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„De Gaulle le Magnifique“

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In der Nacht zum 28. Oktober wurde von dem Pariser Verlagshaus Pion eine generalstabsmäßig angelegte Großaktion durchgeführt. Als die Pariser am Morgen zur Arbeit gingen, leuchtete ihnen aus den Fenstern aller Buchhandlungen der knallrote dritte Band von deGaulles „Kriegserinnerungen" entgegen. Die beiden ersten Bände hießen „Der Appell" (1954) und „Die Einheit" (1956) und umfaßten die Kampfjahre des „Freien Frankreich“ von 1940 bis 1944. Dieser letzte Band nun handelt von de Gaulles Ministerpräsidentschaft vom Einmarsch in Paris im Spätsommer 1944 bis zu jenem Tag im Jänner 1946, an dem er brüsk die Bürde der Regierung von sich warf und sich zum ersten Male in die Einsamkeit zurückzog. Daß das von Anfang an nur eine befristete Einsamkeit sein sollte, zeigt schon der stolze Titel, den der General diesem Band gegeben hat: „Le Sa1ut"- „Das Hei1“.

Dieser Band ist nicht nur der Abschlußband des Memoirenwerkes über die erste Epoche, in der de Gaulle das Schicksal Frankreichs in Händen hatte. Es soll auch das letzte Buch sein, das er über sich selbst geschrieben hat. „Von nun an sollen andere über mich schreiben." Um so sicherer ist dieser Band gezielt, dessen Manuskript schon längere Zeit fertig war. Er erscheint in dem Augenblick, in dem die Fünfte Republik aus ihrer pompösen Lethargie zu erwachen scheint und der General de Gaulle für unzählige Franzosen als das sichtbar wird, was sie von ihm erhofften: als der Chef, der sein Volk aus der algerischen Sackgasse herausführt.

Die aufschlußreichste Würdigung hat der Band aus der Feder von de Gaulles grimmigstem Kritiker, Jean-Jacques Servan-Schreiber. Direktor des „Express“, gefunden:

„Seit anderthalb Jahren liegt das Schicksal Frankreichs und von jedem von uns in der Hand eines Monarchen, Charles de Gaulle. Und für jeden ist dieser Mann ein Rätsel. Keine Diskussion, keine Analyse, keine Vorhersage, die nicht bei diesem einzigen Thema der französischen Politik -endet:-' was -denkt de Gaulle, was wird de Gaulle tun?… Die .beiden ersten Bände waren Abenteuergeschichten, Kriegsberichte, literarische Bravourstücke. Dieser Band nun hat nur einen Inhalt: Ich. Er gibt uns zum ersten Male und vollständig de Gaulle, durch die Brille von de Gaulle gesehen.“

Und mit Erstaunen liest man aus der gleichen Feder eine Würdigung, die man eher von einem glühenden Gaullisten wie Franęois Mauriac erwartet hätte:

„Die erste Erkenntnis, die einem die Lektüre des .Heils“ einbringt, ist die von der außergewöhnlichen Ueberlegenheit dieses Menschen. An verschiedenen Stellen des Buches ist man verzaubert von der Hellsichtigkeit des Geistes, der Klarheit der Vision, die de Gaulle gegenüber recht verschiedenartigen Situationen an den Tag legt. Man hat den Eindruck, daß er es meisterlich versteht, in seine Gedanken und seine Handlungen eine Rangordnung zu bringen, das Wesentliche zu erkennen und zugleich die Mittel, um es zu erreichen. Er richtet seinen Blick auf den Horizont, um alles in der richtigen Perspektive zu sehen, die Vorteile der Situation zu erkennen und sie sich zu eigen zu machen, die Risikos abzuschätzen — und sie auch einzugehen.“

Was dem Leser hier als Charakterbild de Gaulles aus diesem Band sichtbar wird, ist ein eigenartiges Gemisch aus Sendungsbewußtsein und Diplomatie, nicht ohne einige Glanzlichter eines trockenen Humors. Typisch ist etwa jene Stelle, an der de Gaulle über die im Oktober 1944 endlich durchgesetzte Anerkennung seiner Regierung durch die Alliierten äußert:

„Natürlich hüteten wir uns. irgend jemand dafür zu danken … Als man mich auf einer Pressekonferenz fragte, welches meine Empfindungen angesichts der Anerkennung der Regierung durch die Alliierten seien, beschränkte ich mich auf die Antwort: ,Die französische Regierung nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, daß man sich bequemt, sie bei ihrem Namen zu nennen.'“

