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Wie regiert de Gaulle?

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Wie hat de Gaulle im Alleingang seine Politik durchgesetzt? Im Grunds verfügt er nur über ein einziges politisches' Instrument — dieses aber handhabt er , meisterlich: den „psychologischen Schock“. Solche Schocks sine es, nach deren Abfolge und Steigeruns sich die bisherige Geschichte dei Fünften Republik gliedert. Ja, mehr als das: sie sind der eigentliche Inhalt des Regimes. Diese Schocks haben zweierlei Richtung. In ihrer einfacherer Form prägen sie das „Ritual“, in derr sich de Gaulle immer wieder dei Übereinstimmung der mitbilligender Mehrheit der Franzosen versichert. Ir einer i wesentlich komplizierteren Form dienen sie dem General dazu, seine Gegner matt zu setzen. Diese letztere Form gilt es nun noch genauer zu schildern. Voraussetzung dazu ist allerdings, daß de Gaulles eigentümliche Wesensart noch deutlicher umrissen wird.

„Rückzug mit Fanfaren“

Die Durchführung der seiner Republik zunächst einmal von der Mehrheit der Franzosen gestellten Aufgabe, der Liquidation der algerischen Stellung, wurde de Gaulle durch verschiedene Faktoren erleichtert. Der wichtigste ist natürlich, daß er der einzige lebende Franzose ist, der mit einigem Recht (wenn auch nicht unangefochten) in Anspruch nehmen kann, die Ration als Ganzes zu verkörpern oder doch zu vertreten. Vor allem kam ihm aber auch sein statisches Geschichtsbild, sein im Grunde ungeschichtliches Denken zu Hilfe. Nicht zufällig beginnen de Gaulles Kriegserinnerungen mit dem Satze: „Toute ma vie, je me suis fait une certaine idee de' la France.“ (Was sinngemäß etwa zu übersetzen ist: Seit jeher habe ich eine bestimmte Vorstellung von Frankreich gehabt.) Wenn de Gaulle von „Erneuerung“ spricht, so ist leicht zu spüren, daß er dabei nicht Iso sehr an durchgreifendes Handeln denkt. „Erneuerung“ heißt für ihn vielmehr, die vorübergehend dem Blick entzogene, aber immer vorhandene Į Größe Frankreichs zu sehen. Diese Größe läßt sich für ihn weder in Produjctionsziffern noch in territorialen Größen ausdrücken. Die Räumung der nordafrikanischen Bastion kann darum in den Augen de Gaulles auch nichts an Frankreichs Größe mindern. Diese Haltung aber hat ihm einen paradoxen Versuch ermöglicht: nämlich aus Frankreichs Rückzug aus Afrika einen Triumph zu machen. Das wurde deutlich, als de Gaulle den von ihm „Dekolonisation“ genannten Rückzug als einen Triumph der „mission libėratrice“ (befreierische Mission) Frankreichs feierte. Für seine Feinde auf der Rechten allerdings bleibt auch ein „Rückzug mit Fanfaren“, wie das der Volksmund nannte, ein Rückzug.

Der Wind der Geschichte

Unvermittelt daneben aber stoßen wir bei de Gaulle auf den anderen Grundzug des französischen Wesens, neben dem pathetischen auf den „realistischen“. Das Seht-doch-was-ist ist nur der eine Grundton von de Gaulles Beschwörungen. Der andere ist jenes Nehmt-zur-Kenntnis-was-end- gültig-vorüber-ist, das in des Generals oft verwendeter Formel „les choses ėtant I ce qu’elles sont“ (so wie die Dinge nun einmal liegen) zusammengefaßt ist. Wenn de Gaulle vom „Wind der Geschichte“ spricht, so will er damit nicht sagen, daß er sich von diesem Wind aktiv angetrieben fühle; gemeint ist vielmehr, daß dieser Wind „ein Blatt im Buch der Geschichte um- gewendet“ habe. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß nach Meinung vieler de Gaulles Aktionen bisher durchweg „negativer“ Art waren: nämlich Reflexe auf Züge der Gegenspieler, die gebremst oder mit einer Räumung der eigenen Stellung beantwortet wurden. In das gleiche Kapitel gehört, daß die großen „psychologischen Schocks“ von de Gaulle fast immer darin bestanden,

daß er die Nation aufforderte, sie solle das Vorhandene akzeptieren und 1 den Dingen ihren Lauf lassen.

Liegt das im Sachzwang der Situation begründet, die de Gaulle bei seinem zweiten Machtantritt vorfand?

Oder steckt m seinem Wesen, wie Seme Feinde behaupten, eine durch Rhetorik verhüllte Handlungsunfähigkeit? Eine Handlungsunfähigkeit also, die de Gaulle bloß im pathetischen Gewand, nicht aber in der Essenz von den von ihm so verachteten Regierungschefs der Vierten Republik unterscheiden würde? Auf jeden Fall werden Kritiker auf der Linken wie auf der Rechten nicht müde, der Fünften Republik nachzusagen, daß sie im Grunde nur die Politik der Vierten Republik weiterführe, bloß mit etwas mehr Tamtam. Und auf der Rechten fragte man sich oft, ob die „offene“, „zynische“ Liquidationspolitik eines Mendės-France nicht ehrlicher sei als diese pathetisch verhüllte.

