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Supermündien?

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Die Unterschriften des Abschluß-aktes der KSZE-Konferenz in Helsinki waren noch nicht trocken, als die Diskussionen über Wert oder Unwert dieses Dokumentes einsetzten.

Seit die Sowjetunion die Sicherheitskonferenz anpeilte, zeigte sich Frankreich reserviert und die Skepsis über die Notwendigkeit dieses diplomatischen Aktes wuchs von Jahr zu Jahr. Wieweit werden die sozialistischen Staaten, unter Führung der Sowjetunion, die in Helsinki feierlich besiegelten Maßnahmen in Zukunft respektieren? In einer anderen Version heißt es, daß es sich bei der Konferenz darum gehandelt habe, ein Trojanisches Pferd in die westeuropäische Staatenwelt einzuschleusen. Mit gewissen Bedenken wurde eine Reaktion von kommunistischer französischer Seite registriert: In der theoretischen Zeitschrift der KPF, „France nouvelle“ vom 25. Juli war zu lesen: „Es ist notwendig, der Gipfelkonferenz einen richtigen Platz zu fixieren. Es handelt sich um eine Phase der Entwicklung. Wie bei jeder Phase konstituiert diese einen Zustand der Machtverhältnisse, also einen Kompromiß in einem bestimmten Augenblick. Es liegt bei den fortschrittlichen Bewegungen, eine Verlängerung zu sichern.“

Trotz zahlreicher Warnungen, der Begriff von einem „Supermünchen“ wurde geprägt, konnte Giscard d'Estaing natürlich nichts anderes tun, als ebenfalls das Dokument zu unterzeichnen. Paris wollte die traditionell guten Beziehungen zu Moskau nicht in Frage stellen, obwohl Frankreich, gelegentlich das Rumänien des Westens genannt, durchaus fähig gewesen wäre, in einem Alleingang die Befürchtungen zahlloser Europäer zu interpretieren. Die Diplomaten des Quai d'Orsays sehen im Abschluß der Gipfelkonfernz in Helsinki einen Triumph des Generalsekretärs der KPdSU. Aber erschien es notwendig, dem Mann der Entspannungspolitik Schützenhilfe zu gewähren, um nicht wieder die Atmosphäre des kalten Krieges zu beschwören?

Mit großer Sorge wird in Paris die Schwächung der amerikanischen Position analysiert, die sich seit Ende des Vietnamkrieges immer spürbarer bemerkbar macht. Der Rückzug der US-Truppen aus Europa scheint nach französischer Auffassung in nicht allzuferner Zeit eine Realität zu werden. Der Antagonismus zwischen Paris und Washington, noch zu Zeiten Pompidous sorgsam gepflegt, gehört der Geschichte an. Von kommunistischer Seite wurd Giscard d'Estaing mehr als einmal verdächtigt, er führe die Nation in den Schoß der NATO zurück. Diese Hypothese, eine Orientierung zur atlantischen Gemeinschaft, kann aus Rücksicht auf die stärkste Gruppe der gegenwärtigen Majorität, also der gaullistischen

UDR, nicht ernstgenommen werden. Die militärische und diplomatische Zusammenarbeit zwischen Paris und der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft hat jedoch unter Giscard dEstaing neue Akzente erhalten. Die Kooperation: französische Armee — atlantische Kontingente ist seit einigen Monaten verstärkt worden. Paris will unter keinen Umständen, daß die Amerikaner den alten Kontinent verlassen, um sich in eine glanzvolle Einsamkeit zurückzuziehen. Aber nicht nur aus müitänischen Gründen verlangt Frankreich die weitere Anwesenheit der Vereinigten Staaten in Europa. Aus dem Gespräch am Vorabend der KSZE-Konferenz zwischen dem französischen Staatspräsidenten und dem deutschen Bundeskanzler geht hervor, daß Frankreich für den schnellen Aufbau eines neuen internationalen Finanzsystems eintritt. Es wäre natürlich eine Utopie, eine solche monetäre Ordnung in Erwägung zu ziehen, ohne die aktive Zustimmung der USA erhalten zu haben. Deshalb plädiert Giscard d'Estaing seit kurzem für die Schaffung eines Clubs der fünf wichtigsten Industrienationen der Welt, also USA, Großbritannien, Japan, Frankreich und Deutschland. In diesem geschlossensten aller Clubs sollen jene Strukturen diskutiert werden, die in der Lage wären, die sich drohend abzeichnende Weltwirtschaftskrise zu bannen. Nachdem die Bundesrepublik den Plan des französischen Staatsoberhauptes bereits angenommen hat und auch die angelsächsischen Mächte nicht dagegen sind,1 besteht eine Chance, daß dieses Spitzengremium in Bälde Wirklichkeit wird. Vor und nach Helsinki ventilierte Giscard d'Estaing seine Lieblingsidee, eine Konferenz zwischen ölpro-duzierenden und ölkonsumierenden Staaten unter Hinzuziehung von Ländern der dritten Welt zu organisieren. Wir erinnern, daß eine solche Tagung, von Paris einberufen, im April 1975 kläglich, scheiterte. Nun scheint die Zeit für die Idee eher reif zu sein. Auch in diesem Punkt erhielt Giscard d'Estaing von seinen wichtigsten Partnern grünes Licht. Die zahlreichen diplomatischen

Begegnungen und Verhandlungen, die sich seit Beginn des Sommers immer mehr häuften, unterstrichen eine Tatsache, die Frankreich erst jetzt bewußt zur Kenntnis nimmt: die wirtschaftliche Großmacht Deutschland ist in diesen Wochen auch ein politischer Faktor ersten Ranges geworden. „Früher sprachen wir über Deutschland in den internationalen Konferenzen, jetzt sind solche Zusammenkünfte ohne die Delegierten der Bundesrepublik kaum mehr denkbar“, meinte etwas melancholisch ein hoher französischer Diplomat. Aber Giscard d'Estaing hat mit seiner Außenpolitik bewußt auf die guten Relationen zu Bonn hingezielt, und diese konstruktive Politik trägt jetzt ihre Früchte.

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