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De Gaulles Umwege

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Mit welchen Gefühlen mag Generäl de Gaulle in der Einsamkeit von Colombey-les-deux-Eglises die Ereignisse der EWG-Konferenz von Den Haag beurteilen? Haben nicht Pompidou und die nach ihm benannte Partei sein Denken verfälscht, die Prinzipien der Außenpolitik umgebogen und einen jahrzehntealten Kamf verraten? Man darf vermuten, daß der General im stillen den ?ur Macht gelangten Dauphin verurteilt. Aber niemand, wir betonen: niemand darf für sich das Privilegium in Anspruch nehmen, den Willen des Generals zu interpretieren oder als offizieller Sprecher aufzutreten.

Ende November feierte General de Gaulle seinen 79. Geburtstag. Am

29. und 30. November organisierte die gaullistische Sammelpartei UDR in Montpellier einen Kongreß ihres Nationalrates. Diese Daten veranlassen zu einer Betrachtung über das Weiterbestehen der gaullistischen Partei, verbunden mit der Frage, ob de Gaulle nach wie vor eine Alternative zum Regime Pompidou darstellt. Falls keine nationale Katastrophe eintritt, beispielsweise ein Generalstreik mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen oder ernste Kriegsdrohungen. darf mit Fug und Recht angenommen werden, daß General de Gaulle mit dem 27. April 1969 seine nationale Mission für vollendet ansieht. Selbst seine treuesten Anhänger glauben nicht mehr, daß ihr Herr und Meister, wie einstens der selige Barbarossa, auf die Stunde wartet, wiedergerufen zu werden.

In strengem Exil Seit der Demission und dem Aufenthalt in Irland zwischen dem 10. Mai und dem 19. Juni 1969 hat General de Gaulle so gut wie niemals Colombey-les-deux-Eglises verlassen. Ein einziges Mal wagte er am 11. November (französischer Nationalfeiertag) einen Ausflug nach Metz und ließ sein Auto vor dem Hause anhalten, in dem er während des ersten Weltkrieges Quartier bezogen hatte. Allerdings verließ er den Wagen nicht einen Augenblick.

Kein Politiker, mit Ausnahme des Ministerpräsidenten a. D. Couve de Murville und des Exarmeeministers und jetzigen Abgeordneten Mess- mer, darf sich rühmen, nach dem 27. April 1969 vom ehemaligen Staatschef empfangen worden zu sein. Zu Beginn seines neuen Exils unterhielt er sich nodi gelegentlich mit engeren Mitarbeitern aus dem Elysėe-Palast, aber auch diese Be suche haben größtenteils aufgehört. In keiner Weise hat sich daher General de Gaulle in die Innenpolitik des Landes direkt eingemischt oder diese durch Mittelsmänner zu beeinflussen versucht. Um alle Spekulationen zu beenden, wurde die französische Presseagentur (AFP) beauftragt, ein offiziöses Kommuniąuė herauszugeben, in dem die Haltung General de Gaulles noch einmal nachdrücklich bekräftigt wird. Es gäbe demnach keine politische Botschaft von seiner Seite an eine Persönlichkeit der früheren Umgebung oder Famüie. Der General beabsichtigt nicht, Paris aufzusuchen oder die Büros zu Inspizieren, die ihm von der Regierung zur Verfügung gestellt wurden. Damit ist jeder Versuch übereifriger Parteigänger in der Avenue Breteuil, eine Art Nebenregierung zu errichten, unmöglich gemacht worden.

Auf Grund der von de Gaulle autorisierten Informationen beschäftigt er sich gegenwärtig mit der Abfassung seiner Memoiren, die in drei Bänden die Periode von Mai 1958 bis April 1969 schildern. Bisher sol len vier Kapitel fertiggestellt sein. Die Regierung zeigte sich überaus kooperativ und übermittelte alle gewünschten Dokumente aus ihren Archiven. Da de Gaulle ein Meister der französischen Sprache und des Stils ist, außerdem die jüngste Gegenwart in einschneidender Weise beeinflußte, werden politisch interessierte Zeitgenossen wie Historiker die Publikation mit Spannung erwarten. Denn noch sind viele Momente, besonders in der Geschichte des 13. Mai 1958 und die Geheim- verhandlungen de Gaulles mit den rebellierenden Offizieren in Algier verschleiert. Wieweit war General de Gaulle wirklich in die Pläne der algerischen weißen Rebellen ednge- weih't, die unter dem Kodewort „Auferstehung“ in diesen dramatischen Tagen eine Luftlandung über Paris generalstabsmäßig vorbereitet hatten? Auch auf die Aktionen seiner Mitkämpfer, wie Chaban-Delmas und Debrė, dürfte neues Licht fallen.

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Denn diese beiden Persönlichkeiten sind weit mehr als Pompidou die eigentlichen Herren des gaullistischen Parteiapparates. De Gaulle schweigt, aber seine Bewegung lebt, entwickelte eine aktive Organisation und konnte sich auch südlich der Loire, wo traditionell die Linke vorherrschte, feste Domänen schaffen. Wer also geglaubt hat, daß nach dem 27. April die Sammelpartei zerbricht, hat sich gründlich geirrt. Die UDR präsentierte sich in Montpellier als eine liberale Staatspartei, welche die drei Prinzipien des Gaullismus mit Nachdruck verteidigt: die Einrichtung des Staates mit den gesteigerten Prärogativen des Präsidenten der Republik, die Betonung der staatlichen Souveränität und die Partizipierung der von Chaban- Delmas in die Formel gegossenen „neuen Gesellschaft“. Obwohl der Tradition gemäß der amtierende Ministerpräsident gleichzeitig Parteichef ist, bewies doch der Kongreß von Montpellier, daß der Armee- minister Debrė den größeren Einfluß im der Partedhierarchie besitzt. Seitdem sich Michel Debrė, zorniger Senator der IV. Republik, erster Ministerpräsident der V. Republik, Finanz- und Außenminister in den letzten Kabinetten vor detm 27. April, de Gaulle verschrieben hatte, ist er der intransigente Vertreter gaullistischen Denkens. Solange Michel Debrė Ämter bekleidet und die UDR inspiriert, ist General de Gaulle ein Faktor der französischen Innenpolitik, mag er seihst den steinernen Gast spielen.

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