Von hier aus wird deutlich, was im Grundsätzlichen die eigentliche, die gefährliche Gegenposition gegen de Gaulle war während des jahrelangen Ringens um die Algerienpolitik. Sie ist in einem Kampfruf enthalten, der von den Intellektuellen der Rechtsopposition immer wieder gegen de Gaulle erhoben wurde und noch wird: „II n’y a pas de philosophic d’histoire!“ (es gibt keine Geschichtsphilosophie). Damit sollte gesagt werden, daß es keine Geschichtsphilosophie gebe, die den Menschen nötige, etwas Bestimmtes zu tun oder zu erleiden; dem Menschen, der etwas unbeirrt und mit all seiner Kraft wolle, stünden noch immer alle Wege offen. Die Geschichte sei keine Mechanik von ihr innewohnender Zwangsläufigkeit — die Geschichte sei vielmehr das Feld, auf dem das Wunder geschieht. Dieser Voluntarismus, dessen Bezüge zu Tendenzen des zeitgenössischen Denkens offensichtlich sind, ist es wohl auch vor allem, der der äußersten Rechten soviel Zustrom an Jugend eingebracht hat. Er ist es auch, der den häufigen Vergleich dieses „französischen Faschismus“ mit dem deutschen Nationalsozialismus hinfällig macht: dieser ist ja bei allem Aktivismus zumindest in seiner ideologischen Dominante vorwiegend vor einem geschichtsphilosophisch unterbauten Determinismus geprägt. (Nui der italienische Faschismus — mar denke an seine Wurzeln im Futurismus — trug ähnliche voluntaristische Züge.'

De Gaulles Methode der „psycholo-

gischen Schocks“ ist jedoch so subtil entwickelt, daß sie auch eines so leidenschaftlichen Gegenspielers Herr zu werden vermag — insbesondere, wenn dieser bei aller Leidenschaft im Innersten seiner Sache doch nicht ganz sicher ist. So unbeweglich und statuarisch de Gaulle sich im Großen auch ausnehmen mag — in der Taktik des täglichen politischen Kleinkriegs ist er von erstaunlicher Beweglichkeit. Er ist ein so hervorragender Taktiker, ein so im einzelnen Zug aufgehender „Pragmatiker“, daß manche Beobachter sich schon gefragt haben, ob es ihm überhaupt um mehr als um Einzelzüge gehe.

Der politische Jargon hat für de Gaulles politische Methode — oder besser: seinen politischen Stil — bereits einen Terminus technicus gefunden. Wenn uns unsere Erinnerung nicht täuscht, sind wir zuerst im „Canard Enchainė“ auf ihn gestoßen. Das kann nur den erstaunen, der die tiefgehende, ein besonders französisches Charakteristikum darstellende Einwirkung dieses politischen Witzblattes auf die Meinungsbildung nicht kennt. Der Begriff heißt „l’intoxica- tion“ (oder salopp ' abgekürzt „l’intoxe"), was etwa als „planmäßige Vernebelung“ übersetzt werden muß. (Die wörtliche Übersetzung „Vergiftung“ wäre zu hart, der Sache nicht entsprechend.) Diese Vernebelung wird dadurch erreicht, daß Vertreter des Staates (respektive von de Gaulle) über private Kanäle und zuweilen auch über offiziöse (zum Beispiel die staatlich kontrollierte Nachrichtenagentur AFP) bewußt falsche Meldungen ausstreuen. Kompliziert wird das Spiel dadurch, daß die „Falschheit" der Meldung oft nur in ihrer Dosierung oder im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung besteht. Die Absichten der Regierung in einer bestimmten Richtung werden so übertrieben dargestellt, daß die Öffentlichkeit dann angenehm überrascht ist, wenn nur ein Bruchteil davon ausgeführt wird — und zwar ein „Bruchteil", der ohne diese psychologische Vorbereitung erheblichen Unwillen ausgelöst hätte. Oder es wird etwas angekündigt, was zu dem angegebenen Zeitpunkt gar nicht eintritt; tritt es dann später doch ein, so hat sich ein Gutteil der Aufregung bereits im leeren Raum verpufft.

Aus der Arena

Die „Intoxe“ verfolgt zweierlei Ziele. Zum einen dient sie der Rekognoszierung des politischen Geländes: Sie ist dann eine Provokation, welche den versteckten Gegner vorzeitig aus dem Busch locken soll. Sie soll auch die Volksstimmung testen und den Weg des geringsten Widerstandes abtasten. Zum andern aber — und das ist oft nur die Kehrseite des gleichen Vorgangs — dient sie der Abnützung. Die lange Kette der Provokationen und der dazwischengeschalteten Besänftigungen haben da die gleiche Funktion wie die Banderillas, jene mit bunten Bändern geschmückten Widerhaken, welche beim Stierkampf den Stier so schwächen sollen, daß er nicht mehr mit voller Kraft zum entscheidenden Kampf ansetzen kann.

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