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Giscard will politische Verkrampfung auflösen

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Als die US-Bürger John F. Kennedy vor Richard Nixon den Vorzug gegeben hatten und dieser Präsident der Vereinigten Staaten wurde, erklärte er sofort nach der Wahl, daß er während seiner Amtszeit neue Grenzen ziehen werde, die den Zeitgenossen und seinen Wählern Sicherheit und Ruhe garantieren sollten. An solche neuen Grenzen glaubt auch der französische Staatschef Giscard d'Estaing, der nach seinen großen Wahlerfolgen nun versucht, die Versprechungen, die von seiner Regierung während des Wahlkampfes gemacht wurden, zu verwirklichen. Nachdem die Wähler sich eindeutig zur Verfassung und zu Giscard d'Estaing bekannt haben, muß die neue Regierung beginnen, die Wirtschaftspläne von Ministerpräsident Raymond Barre zu verwirklichen und zahlreiche andere Vorhaben in Angriff zu nehmen, um den sozialen Frieden der Nation zu sichern.

Zum erstenmal in der Geschichte der V. Republik gelang es dem Staatschef, die bisher so harte Gegensätzlichkeit zwischen Mehrheit und Opposition etwas abzubauen. Bester Beweis dafür: Der erste Sekretär der sozialistischen Partei, Mitterand, führte mit Giscard d'Estaing ein Gespräch, das mehr als eineinhalb Stunden dauerte. Mit noch größerer Überraschung wurde jedoch registriert, daß sogar KPF-Chef Georges Marchais der Einladung des ersten Bürgers im Staate nachgekommen war. Wie aus gut informierten Kreisen zu erfahren war, verlangten die beiden Spitzenpolitiker der Linken in etwa dieselben Maßnahmen, die zwar im gemeinsamen Programm stehen, welches von der kommunistischen Delegation im Elyseepa-last jedoch nur ein einziges Mal zitiert wurde.

Mitterand und Marchais - letzterer stellte sich als der Sprecher der ganzen französischen Arbeiterklasse vor -forderten die neue Regierung auf, alle

Versprechungen zu realisieren, die von der alten beziehungsweise neuen Mehrheit gemacht wurden. Es geht darum, den gesetzlichen Mindestlohn auf 2400 Francs aufzustocken, die Fa-milienbeihilfen entsprechend zu erhöhen, das Pensionsalter herabzusetzen und die Demokratie auf alle Lebensbereiche auszudehnen und sie zu verstärken. Priorität soll die Regierung dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit einräumen und besonders die Tausende von Jugendlichen in den Arbeitsprozeß eingliedern, denen es bisher nicht gelungen ist, eine sichere Anstellung zu finden.

Mit besonderem Nachdruck verlangten die beiden Generalsekretäre, daß ihnen die Massenmedien Fernsehen und Radio genauso oft wie der Regierung und der Mehrheit zur Verfügung stehen. Gemäß diesem Vorschlag sollen nach Ansprachen des Staatschefs und der Regierung sowie der Funktionäre der Mehrheitsparteien die Sozialisten und Kommunisten ebenfalls das Recht erhalten, im Ausmaß der gleichen Sendezeit eine Antwort zu geben.

Bemerkenswert ist, daß sowohl Mitterand wie Fabre, der Chef der linken Radikalsozialisten, bei ihren Gesprächen mit dem Präsidenten nicht ein einziges Mal das Wort „Linke Union“ oder „Gemeinsames Programm“ benutzt haben. Nach diesen Besuchen und den entsprechenden Kommentaren gehen - soweit es die gegenwärtige Opposition betrifft - die Wege wieder auseinander. Die KPF, die seit zehn Jahren so mühsam um ein friedliches Image gekämpft hat, muß nun auf das Schild, mit dem die sozialistische Partei so manchen Angriff auf ihren Partner abwehrte, verzichten.

So stellen sich bereits zahlreiche Politologen die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die kommunistische Partei wieder in ihr Getto zurück-

kehrt, das sie 1965 erstmalig verlassen hatte. Für die Sozialisten ist eine schwere Belastung weggefallen, die nicht zuletzt dazu geführt hat, der Präsidentschaftsmehrheit abermals zum Sieg zu verhelfen. Denn die Reaktionen vieler Bürger vor der Wahl wurden eindeutiger, als die alten Dämonen des Antikommunismus wieder sehr lebendig geworden waren.

Marchais bestätigte in einer Unterhaltung am 30. März im Elyseepalast dem Staatschef, daß er weiterhin eine absolute Oppositionspolitik betreiben werde. Auch Mitterand hat in ähnlicher Weise taktiert, seine Ausführungen sind jedoch um vieles nuancierter als die Erklärungen Marchais'. Freilich kann noch nicht von einer politischen Annäherung zwischen Giscard d'Estaing und Mitterand gesprochen werden. Trotzdem vermag diese erste Serie von Kontakten zwischen der Staatsführung und der Opposition dazu beitragen, die verkrampfte französische Innenpolitik aufzulockern und der Opposition ein Statut zu geben, wie dies etwa in der Bundesrepublik Deutschland, oder in Großbritannien der Fall ist.

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