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Frankreich vor der Entscheidung

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Die französische Bevölkerung beschäftigt gegenwärtig ein einziges Thema - die Wahlen an den kommenden zwei Wochenenden. Die alles entscheidende Frage, die in den Massenmedien und bei den Diskussionen in Bistros immer wieder gestellt wird, lautet: Welche Chancen haben die politischen Parteien, die zweimal antreten müssen, um ein neues Parlament zu konstituieren? Dabei wird stets darauf hingewiesen, daß dieser Urnengang bestimmend für die Zukunft Frankreichs ist. Die Wähler nehmen diese Entscheidung deshalb überaus ernst: Sämtliche Für und Wider werden sorgfältig abgewogen und die Franzosen machen sich aufrichtig Gedanken darüber, wie die V. Republik nach diesen Wahlgängen aussehen soll.

Auch das seriöseste Meinungsforschungsinstitut Sofres hat mit seinen Umfrageergebnissen bestätigt, was die meisten anderen Institute ebenfalls seit Monaten verkünden: Die Linksparteien werden aus diesen Wahlen als Sieger hervorgehen! Der französische Wähler bekennt sich demnach mit 50 bis 54 Prozent zu den Sozialisten und Kommunisten. Zwar hatten die Generalstäbe der Konservativen und Mittelparteien damit gerechnet, daß der im September vergangenen Jahres zwischen Sozialisten und Kommunisten ausgebrochene Zwist die Wähler überzeugen würde, daß eine Volksfrontregierung undenkbar sei, weil sie Frankreich direkt in das wirtschaftliche Chaos führen müsse. Doch trotz dieser von den Rednern der jetzigen Regierungsmehrheit verkündeten Hypothese, wünscht die Mehrheit der Franzosen offensichtlich eine durchgreifende Reform an Haupt und Gliedern des Staates. Eines muß freüich immer wieder herausgestrichen werden: Diese Mehrheit verlangt bei diesen Reformen eine sozialdemokratische Politik und keine, die auch nur im geringsten an den Stalinismus erinnert!

Wer also geglaubt hatte, die Trennung der beiden Linksparteien von Tisch und Bett würde der bisherigen Mehrheit zum Sieg bei diesen Wahlen verhelfen, irrte gewaltig. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Viele Franzosen, die Mitterand bei den letzten Präsidentschaftswahlen zum Staatschef erküren wollten, zögerten, da sie fürchteten, mit Mitterand werde auch Marchais gewählt. Jetzt, nachdem sich die beiden linken Spitzenpolitiker und die jeweiligen Generalstäbe wie Hund und Katz verhalten, wandert so mancher Bürger zur Sozialistischen Partei über, da ihm die Thesen der Sozialisten moderner erscheinen, als jene der konservativen Parteien.

Das Staatsoberhaupt hat in einer seiner wohl besten Reden die Franzosen aufgefordert, gut zu wählen, griff aber nicht direkt in den Wahlkampf ein. Im Gegensatz dazu hatte sein Vorgänger Georges Pompidou sowohl bei der Kandidatenaufstellung als auch bei der Planung des Wahlkampfes hinter den Kulissen kräftig mitgemischt. Jedenfalls tauchte in unzähligen Reden die Frage auf, was der Staatschef im Falle eines Sieges der Linksparteien tun werde, um die Einrichtungen der Republik zu erhalten. Giscard d' Esta-ing hat erklärt, daß er sein Mandat unter allen Umständen vollenden wolle. Wie er selbst zugab, wird er aber nicht in der Lage sein, die Durchführung des gemeinsamen Programmes der Linken zu verhindern, wenn Sozialisten und Kommunisten die parlamentarische Mehrheit bilden. Bleibt nur die Hoffnung, daß Mitterand - einmal gewählt - die portugiesische Lösung anstrebt und es mit einer monocoloren Regierung seiner Partei versucht, die gewisse Unterstützung von kleineren gemäßigten Gruppen erhalten könnte.