Das Bild eines Menschen wird aus wenig so deutlich wie aus den Urteilen, die er über andere Menschen abgibt. Es ist aufgefallen, daß unter den französischen Politikern nicht die unbedingten Anhänger de Gaulles am besten wegkommen, sondern zwei Männer, die heute zur Opposition zählen: Mendės-France und der Boß der Kommunisten, Maurice Thorez. Beim ersteren ist das um so erstaunlicher, weil er der einzige von de Gaulles Ministern war, der mit Protest aus der Regierung schied. Bei seinen Bemerkungen über die Mendės-France abgeschlagene Währungsreform am Kriegsende wird auch des Generals merkwürdige Leichtigkeit angesichts wirtschaftlicher Fragen sichtbar:

„Warum hätte maif denn das Land in gefährliche Konvulsionen stürzen sollen, wo es doch auf jeden Fall wieder gesund werden würde?. . . Pierre Mendės-France verläßt auf seinen Wunsch die Regierung im April. Er tut es mit Würde. Und ich bewahrte diesem Mitarbeiter von außerordentlichem Wert meine Achtung. Wenn ich die von ihm vorgeschlagene Politik auch nicht übernommen habe, so behalte ich mir doch vor, sie unter veränderten Umständen zu der meinen zu machen. Aber damit Mendės-France dann in der Lage wäre, sie durchzuführen, muß er seiner Doktrin treu zu bleiben wissen. In diesem Sinne kann der Rücktritt eines Ministers ein Dienst am Staate sein.“

Aber nicht nur die verpaßte wirtschaftliche Gesundung des Landes wird dem Ministerpräsidenten de Gaulle von damals vorgeworfen — auch die Infiltration der Kommunisten in den Staatsapparat, die unter seiner Herrschaft stattfand, wurde ihm oft angekreidet. Darauf entgegnet er, von der Aufnahme der Kommunisten in seine Regierung sprechend:

„Ausschlagend, beißend und bockend, aber ins Geschirr gespannt und an die Kandare genommen, wird so auch sie (die KP) den .. schweren Wagen (des Staates) mitziehen. Es ist meine Sache, die Zügeln in der Hand zu behalten . .. Was Thorez betrifft, so hat er, bei allem Einsatz für die Ziele des Kommunismus, doch bei verschiedenen Gelegenheiten dem allgemeinen Wohl gedient… Er wird nicht müde, die Parole auszugeben, daß so- ” vier wie “umgfKfr gttirtetw und' Tmdmtm- werden müsse. Ist das einfach politische Taktik? Es ist nicht meine Aufgabe, das zu klären. Mir genügt, daß Frankreich gedient wird.“

Für de Gaulle ist der vorbildliche Staatsmann offensichtlich derjenige, der sich unbedingt, ohne jeden Rest, mit seinem Staat, seiner Nation identifiziert. Man spürt das der von moralischen Bedenken wenig beschwerten Faszination an, die sein Stalin-Porträt auszeichnet:

„Stalin war vom Willen zur Macht besessen. Durch ein Leben voll Komplotte darin bewandert, vor seine Züge und seine Seele eine Maske zu halte_n, ohne Illusionen, ohne Mitleid und ohne Offenheit auszukommen, in jedem Menschen ein Hindernis oder eine Gefahr zu sehen, war alles an ihm List, Mißtrauen und sture Beharrlichkeit. Die Revolution, die Partei, der Staat, der Krieg hatten ihm die Gelegenheit und die Mittel zur Macht geboten. Er war zur Macht gelangt, indem er in ihrem ganzen Ausmaß die Umwege der marxistischen Exegese und die totalitäre Härte anwendete. Er setzte dabei eine übermenschliche Kühnheit und Schlauheit ein und unterdrückte und liquidierte die anderen. Seither, allein Rußland gegenüber, wurde ihm dieses Rußland zu einer mysteriösen Macht, stärker und dauerhafter als alle Theorien und alle Regime. Er liebte es auf seine Weise. Und Rußland selbst akzeptierte ihn als Zar für die Dauer einer schrecklichen Epoche und ertrug den Bolschewismus, um sich seiner als eines Werkzeuges zu bedienen. Die Slawen zu ver- "'einigen, die Germanen zu zerschmettern, w Asien sich auszubreiten, zu den freien Meeren vorzudringen — das waren die Träume des Vaterlandes, das waren die Ziele des Despoten . .. Seine Chance war, daß er ein Volk vorgefunden hatte, das in einem Maße lebendig und geduldig war, daß auch die schlimmste Sklaverei es nicht lähmte; eine Erde so reich an Reserven, daß auch die schlimmste Mißwirtschaft sie nicht zum Versiegen bringen konnte-, Alliierte, ohne die er den Gegner (adversaire!) nicht besiegt hätte, die aber auch ohne ihn jenen Gegner nicht niedergerungen hätten. Während der paar Stunden, die insgesamt meine Unterhaltungen mit Stalin dauerten, sah ich seine Politik grandios und verhüllt zugleich vor mir. Ein als Marschall verkleideter Kommunist, ein in seine List versponnener Diktator, ein Eroberer mit der Miene eines Biedermannes stand mir als Gesprächspartner gegenüber. Herb war die Leidenschaft, die ihn immer wieder verwandelte, nicht ohne ihm eine Art von düsterem Charme zu verleihen.“

