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Mit oder unter Amerika?

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MAXIMILIAN BENDA: „Herr Präsident, Sie werden in der Öffentlichkeit oft als der eigentliche Sieger über den Aufstand der Geheimarmee OAS bezeichnet. Trifft nach Ihrer eigenen Meinung diese Bezeichnung zu?”

ALEXANDRE SANGUINETTI: „Die mir seinerzeit übertragene Mission beim Innenminister räumte mir als Koordinator der Polizeikräfte weitgehende Vollmachten ein. Der schließliche Erfolg ist vielleicht mehr der Position als meiner Person zu danken. Im übrigen möchte ich mich auf eine Episode Joffres berufen, der im Meinungsstreit über den eigentlichen Sieger in der Marneschlacht einmal etwa folgendes gesagt hat: ,Ob ich der eigentliche Sieger der Marneschlacht war, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich mit Sicherheit: Wäre die Marneschlacht von uns verloren worden, so wäre ich der Verantwortliche für die Niederlage gewesen1.”

B.: „Die gegenwärtige Planungsund Wirtschaftspolitik Frankreichs begegnet in Ihrem Land vielen Kritiken. Den Erfolgsaussichten des Stabilisierungsplanes wird weitgehend Skepsis entgegengebracht.”

S.: „Unsere Liberalen und Unabhängigen laufen einer Illusion nach, wenn sie — in absoluter Verkennung neuzeitlicher Gegebenheiten — die Rückkehr zu veralteten, konservativen Methoden empfehlen. Paul Reynaud und seine Anhänger können es General de Gaulle nicht verzeihen, aus einer Grunderkenntnis die Folgerungen zu ziehen — aus der Erkenntnis nämlich, daß der Lohn- und Gehaltsempfänger zahlen- und machtmäßig zur vorherrschenden Gesellschaftsschicht geworden ist. Die gesellschaftliche Entwicklung vollzieht sich horizontal. Die vertikalen Differenzen sind in ständigem Abbau begriffen. Kurz gesagt: Der treibende politische Faktor der Vergangenheit, das sozial-gesellschaftliche Element, ist fast verschwunden. In Frankreich spielen die politischen Parteien und Gruppierungen aus dem 19. Jahrhundert nur noch eine Rolle als lokale Elemente: das gilt sowohl für die Sozialisten als auch für Radikale, für Volksrepublikaner als auch für die Unabhängigen. Auf nationaler Ebene stehen nur noch zwei Parteien einander gegenüber: Das sind die Gaullisten und die Kommunisten. Für die Zukunft ergibt sich also allein die Möglichkeit, daß Frankreich gaullistisch bleibt oder kommunistisch wird — es sei denn, daß beide von einer neuen, dritten Macht abgelöst werden ..

B.: „Erlauben Sie mir, bitte, Herr Präsident, noch einmal zur Außenpolitik zurückzukehren. Ein weiterer Vorwurf, den Paul Reynaud und andere ‘ prominente ‘ Nichtgaullisten deni Generäl machen, ist, daß er mit der Entfernung” Frankreichs von den USA auch ganz Europa aus der Solidarität mit Washington herauslösen wolle. Wie stehen Sie dazu?”

S.: „Es scheint mir, daß diese Kritiker ein wesentliches Phänomen übersehen: sie machen sich nicht klar, daß die Amerikaner gar nicht global, gar nicht weltpolitisch, sondern absolut provinziell denken. Wie kann bei Vorherrschen derartiger Mentalität eine wirkliche, dem gesamten Westen zugute kommende Weltpolitik erwartet werden? General de Gaulle dagegen denkt nicht provinziell oder nationalistisch. Ihm schwebt eine .große Politik” vor. Das ist etwas ganz anderes als eine .Politik der Größe’, die ihm seine Gegner in polemischer Absicht vorwerfen zu können glauben.” B.: „In Frankreich wird oft die Befürchtung geäußert, daß sich Amerika anschicke, die europäische Wirtschaft zu kolonisieren. Sehen Sie — falls wir diese Gefahr als wirklich gegeben unterstellen b— Möglichkeiten für Europa, sich der kapitalsmäßigen Überfremdung aus Übersee zu widersetzen?”

S.: „Es gibt meines Erachtens nur einen Weg, um dieser Tendenz zu begegnen: Das ist der Zusammenschluß der europäischen Industrien zu einem einheitlichen Faktor. Wird dieser Weg des europäischen Zusammenschlusses nicht beschritten, so besteht die große Gefahr eines Widerstandsreflexes durch Verstaatlichung. Das wäre natürlich eine Ultima ratio, die ich mir keineswegs wünsche.”

B.: „Herr Präsident, viele meiner Gesprächspartner — an ihrer Spitze wieder der „great old man” Frankreichs, Paul Reynaud — äußerten ihre ernsten Besorgnisse gegenüber der NATO-Politik des Generals de Gaulle, der aus seiner Feindschaft gegenüber der Atlantischen Allianz kein Geheimnis macht. Sie fragen sich, ob der Staatschef die Absicht habe, zu den Allianzverträgen früherer Prägung zurückzukehren. Welchen Weg wird die französische Staatsführung nach Ihrer Meinung einschlagen?”