Giscard d' Estaing hat wiederholt von einer Erweiterung seiner Wahlplattform gesprochen. Nun fragt es sich, ob dieses Experiment - einer Partei alleine die Regierung vollkommen zu überlassen - möglich ist. Mitterand hat zwar öfters erklärt, daß er nur einer sozialistisch-kommunistischen Regierung vorstehen wolle, wobei die Kommunisten ein großes Stück des zu verteilenden Kuchens erhalten würden. Die KPF erwartet sich 21 bis 22 Prozent der Wählerstimmen, die es der Partei ermöglichen würden, etwa sieben Minister zu stellen. Wie bereits berichtet, gab der frühere Staatsminister Michel Poniatowski bekannt, welche Ressorts auf der Wunschliste der KPF stehen. Die Kommunisten wollen nicht nur sämtliche Portefeuilles des sozialen Lebens, sondern auch eine Schlüsselposition, unter Umständen die Hälfte eines geteilten Innenministeriums. Die Aufzählung Poniatows-kis wurde von niemandem dementiert und die politischen Beobachter sind sich einig, daß diese Enthüllungen den Wünschen der KPF entsprechen.

Nachdem sich Mitterand großer Popularität erfreut, ist doch nicht sicher, wie weit der erste Mann der Sozialistischen Partei gehen kann, um seine Ex-Bundesgenossen entsprechend zu befriedigen. Denn die Sozialistische Partei, die 1974 noch sieben Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt, ist wohl jene Partei, die von weiten Kreisen der Bevölkerung als attraktiv und regierungsfähig angesehen wird. Sie wird aber so sehr von einer einzigen Person verkörpert, daß alle ihre anderen Sprecher auch bei diesem Wahlkampf kaum Gehör finden. Sie müssen sich damit begnügen, die Ausführungen ihres Chefs zu kommentieren.

Zur Wahl selbst: Nach dem ersten Wahlgang müssen sich Sozialisten und Kommunisten zwar nicht unbedingt versöhnen, 'aber doch eine gemeinsame politische Plattform zimmern, auf der eine Regierungsbildung möglich wäre. Das führt zur wichtigsten Frage bei diesen Wahlen: Werden die Kommunisten in der Stichwahl den besser plazierten sozialistischen Kandidaten ihre Stimme geben, oder werden sie ihren eigenen Mann auch im zweiten Wahlgang wählen? Von dieser Frage hängt das Schicksal Frankreichs ab, und niemand wagt zu prophezei-hen, welche Taktik die KPF einschlagen wird.

Die Linke erfreut sich also offensichtlich der Gunst des Wählerpublikums, deshalb muß man bezüglich der Zukunft der konservativen Parteien in Sorge sein. Eines steht jedenfalls fest: Lecanuet, Servan-Schreiber oder So-isson ist es nicht gelungen, die entscheidende Wählergruppe der Mitte politisch zu mobilisieren. Das Konzept, welches der politische Berater Giscard d' Estaings, Poniatowski, zu Beginn der Tätigkeit des Präsidentenausgearbeitet hatte, ist nicht aufgegangen. Der politisierende Prinz wollte eine große Mittelpartei schaffen, die mindestens ebenso stark sein sollte wie die Kommunistische Partei. Aber alle Ansätze dazu blieben erfolglos, und die nicht-gaullistische Mitte ist weiterhin gespalten.

So bleibt in der Zone der Regierungsparteien nur der Bürgermeister von Paris, Jaques Chirac, übrig, der mit unerhörter Energie und Härte in ganz Frankreich Reden hält, Monstermeetings veranstaltet und die nicht-kommunistische Wählerschaft zum Entscheidungskampf zu mobilisieren versucht. Es ist ihm gelungen, Anfang Februar in Paris an die 100.000 Menschen zu versammeln, womit er bewies, daß seine Partei durchaus eine Massenpartei ist. Leider sind jedoch die Beziehungen zwischen Giscard d' Estaing und Jaques Chirac nicht besser geworden, und die bisherige Regierungsmehrheit geht mit einem unguten Gefühl diesem entscheidenden Wahl-Wochenende entgegen.

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