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De Gaulle hat zu oft recht

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Als vor einigen Wochen Paris in einen Goldrausch taumelte und das westliche Währungssystem zutiefst erschüttert wurde, konnte man von zahlreichen Franzosen die etwas nachdenkliche Feststellung hören: „Hat der Alte wieder einmal recht?”

Mit diesem schmückenden Beiwort versieht die öffentliche Meinung manchmal ihren Staatschef, der seit Jahren als internationale Kassandra auftritt- Seine Prophezeiungen werden zuerst verhöhnt, dann außergewöhnlich kritisch analysiert und zum Schluß wird die Folgerung gezogen: .„Stimmt es gar, was er sagt?”

Dasselbe Schauspiel wiederholte sich in den Tagen, als der amerikanische Präsident Johnson den Frieden in Vietnam anbot. Nachdem die erste Überraschung vergangen war, tauchte wieder der stereotype Satz auf: „Unser de Gaulle hat das schon lange vorausgesehen.”

Hellseher?

Ist der französische Staatschef wirklich ein Hellseher, der gewisse Ereignisse der Weltpolitik richtig zu deuten versteht, während sie für den normalen Staatsmann unverständlich und dunkel erscheinen? Ein besonderer Kenner der französischen Innenpolitik meinte kürzlich im Freundeskreis: „General de Gaulle mag auf viele unsympathisch wirken, sein Stil wirkt lehrmeisterlich und überheblich. Aber verwendet man seinen Lieblingsausdruck ,Man müsse den Dingen auf den Grund gehen”, so zeigt sich, daß er von allen lebenden Persönlichkeiten am ehesten die Zusammenhänge erkennt und sie in ein System einordnet.

Niemals noch hat ein Politiker solche Fähigkeiten bewiesen, die Probleme zu vereinfachen und das auszusprechen, was die meisten nicht einmal in ihrem Unterbewußtsein denken.”

Einem langjährigen französischen Indochinakämpfer wurde kürzlich die Frage gestellt: „Denken Sie, daß die USA-Truppen in Indochina einen Sieg davontragen können?” Der Angesprochene gab, ohne viel zu denken, sein Urteil ab: „Nach meinen Erfahrungen ist das vollkommen ausgeschlossen. Eine moderne westliche Armee ist der revolutionären Kriegsführung Vietnams niemals gewachsen. Die Amerikaner können höchstens das ganze Gebiet in eine Atcwnwüste verwandeln oder sich sofort zurückziehen.”

Ähnliche Überlegungen mögen General de Gaulle bewegt haben, als er im September 1966 in Kambodscha die Amerikaner aufforderte, umgehende Friedensverhandlungen einzuleiten.

Titoismus in China und Vietnam?

Es taucht natürlich die Frage auf, ob mit einem Abzug der Amerikaner aus Indochina der Sperriegel Südostasiens nicht restlos von den Kommunisten beherrscht wird. General de Gaulle und seine Umgebung vertreten jedoch die Ansicht, daß der Nordvietnamese Ho Tschi-minh nicht als blinder Parteigänger Moskaus oder Pekings anzusehen sei, sondern eher als Vertreter einer Richtung, die seit Tito eine sozialistische Wirtschaftsordnung mit nationalen Wünschen zu vereinigen sucht.

General de Gaulle ist der Meinung, daß auch ein vereinigtes Vietnam pednldchst eine Distanz zu den kommunistischen Weltmächten ein- halten wird. Er schlug daher eine Neutralisierung dieses Teiles Südostasiens vor, und falls wirklich internationale Verhandlungen einen befriedigenden Abschluß bringen sollten, werden sie kaum von den Vorstellungen General de Gaulles abweichen. In diesem Zusammenhanf wird auch die gaullistische Außenpolitik gegenüber dem kommunistischen China deutlicher. Ein Friedensvertrag in Vietnam, ohne Zustimmung Pekings, ist einfach eine Illusion. Es wäre besser, ein 700-Mil- lionen-Volk in eine internationale Friedensordnung einzubauen, als e: durch die verlängerte Quarantäne zi kriegerischen Abenteuern zu verleiten.

Seit drei Jahren verurteilte General de Gaulle das bestehende internationale Währungssystem und sagte eine Krise der beiden Reservewährungen — Pfund und Dollar — voraus.

Seine diesbezüglichen Hinweise wurden von den internationalen Finanzleuten mit einem Achselzuk- ken abgetan. Der General verstehe wohl etwas von Politik, aber nichts von der Intendanz, wie Währungsfragen, Dollarreserven und Kennedy-Round. Mögen auch manche Vorstellungen des Gaullismus auf diesem Gebiet mit zu großen Illusionen behaftet, die absolute Intransi- genz, mit der Finanzminister Debrė die französischen Thesen in Stockholm vertrat, zu bedauern sein, gewisse grundsätzliche Ansichten de Gaulles verdienen ebenfalls größere Aufmerksamkeit.

Als de Gaulle bereits 1959 die Oder-Neiße-Grenze als verbindlich für Frankreich und Europa anerkannte, erhob sieh ein gewaltiges Geschrei in der Bundesrepublik, das von einem französischen Verrat sprach.

Die Staatsmänner aus Bonn waren lange Zeit nicht geneigt, den Ratschlägen aus Paris zu folgen, besonders Außenminister Schröder sah in de Gaulle den unbequemen Warner, der kaum im gleichen Ausmaß wie die USA bereit war, den deutschen Forderungen gerecht zu werden.

Als der jetzige Herr der Koblenzer Straße, Willy Brandt, am Parteitag der SPD in Nürnberg in versteckter Form von einer Anerkennung der Oder-Neiße-Linie sprach, bestätigte er nur die hartnäckig vorgetragene Meinung de Gaulles, daß eine konstruktive Friedensordnung in Europa mit Einschluß der sozialistischen Staaten nur dann möglich ist, wenn Deutschland die durch den zweiten Weltkrieg erfolgte Verschiebung der Grenzen in Europa ohne Hintergedanken akzeptiert.

EWG und Landwirtschaft

De Gaulle hat zweimal in der EWG schwere Krisen hervorgerufen, weil er auf eine Abrundung des Gemeinsamen Marktes im Sektor der Landwirtschaft drängte. Es ist nach seiner Meinung unvorstellbar, daß der Gemeinsame Markt für Industriegüter gedacht sei. Er solle auch auf dem Gebiete der Landwirtschaft eine Bestätigung finden. Die europäische Landwirtschaft sucht neue Strukturen. Die bisherigen Teillösungen, von einem oft konservativen Geist inspiriert, können die Bedingungen der europäischen Landwirtschaft in keiner Weise ändern. Hier muß wirklich der Erfindergeist und die finanzielle Macht von 200 Millionen Menschen eingesetzt werden, um der europäischen Überproduktion Herr zu werden.

Schließlich sei auf seinen Ruf „Es lebe das frei Quebec” hingewiesen:

Der General wollte damit auf das Recht jeder nationalen Minderheit hinweisen, seine sprachliche und kulturelle Eigenheit zu bewahren und zu entwickeln.

Betrachten wir also in dieser Zusammenfassung die Enunziationen des Staatschefs, so dürfen wir immerhin festhalten, daß einige seiner Erkenntnisse den Ereignissen vor- ausedlten, sie schließlich bestätigten und den Wert einer historischen Aussage erreichten.

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