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Ein Bürgermeister verzichtet

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Verfassungsmäßig erfolgt die Erneuerung der französischen Nationalversammlung im Frühjahr 1967. Zahlreiche Politiker der Regierungsmehrheit denken jedoch an die überaus günstige Wirtschaftsentwicklung (unter anderem besitzt Frankreich neuerlich den größten Goldvorrat der Welt nach den USA) und plädieren für eine Vorverlegung des Termines auf den Spätherbst dieses Jahres. Diese Kreise, die besonders in der Nähe des Wirtschafts- und Finanzminister Debrė die ultragaullistische Linie vertreten, warten diesbezüglich mit zahlreichen Argumenten auf.

Der prestigemäßige Erfolg der Reise de Gaulles in die Sowjetunion wirkt immer noch nach. Was sollen die armen Kommunisten ihren Mitgliedern empfehlen? Sie können schwer die flexible Außenpolitik des Staatschef mit seiner Öffnung nach Osten desavouiren oder den volkstümlichen Empfang de Gaulles in zahlreichen Städten Rußlands eska- motieren. Es darf angenommen werden, daß kommunistische Wähler dem Charme dieser Politik verfallen. Auch die eben begonnene Reise nach Afrika und Asien unterstreicht die weltpolitisch einmalige Rolle des Generals und reizt, durch geschickte Reportagen unterstützt, die Phantasie des Publikums. Die neu gewonnene Stellung des Staates im internationalen Geschehen wird bestätigt. Man spricht überall von Frankreich, man fürchtet, bewundert oder kritisiert de Gaulle. Gewiß, aber welcher westliche Staatsmann genießt derzeit ein solches weltweites Ansehen?

Der Schatten des Generals

Das derzeitige Wahlgesetz fördert ebenfalls die Aspirationen der Regierungsparteien. Das Land ist in kleine Wahlbezirke aufgeteilt. Im ersten Wahlgang muß der Kandidat die absolute Mehrheit erlangen, falls dies unmöglich ist, im zweiten nur die relative. Das Geheimnis des Erfolges liegt also darin, solche Bündnisse in den einzelnen Wahlkreisen . zu schaffen, um heterogene Wählerschichten auf einen Namen zu ver- • einen. Es ist selbstverständlich, daß ; Parteien an der Macht, die Ehren i und staatliche Stellungen vergeben,

eher zum Zuge kommen als eine Opposition, welche ihre Anhänger auf die künftigen und fraglichen Genüsse der Mehrheit vertrösten muß.

Weltanschauliche oder parteiideologische Erwägungen spielen selbst im klassischen Lande geistiger Auseinandersetzungen eine immer bescheidenere Rolle. Der gewaltige Schatten des Generals trägt dazu bei, die wahren Aspekte einer Konfrontierung der politischen Gegensätze zu verwischen. Ob es sich um Parlamentswahlen handelt oder Gemeindeämter, Provinzlandtage erneuert werden, man stimmt für oder gegen de Gaulle. Eine Auseinandersetzung mit politischen und wirtschaftlichen Programmen, welche die Nation bewegen, kann erst dann, erfolgen, wenn ein Gaullismus ohne de Gaulle eine neue Orientierung und Bestätigung sucht.

Die Regierungsparteien sind sich dieser derzeitigen privilegierten Stellung sehr bewußt, während die Opposition krampfhaft bemüht ist, an Anziehung zu gewinnen und ein echtes Image in der öffentlichen Meinung zu schaffen. Aber die Sommermonate laden zum Läoheln ein, und die zukünftigen Auseinandersetzungen wurden im Optimismus ertränkt. Ministerpräsident Pompidou pflegte das auch von Adenauer so geliebte Kugelspiel „Petanque“. Mitterand flaniert in blumigen Hemden durch den Urlaub, und Lecanuet, der politische Playboy, betrachtet elegant im weißen Anzug an der Cote d’Azur das neue Glück des strahlendsten Idoles Frankreichs, der Bardot, welche im Zeichen deutschfranzösischer Versöhnung künftighin deutschen Kugellagern gewisse Strahlungen verleiht.

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