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Die neuen 100 Tage?

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„Frankreich hat zu wählen, zwischen uns, den Gaullisten und den Kommunisten“, sagte der Staatsminister de Gaulles, Malraux, zu Beginn des Wahlkampfes. Der ehemalige Kommunist und Rotspanienkämpfer hätte noch hinzufügen können: Rußland hat bereits gewählt, und zwar de Gaulle und gegen die Kommunisten. Die Nichteinmischung Rußlands in den französischen Wahlkampf war evident. Es kam zu keiner Volksfrontbildung, und in seinen Wahlreden hat der kommunistische Generalsekretär Waldek-Rochet nicht einmal den Namen Mitterand ausgesprochen. Rußland hat mit dieser Haltung natürlich nicht die große Hilfe, die de Gaulle ihm immer wieder erwiesen hat, honoriert, sondern aus ganz realen Tatsachen kein Interesse an dem Entstehen einer Volksfront und deren Sieg gehabt. Ein Volksfront-Frankreich wäre neben Peking ein außerordentlich attraktiver Anziehungspunkt für Warschau, Prag, Budapest und Bukarest gewesen und hätte möglicherweise sogar nach Rußland hineinstrahlen können. Moskau hat genug Ärger mit Peking und kann sich kein zweites Zentrum, das ihm Schwierigkeiten bereiten könnte, leisten. Ein Sieg der Volksfront in Frankreich hätte auch bedeutet, daß innerhalb der NATO die Bedeutung Deutschlands rasant emporgestiegen wäre. Und das wollte Rußland auf gar keinen Fall. Während Moskau sein Desinteressement an den französischen Kommunisten zeigte, ging gleichzeitig der Streit um Berlin los. Ob nicht beides in ursächlichen Zusammenhängen steht?

Dank dieser Haltung Moskaus konnte der Wahlkampf in Frankreich ein ruhiger sein, der fast eiben müden Eindruck machte. Der Erfolg de Gaulles war nicht aufzuhalten. „Nach dem Schrecken kommt der General“, ist ein uraltes Gesetz der französischen Innenpolitik. Und die Maitage hatten unendlich viel Franzosen in Schrecken versetzt. Vor allen Dingen die Frauen, die nichts mehr zu kochen hatten ihre Kleider nicht mehr aus der Putzerei bekamen und von den Banken kehl Geld abheben konnten, um Konserven zu kaufen. Französische Frauen haben sich immer durch besondere Energie ausgezeichnet (ein altes Sprichwort sagt, daß in Frankreich alles feminin ist, mit Ausnahme der Frauen), und so darf der Anteil der Frauen an dem Sieg de Gaulles, an dem kaum zu zweifeln ist, nicht unterschätzt werden. Dank des französischen Wahlsystems war die Jugend, die so enthusiastisch in den Maitagen demonstrierte, von der Wahl fast ausgeschlossen. Der zweite Wahlgang, der am 30. Juni stattfindet, wird de Gaulle sicherlich die absolute

Mehrheit im französischen Parlament verschaffen.

Und was dann? Als Napoleon aus Elba zurückkehrte, hatte er gerade 100 Tage Zeit, zu regieren. Dann zerbrach seine Macht bei Belle-Alli- ance. Ungefähr 100 Tage wird auch de Gaulle Ruhe haben. Dann werden sich die ersten Folgen dieser großen Revolution auf wirtschaftlichem Gebiet zeigen. Denn 100 Milliarden kosteten Frankreich die turbulenten Maitage und 100 Milliarden kosten ungefähr die Lohnerhöhungen, die de Gaulle zugestehen mußte. Eine gigantische Belastung des Budgets dieses reichen Landes. Diese Situation zu meistern, wird fast übermenschliche Kräfte erfordern. Seit 1940 hatte Frankreich jeden Krieg verloren. Den Krieg gegen Hitler, den Krieg gegen Indochina, den Krieg in Nordafrika. 1944 konnte die französische Armee die eigene Heimat nur dank der Hilfe der Alliierten wieder betreten. De Gaulle müßte nach dem verlorenen Weltkrieg und nach den verlorenen Kolonialkriegen Frankreich wieder aufbauen. Dabei vergaß er auf die Franzosen, bis ein nicht unerheblicher Teil von ihnen revoltierte, vor allem die Studenten und die Arbeiter.

Jetzt hat er 100 Tage Zeit für einen neuerlichen Aufbau, 100 Tage sind kein langer Zeitraum …

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