerrecht heute praktisch schon unbrauchbar geworden ist und dringend einer Erneuerung bedarf. In beiden Weltkriegen sind von beiden Seiten her im Kampf gegen die Zivilbevölkerung gröbliche Verletzungen des Völkerrechtes begangen worden, und es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß ein allfälliger dritter Weltkrieg in ein überdimensionales catch-as-catch-can-Ringen mit rücksichtloser Zerstörung Europas ausarten würde. Im Atomzeitalter muß damit gerechnet werden, daß die von der Humanität gesetzten Hemmungen der Reihe nach fallen werden, sobald einmal der Hauptdamm birst, der die Trennungslinie zwischen Krieg und Frieden bildet. Von der Erhaltung dieses Hauptdammes hängt daher unser aller Leben und die Existenz kommender Generationen ab, daher müßten die völkerrechtlichen Bestimmungen vor allem und mit größtem Nachdruck darauf gerichtet sein, Aggressionskriege zu verhüten und unter wirksame Sanktionen zu stellen.

Noch im 19. Jahrhundert war das ganz anders; damals galt das Kriegführen als ein erlaubtes und ritterliches Spiel mit genau festgelegten Spielregeln, die im großen und ganzen auch eingehalten wurden, wenn zwei Nachbarvölker mit klingendem Spiel zum Waffentanz schritten. Erst im 20. Jahrhundert beginnt sich die Auffassung durchzusetzen, daß Angriffskriege Verbrechen sind, und im Nürnberger Prozeß hat man damit den Anfang gemacht, die Planung und Anstiftung von Aggressionen auch wirklich zu ahnden.

Aber viel wichtiger als die nachträgliche Bestrafung der Übeltäter am bitteren Ende der“ Katastrophe wäre die rechtzeitige Verhütung der Aggression beziehungsweise die sofortige Löschung des Brandes durch Verhängung von Sanktionen und durch kollektives Einschreiten der Mitgliedstaaten der UN. Die Praxis der Weltpolitik beginnt sich auch bereits — allerdings sehr zögernd und allmählich — gerade in dieser Richtung zu entwickeln. Beim Überfall Mussolinis auf Abessinien hatte man sich auf schwächliche Ansätze von Sanktionen beschränkt, die den Verlauf des Eroberungszuges kaum merklich beeinflußten; der Überfall Hitlers auf Polen zog schon die Kriegserklärung Großbritanniens und Frankreichs nach sich, während auf die koreanische Aggression heute schon die Mehrheit der Mitgliedstaaten der UN reagiert.

Hinter dieser praktischen Entwicklung hinkt nun die völkerrechtliche Jurisdiktion noch immer nach. Was uns fehlt, ist eine universelle Gesetzgebung, die nicht nur Aggressionen untersagt, sondern vor allem in klarer und auch dem Laien verständlicher Sprache definiert, was eine Aggression ist, die ferner eine internationale Kontrolle zur Feststellung des allfälligen Tatbestandes einer Aggression einrichtet und die schließlich Sanktionen gegen den Aggressor und die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der UN zum Einschreiten gegen den Aggressor festlegt.

Wie ich an verschiedenen Stellen meiner Schriften wiederholt darlegte, war eine Konvention zur Ächtung von Aggressionskriegen radikaler und wirksamer als eine Konvention zur Ächtung der Atomwaffen, und sie wäre dabei auch viel eher allgemein akzeptabel, weil jede Regierung sich viel leichter dazu verpflichten kann, von einer Aggression Abstand zu nehmen, als im Falle der Notwehr und des Existenzkampfes auf die Verwendung der weitaus stärksten Waffe zu verzichten.

