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Zweimal de Gaulle

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Wer die erste Rede des Generals nach den Ereignissen, die Frankreich und die Welt erschütterten, anhörte, hatte den Eindruck eines müden Greises, der nur zu gerne bereit wäre, unter ehrenvollen Umständen zu resignieren und das Feld zu räumen. Die zweite Rede des Generals, in der er das Referendum absagte und dafür Neuwahlen für das Parlament ankündigte, zeigte einen ganz anderen General oder richtiger den alten de Gaulle. Einen General de Gaulle, der den Kampf wiederaufnahm. So mancher, der diese Rede hörte oder sie im Fernsehen sah, wird sich an die erste Rede erinnert haben, die de Gaulle im Sommer 1940 nach dem Zusammenbruch Frankreichs im Londoner BBC hielt. Die damalige Situation war der heutigen nicht unähnlich, wenn auch die jetzige einige wesentliche Verbesserungen aufweist. 1940 befand sich das Land in Händen, die nicht diejenigen des Generals waren. Auch damals war Frankreich zusammengebrochen, es hatte keine Armee mehr, keine Goldreserven. Das offizielle Frankreich, soweit es noch bestand, stellte sich gegen de Gaulle. Die einzige Unterstützung, die der General damals genoß, war die Bundesgenoissenschaft Winston Churchills.

Die jetzige-Situation, der sich der General gegenübersieht, ist ähnlich dieser Situation vom Sommer 1940. Allerdings, wie schon gesagt, mit einigen Verbesserungen. Das Parlament votierte, wenn auch nur mit einer geringen Mehrheit, für den General. Wenn auch behauptet wurde, daß dieses Parlament bereits im luftleeren Raum agitiere, so darf die Basis der Legalität, die es dem General verleiht, doch nicht unterschätzt werden. Der General hat scheinbar Rußland auf seiner Seite, das die Machenschaften der französischen KP nur mit scheelem Auge betrachtet. Er hat scheinbar auch die Armee hinter sich, die in all den Auseinandersetzungen der letzten Wochen sich im Hintergrund gehalten hat. Und er hat sichtlich auch die französischen Frauen hinter sich, die es satt haben, daß die täglichen Dinge des Haushaltes nicht funktionieren.

Von Bismark wurde einmal behauptet, er habe Deutschland groß und die Deutschen klein gemacht. Im bezug auf Frankreich kann etwas ähnliches von allen seinen autokratischen Herrschern einschließlich de Gaulle gesagt werden. Alle diese autokratischen Herrscher hatten immer nur die Größe Frankreichs, die Größe der Nation vor Augen und dachten nicht an den einzelnen

Franzosen, der dabei nur zu oft unter die Räder kam. Das Regime de Gaulles hat außerordentlich viel für Frankreich geleistet. Aber der einzelne Franzose mußte für die Größe der Nation nur zu oft vegetieren. Der Aufstand gegen de Gaulle hat vielfach die gleichen Wurzeln, wie sie die Aufstände gegen die Bourbonen und gegen den ersten und gegen den dritten Napoleon zeigen: Die Franzosen möchten nicht nur die Größe ihrer Nation, sie möchten daneben auch ein eigenes menschliches Leben führen können. Als Napoleon I. aus Elba zurückkehrte, begriff er die Fehler, die er gemacht hatte, und war bereit, nicht nur für Frankreichs Größe zu wirken, sondern jeden» Franzosen sein eigenes gutes Leben zu garantieren. Die Alliierten ließen ihm keine Zeit, und iso führte sein Weg nach Waterloo und schließlich nach St. Helena. Ähnlich wie Napoleon scheint auch de Gaulle begriffen zu haben, daß man auf die Franzosen nicht vergessen darf, wenn man für die Größe des Landes kämpft. Die Verhandlungen der Regierung mit den Gewerkschaften sind ein deutlicher Beweis dafür.

Die Helden in Frankreich scheinen müde geworden zu sein. Ein Generalstreik, der nicht innerhalb 48 Stunden sehr greifbare Erfolge für die Streikenden bringt, ist zwar noch nicht verloren, geht aber sicherlich schon remis aus. Ein Generalstreik, der länger wie 48 Stunden dauert, schädigt nicht nur die Wirtschaft eines Landes enorm, sondern auch die Streikenden. Die Streikfonds schmelzen dahin, die Banken, die sie bewahren, zittern um ihre Liquidität. Zum Schluß hat jeder der streitenden Teile nur noch den einen Wunsch, aus diesem Chaos herauszukommen und seine Position etwas zu verbessern. Wenn eine Einigung der französischen Regierang mit den Gewerkschaften erfolgt, und sie wird erfolgen, da sowohl die Wirtschaft wie die Arbeiter daran interessiert sind, dann werden die Studenten und die wenigen anderen Berufsrevolutionäre bald allein stehen. Und der Sieg des Generals wird zwar knapp, aber doch höchstwahrscheinlich unaufhaltbar sein. Vielleicht wäre dies alles vermeidbar gewesen, wenn ein alter und erfolgreicher Staatsmann manchmal nicht nur an die Größe der Nation, sondern auch daran gedacht hätte, daß Jeder seiner Landsleute ein lebenswertes Leben führen möchte.

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