Ist nicht eine ähnliche Faszination selbst in der Schilderung zu verspüren, die de Gaulle von dem durch einen anderen Diktator „in Bewegung“ gebrachten deutschen Volke gibt? Man höre:

„Dieser Mensch (Hitler), aus dem Nichts entstiegen, hatte sich Deutschland angeboten, als es Begier nach einem neuen Geliebten empfand… Es hatte sich dem unbekannten Passanten ergeben, der das Abenteuer verkörperte, der die Herrschaft (Domination)versprach und dessen leidenschaftliche Stimme ; die geheimen Instinkte aufwühlte. . . Hitler vernachlässigte neben der Stärke die Geschicklichkeit nicht. Er verstand zu täuschen, zu liebkosen. Deutschland, in seinem Innersten verführt, folgte seinem Führer mit ganzem Schwung. Bis ans Ende war es ihm unterworfen; es diente ihm mit größeren Anstrengungen, als sie je ein anderes Land einem anderen Chef darbot.“

Daneben hat die Schilderung des besiegten, des Nachkriegsdeutschlands, beinahe mitleidigen Charakter:

„Lebensniveau und Wiederaufbau — das werden noch für zahlreiche Jahre die Ambitionen der deutschen Nation und die Ziele ihrer Politik sein.“

Worauf es de Gaulle hingegen ankommt, ist die „Kommunion“ mit den Massen, um sie zu großen Taten für Frankreich-de Gaulle mitzureißen. Es gibt da erstaunliche Stellen:

„Indem ich die Hände drücke und die Zurufe höre, mühe ich mich, daß dieser Kontakt ein Austausch von Gedanken sei. ,Hier habt ihr mich, so wie Gott mich geschaffen hat!“ möchte ich denen zu verstehen geben, die mich umringen . . . Und umgekehrt, durch die Schreie und die Blicke hindurch, erkenne ich den Aufglanz der Seelen . . . Diese da scheinen zu sagen: ,Wir rufen dir Beifall, weil du die Macht bist, die Festigkeit, die Sicherheit!“ Aber wie schwer ist die Frage, die ich auf einzelnen Gesichtern lese: ,De Gaulle! Diese Größe, deren Wehen wir dank dir fühlen — wird sie morgen der aufsteigenden Welle der leichten Lösungen (flöt montant de la facilite.) widerstehen können?“ Im Herzen der Masse (multitude) fühle ich mich durchdrungen von ihrer Freude und ihren Sorgen.“

Der Aufschwung hat nicht angehalten, und daran sind nach de Gaulle „die Politiker“ schuld, die sich zwischen ihn und das Volk gedrängt haben.

Was aber waren die Aufgaben, denen sich de Gaulle in dieser Zeit, vom Spätsommer 1944 bis zum Jänner 1946, vor allem widmete? Zunächst einmal setzte er durch, daß die erst im Wiederaufbau befindliche französische Armee ihren symbolischen Anteil am Siege der Alliierten erhielt, um so den Zusammenbruch von 1940 vergessen zu machen. Und auf weite Strecken ist der Band erfüllt von Schilderungen, wie de Gaulle sich wieder in Indochina festsetzt, Syrien vor dem englischen Zugriff zu retten versucht und den Italienern einige Dörfer in Savoyen abnimmt. Geben wir noch einmal dem Kritiker Servan-Schreiber das Wort, der neben Ironie auch Bewunderung nicht verhehlen konnte, als er den General als „De Gaulle le Magnifique“ (De Gaulle der Prächtige) apostrophierte:

„So ist denn das Genie von de Gaulle einzig und allein damit beschäftigt, ,der Nation wieder ihren Rang zurückzugewinnen'. Aber was er erreicht, sind alles Sachen, die Frankreich nachher unvermeidlicherweise wieder verlieren wird. Den Lacoste, Pleven, Reni Mayer aber, die er im Vorbeigehen als .ergeben und gewissenhaft' charakterisiert, überläßt er die sehr zweitrangige Aufgabe, dem Land eine neue Struktur zu geben …"

Ein Kritiker der Rechten aber, Antoine Blondin in „Arts", bemerkt zu alledem:

„Es gehört zur Bizarrerie des französischen Wesens, daß das, was dieser Bericht erzählt, wirklich so geschehen ist, der Krieg, die totale Niederlage, der Widerstand, die Liberation — daß unser Land von einem Schriftsteller regiert wird.“

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