Ein gegen diesen Vorschlag immer wieder vorgebrachter Einwand gipfelt in der Behauptung, daß mit oder ohne Definition doch immer jeder Angreifer den Gegner der Aggression beschuldigen wird und daß am Schluß der Sieger, ganz gleich, ob er nun Aggressor war oder nicht, straffrei ausgehen wird. Dieser Einwand wurzelt noch in der Dschungelmoral, die das Völkerrecht von gestern auszeichnet, er wird aber hinfällig, sobald der in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Gedanke der kollektiven Sicherheit und eines internationalen Verantwortungsgefühls allmählich mehr an Boden gewinnt. Denn ein mit Eroberungsgedanken liebäugelnder Staatsmann wird dann nicht mehr so wie einst Hitler zuversichtlich sagen können, „den Sieger wird nachträglich niemand fragen, ob er gelogen hat oder nicht“, sondern er wird damit rechnen müssen, daß sich die Welt gegen ihn erhebt und daß er allfällige Eroberungen mit der Zerstörung seiner eigenen Städte allzu teuer wird bezahlen müssen. Gerade der Fall von Korea ist ein schlagendes Beispiel dafür, daß die Ausrede, der andere hätte zuerst losgeschlagen, nicht verfängt. Denn unter den 52 Nationen, die sich der Verurteilung Nordkoreas durch den Weltsicherheitsrat angeschlossen haben, gibt es eine Reihe von solchen, wie zum Beispiel Indien, von denen man ganz und gar nicht behaupten kann, sie seien am Gängelband der Westmächte. Auch aus der Art und Weise, wie einzelne Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Trygve Lie, Pandit Nehm oder andere Freiheitskämpfer, die sich dauernd um eine Verständigung mit der Sowjetunion bemühen, auf den Fall Korea reagieren, erkennt man deutlich, daß dem gesunden Rechtsempfinden der Menschen gegenüber dieTatsache einer wirklichen Aggression schwerlich verschleiert werden kann. Speziell im Falle Korea liegen ja zwei Indizien von genügender Beweiskraft vor: 1. Die verabsäumte Anrufung der Weltöffentlichkeit und der Vereinten Nationen und das verabsäumte Verlangen einer neutralen Untersuchung nach dem angeblichen Uberfall durch den Gegner und vor überschreiten der eigenen Gebietsgrenzen. 2. Der rasche Eroberungsfeldzug in Südkorea, der nur auf Grund eines wohl-. ausgearbeiteten Feldzugsplans und nach entsprechender Mobilisierung und Kriegsvorbereitung möglich war.

Alle konkreten Fälle in den letzten zwei Jahrzehnten: die Überfälle Japans auf China, Mussolinis auf Abessinien, Hitlers auf seine Nachbarn, Japans auf Pearl Harbour und Nordkoreas auf Südkorea sind solche, bei denen über die Frage, wer der Angreifer war, kein Zweifel bestehen kann, ja kaum innerhalb der Mehrzahl der eigenen Landsleute des Angreifers bestanden hatte. Ich halte es daher für falsch, die Definition und Ächtung des Aggressionskrieges mit der Begründung abzulehnen, daß der Aggressor sich doch nicht an das Gesetz halten wird. Denn auch die Tatsache, daß der Mörder sich nicht um das Gesetz schert, hindert nicht, daß man gesetzlich festlegt, was als Mord zy betrachten ist, und daß man auf die Ausführung solcher Handlungen entsprechende Strafen verhängt.

Wenn ein internationales Verantwortungsbewußtsein und dazu ein Grundgesetz des Völkerrechtes, das Aggressionen eindeutig definiert und unter Strafsanktion stellt, schon früher bestanden hätte und in allen zivilisierten Ländern zum ABC des Rechtsqefühls Gemacht worden wäre, dann hätten wir uns beide Weltkriege ersparen können. Ich wiederhole noch einmal die drei Bedingungen, die dazu notwendig sind: 1. Eine eindeutige und allgemein verständliche Definition der Aggression, die den jungen Menschen aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen schon im Schulalter eingeprägt wird. 2. Einrichtung von internationalen fliegenden Kommissionen, die in jedem Lande der Welt binnen 24 Stunden den Tatbestand einer Aggression feststellen können.

3. Mobilisierung der Mehrheit der Welt gegen eine einwandfrei erwiesene Aggression, Verhängung der schwersten Sanktionen gegen die Angreifernation und persönliche Haftbarmachung ihrer verantwortlichen Staatsmänner.

Eine Ergänzung der Charta der Vereinten Nationen in diesem Sinne kann gemäß Artikel 109 der Verfassung der UN auf Grund eines Votums von zwei Dritteln der Mitgliedstaaten und von sieben Mitgliedern des Weltsicherheitsrates durchgeführt werden.

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