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De Gaulle nach Moskau?

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Nach dem demonstrativen Vorstoß des Präsidenten de Gaulle in Peking rechnen Pariser politische Kreise mit der Wahrscheinlichkeit eines baldigen Staatsbesuches des Generals in Moskau. Es gibt in den letzten Wochen in der Tat eine derartige Fülle von Anzeichen einer stark forcierten französisch-sowjetischen Annäherung, daß man der kürzlichen Versicherung des „diplomatischen Wegbereiters“ Edgar Faure, seine etwa um die Osterzeit geplante Reise in die Sowjetunion habe keinen offiziellen Charakter, nur schwer Glauben schenken kann. Fraglos hat diese Diskretion einen politischen Sinn: General de Gaulle möchte es vermeiden, die neuen chinesischen Freunde durch eine vorzeitige Publizität einer weiteren Faure-Aktion zu verschnupfen. Deshalb spricht Edgar Faure immer von einer „allgemeinen Rundreise“, In deren Rahmen auch ein privater Vortrag in Bonn falle, der im April stattfinden soll.

In diesem Jahr findet das vierzigste Jubiläum der Anerkennung der Sowjetunion durch Frankreich statt, die 1924 auf Betreiben Edouard Her-riots erfolgte. Es ist durchaus möglich, daß dieses Ereignis General de Gaulle den äußeren Anlaß bieten könnte, der Einladung Chruschtschows Folge zu leisten, die 1960 gelegentlich des Staatsbesuchs des französischen Ministerpräsidenten erfolgte und die immer noch ihre Gültigkeit hat. Die vier Jahre andauernde Versteifung zwischen Frankreich und der Sowjetunion hing indirekt mit dem Freundschaftsverhältnis de Gaulies zu Adenauer zusammen und direkt mit der Unterstützung der politischen Aspiration der Bundesrepublik durch den General. In dem Maße jedoch, in dem sich die französische Diplomatie von der Linie Washingtons entfernte und sich ihr sogar bewußt entgegenstellte, vollzog sich ein progressiver Annäherungsprozeß zwischen Frankreich und der Sowjetunion, der lediglich im Jahre 1962 durch ein sowjetisches Mißverständnis eine Unterbrechung erfuhr: Moskau deutete nämlich die Weigerung de Gaulies, den Vertrag übei die Einschränkung der Nuklearversuche mit zu unterzeichnen, irrtümlich als einen unfreundlichen Akl gegen sich. In Wirklichkeit war die Haltung des französischen Staatspräsidenten von seiner Gegnerschafl gegenüber Washington bestimmt Dies scheint Chruschtschow jetzl eingesehen zu haben: Er zeigt offensichtlich Neigung, Frankreich einer „Generalpardon“ zu erteilen und da: jahrelang scharf kritisierte Land ir den Augen der sowjetischen Öffentlichkeit zu „rehabilitieren“.

Die Abendzeitung „Le Monde“ gal in diesen Tagen einige konkret Hinweise für die wachsende französisch-sowjetische Entspannung. Es wurden unter anderem Frankreichs Ablehnung seiner Teilnahme an einer NATO-Aktion in Zypern, die Anerkennung Pekings durch Paris, der französische Vorschlag einer Neutralisierung Vietnams und generell die Ubereinstimmung der Asienpolitik von Paris und Moskau erwähnt, die etwa in der Frage der Einberufung einer Konferenz über Kambodscha bestehe. In Wirklichkeit geht es aber nicht um Einzelfragen, sondern um die Gesamtorientierung des Elysee, die den Sowjets nur willkommen sein kann. Darüber hinaus ermöglicht der durch den amerikanischen Wahlkampf bedingte Stillstand des sowjetisch-amerikanischen Ausgleichs Moskau eine größere Bewegungsfreiheit gegenüber Paris. Die amerikanische Presse, die bereits das Gespenst eines neuen französisch-sowjetischen Pakts an die Wand malt, verbirgt nicht ihre ernste Besorgnis gegenüber dieser Entwicklung.

Ob die Washingtoner Befürchtungen begründet sind, läßt sich im gegenwärtigen Stadium nur schwer voraussagen, denn es gibt in Paris auch Politiker, die wenig Neigung zeigen, den Flirt mit Moskau in seiner Tragweite zu überschätzen, sondern in ihm eher ein Manöver erblicken, das einer psychologischen Druckanwendung auf die Partner Frankreichs dienen könnte. So heißt es in einem Kommentar des linksgerichteten, jedoch im außenpolitischen Bereich mit der Regierung oft übereinstimmenden „Combat“ wörtlich: „Die Entscheidung über den Besuch de Gaulles in Moskau scheint in entscheidendem Ausmaß von der Haltung des Kanzlers Erhard abzuhängen. Dies gilt sowohl für seine Einstellung zu europäischen Fragen als auch für seine Bereitschaft, dem französisch-deutschen Vertrag, den man nicht preisgegeben zu haben scheint, einen Inhalt zu geben.“ Für die Sowjets dagegen scheint die Erwiderung des Staatsbesuchs Chruschtschows durch de Gaulle bereits beschlossene Sache. So erklärte der Sekretär der KPdSU, Nikolai Pod-gorny, der an der Spitze einer Delegation des sowjetischen Zentralkomitees mehrere Tage Frankreich besuchte, nach einem einstündigen Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten, es sei zwar über eine Moskaureise de Gaulles nicht gesprochen worden, aber der Reisetermin werde „etwas später“ festgelegt werden.

Begreiflicherweise hat der Frankreichbesuch der sowjetischen Parlamentarierdelegation in der hiesigen Öffentlichkeit starkes Aufsehen erregt. Dies gilt sowohl für die Persönlichkeit Podgornys, der das besondere Vertrauen Chruschtschows genießen soll und in den Augen vieler Sachkenner als der eigentliche „Kronprinz“ angesehen wird, als auch für die betonte Aufmerksamkeit, die der Delegation seitens der französischen Regierung entgegengebracht wurde. Neben dem bemerkenswert langen Empfang der Sowjets durch de Gaulle gab es eine feierliche Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten, der eine offizielle Note beigegeben wurde. Uber die Unterredungen, die Podgorny mit Ministerpräsident Pompidou, Außenminister Couve de Murville und dem Präsidenten der Nationalversammlung, Chamban-Delmas, hatte, hieß es, daß sie „in sehr freundschaftlicher Atmosphäre“ stattgefunden hätten. Des weiteren gab es Empfänge im Pariser Rathaus durch den Präsidenten des Stadtrates, Jean Auburtin, durch den Marseiller Bürgermeister und Präsidentschaftskandidaten Gaston Defferre, durch die Parlamentariergruppe der französisch-sowjetischen Freundschaft, die der Vizepräsident der Assembl6e Nationale, Raymond Schmittlein, anführte. Es gab Galadiners mit Abgeordneten, Besuche von Schulen und Besichtigungen von Industriewerken.

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