S.: „Sie werden mir zugeben, daß die NATO in ihrem zur Zeit bestehenden Aufbau und ihrem gegenwärtigen Sinn überholt ist. Die Gründe, die 1949 zur Realisierung der Atlantischen Allianz führten, existieren heute nicht mehr. Deshalb

Ist es angezeigt, das Problem der Allianz einer Überprüfung zu unterziehen. Frankreich schwebt heute ein politisches und militärisches Übereinkommen unter Europäern vor. Erst nach Realisierung dieses Akkords erscheint eine Allianz mit den USA denkbar und zweckmäßig, und zwar auf der Basis der absoluten Gleichberechtigung. Aus der Sicht der gegenwärtigen Verhältnisse bleibe ich nach wie vor skeptisch, daß die Amerikaner im Fall der Gefahr eines totalen nuklearen Krieges für ihr eigenes Territorium auch bereit wären, die in Europa übernommenen Verpflichtungen in vollem Umfang zu erfüllen. Die USA sind wohl bei weitem größer als wir, aber unsere Solidarität im Kriegsfall ist sicherer. Wir können es uns nicht leisten, abzuwarten, bis die angreifende Sowjetarmee am Rhein steht; denn wir würden Selbstmord begehen, wenn wir nicht mit allen unseren Streitkräften einem bedrohten Deutschland zu Hilfe eilen würden. Auf einen Nenner gebracht, läßt sich unser Standpunkt wie folgt formulieren; Wir weigern uns, die Rolle eines bloßen Ergänzungs- faktors für die Verteidigung dessen, was uns gehört, zu spielen. Wir halten es für angezeigt, daß die Verteidigung Europas von Europäern übernommen wird — nötigenfalls unter Mitwirkung der USA.”

B.: „Vor kurzem sind Sie von General de Gaulle ins Elysėe gebeten worden. Können Sie mir sagen, was der Staatschef mit Ihnen besprochen hat? Sie hatten mir vor einigen Wochen mitgeteilt, daß sich der General in einem Brief zustimmend zu Ihren Thesen bezüglich der nationalen französischen Atomwaffe geäußert hat, die Sie in Ihrem Buch ,La Ftance et Varme atomi que entwickelt haben. Ich möchte meine Frage nun dahin präzisieren: Hat der Staatschef Ihre Ansichten en bloc akzeptiert? Würden Sie auch heute an Ihrem im Jänner erschienenen Buch nichts ändern?”

S.: „Ich würde auch heute keine Zeile ändern. General de Gaulle sprach mir hinsichtlich der Generallinie meiner Abhandlung sein volles Einverständnis aus. Lediglich in einem Punkt teilte er nicht meine Meinung; und zwar in der Frage der allgemeinen Wehrpflicht. Wie Sie wissen, habe ich in meinem Buch die Überzeugung ausgesprochen, daß im atomaren Zeitalter die allgemeine Wehrpflicht keine wirkliche Bedeutung habe und allein als ein .Bequemlichkeitselement anzusehen sei. In meinen Augen ist sie mehr eine sentimentale Erinnerung an zwei Weltkriege. Der Widerspruch des Generals de Gaulle in unserem kürzlichen Gespräch betraf nicht den militärischen Wert oder Unwert der allgemeinen Wehrpflicht; er verteidigte nur ihre Existenz unter Berufung auf alte Traditionen und Gewohnheiten.”

B.: „In vielen politischen Kreisen Frankreichs haben der Besuch Chruschtschows bei Nasser und die demonstrativen Solidaritätsbekundungen zwischen Chruschtschow tmd Benbella starkes Unbehagen ausgelöst. Ein sehr bekannter Diplomat hat sogar von einer systematischen Einkreisung Frankreichs gesprochen und Algerien als das bezeichnet, was für die Amerikaner Kuba sei. Kann Frankreichs weitere Passivität angesichts dieser Entwicklung verantwortet werden?”

S.: „Man sollte die praktische Bedeutung der Hilfe Moskaus für Algerien nicht überschätzen. Eine Gefahr wäre es freilich, wenn in Nordafrika nicht Araber, sondern gelbrassige Menschen leben würden. Was nützen schon den Algeriern 150 schwere Panzer, die ihnen die Sowjets liefern wollen, wenn sie nicht über Fachkräfte verfügen, diese Kampfmittel zu unterhalten und zu reparieren? Ich habe lange genug in arabischen Ländern gelebt, um mir ein objektives Urteil über den militärischen Wert der Araber zu machen. Er ist in einem klassischen Krieg bei Einsatz einer westlichen Armee gleich Null.”

B.: „Und was halten Sie vom militärischen Wert des schwarzen Bevölkerungsteiles Afrikas?”

S.: „Ebenso wenig wie von den Arabern. Auch unter chinesischer Führung würden die Neger ein passives Element bleiben.”

B.: „Wie beurteilen Sie den Faktor China? Paul Reynaud glaubt, daß Peking in relativ naher Zukunft über die Atombombe verfügen wird. Er sieht voraus, daß sich die Russen um die Bildung eines weißrassigen

Abwehrblockes bemühen würden, auch wenn die Gefahr eines atomaren Angriffs der Sowjetunion durch die Chinesen erst in etwa 25 Jahren akut werden würde…”

S.: „Es wird niemand ernsthaft in Abrede stellen können, daß Sibirien einen natürlichen Lebensraum für die chinesischen Menschenmassen bildet. Bis zu einer direkten Bedrohung der Sowjets durch China wird aber noch eine geraume Zeit vergehen. Ich stelle nicht in Abrede, daß die ,Gelbe Gefahr eines Tages akut werden kann, ich lehne es aber ab, diese Perspektive zum Vorwand einer Erhaltung der beiden Europa in der Abhängigkeit der beiden gegenwärtigen Riesen zu nehmen.”

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