6803473-1971_46_08.jpg
Digital In Arbeit

Und Europa…?

Werbung
Werbung
Werbung

Ende Oktober besuchte der allmächtige Generalsekretär der kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Breschnjew, die Hauptstadt der V. Republik. Obwohl die Huldigungen der Pariser Bevölkerung, die dem hohen Gast bestimmt waren, spärlich ausfielen — die kommunistische Bruderpartei mobilisierte lediglich einige Tausend Anhänger — ist doch diese Visite ein wichtiger Meilenstein der europäischen Nachkriegsgeschichte. Nachdem General de Gaulle 1966 der Diplomatie seines Landes neue Ziele setzte, wurden die Kontakte mit der mächtigsten Kontinentalmacht sorgfältiger gepflegt, als es je seit 1944 (Reise de Gaulles nach Moskau) der Fall gewesen war. Der General wollte ein weltpolitisches Gegengewicht zu den USA schaffen. Weiters sollten die sozialistischen Länder Osteuropas, dank einem von Frankreich geförderten Emanzipierungsprozeß, die gaullistische Theorie von der Souveränität der Staaten annehmen und nicht ständig nach Moskau, sondern gelegentlich nach Paris blicken. In einer Reihe von Begegnungen mit den rumänischen und polnischen Staats- und Parteimännern hatte General de Gaulle seine Ansicht bekräftigt, daß die Zeit der Machtblöcke — der schaurigen Überreste der Jaltakonferenz — endgültig zu bereinigen sei.

Der französische Staatspräsident ist dabei von bestimmten Thesen ausgegangen: Nur ein wirtschaftlich und politisch vereintes Westeuropa wäre ein entsprechender Gesprächspartner der beiden Imperien. Darum hat auch de Gaulle, trotz manchmal geschickt ausgespielter Krisen, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als Basis seiner Politik betrachtet. Im Zentrum seines außenpolitischen Konzeptes stand eine enge und freundschaftliche Kooperation mit der Bundesrepublik. Allen Wünschen seiner östlichen Gesprächspartner, Paris möge die DDR staatsrechtlich anerkennen, setzte er ein energisches „Nein“ entgegen. „Das ist ein künstlich geschaffener Staat“, erklärte er einmal unmißverständlich seinen sowjetischen Gesprächspartnern.

Sein Nachfolger, Georges Pompidou, hat die außenpolitischen Vorstellungen der V. Republik revidiert, die planetaren Visionen des Generals eingeengt. Die europäische Komponente der französischen Außenpolitik wurde akzentuiert. Pompidou betonte stärker die Notwendigkeit einer politischen Union Westeuropas. Er hoffte, in der sozial-demokra tisch-liberalen Regierungskoalition Bonns einen aufgeschlossenen Partner zu finden. Am Beginn seiner Regierungszeit stand die Gipfelkonferenz von Den Haag. Der europäische Geist, in der niederländischen Hauptstadt beschworen, wurde vom französischen Staatsoberhaupt mehr als einmal als positives Beispiel seiner Nation und den übrigen Mitgliedern der EWG vprgehalten. Das zweite Staatsoberhaupt der V. Republik ging von der Voraussetzung aus, daß die seit Adenauer, Robert Schuman und de Gaulle entstandene Freundschaft zwischen Frankreich und dem deutschen Volk die Grundlage eines zukünftigen politischen Europa sei. Pompidou ließ sich von keinerlei Sirenentönen aus dem Osten betören. Er beobachtete mit Skepsis die lautstark vorgetragenen

Projekte hinsichtlich einer europäischen Sicherheitskonferenz und lehnte die von Moskau gepredigte einseitige Abrüstung des Westens entschieden ab. Allerdings ermutigte er den Bundeskanzler, die latenten Spannungen gegenüber dem Ostblock abzubauen und die Beziehungen zwischen Bonn und Moskau zu normalisieren. Dieser Vorgang sollte allerdings von ständigen engen Konsultierungen zwischen Paris und Bonn begleitet werden. Die Verhandlungen und Abschlüsse mit den östlichen Staaten, von Bonn realisiert, wurden daher in Paris mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Offiziell begrüßt, konnte doch der findige Beobachter in den Erklärungen der französischen Staatsmänner und Diplomaten, den Kommentaren der Presse, eine deutliche Unruhe herauslesen. Würde nicht etwa Bonn die bisherigen engen Klammern zum Westen, von Adenauer kunstvoll geschmiedet, lockern und teilweise lösen?

Nach Pariser Auffassung verwässert gegenwärtig die Bundesrepublik die Solidarität innerhalb der EWG. Der Alleingang in monetären Fragen, die deutsch-französischen Zusammenstöße in den Währungskonferenzen des Frühsommers, haben das Klima zwischen Frankreich und Deutschland erheblich verschlechtert. Darüber können die begeisterten Zustimmungen der französischen Zeitungen anläßlich der Zuerkennung des Friedensnobelpreises an Bundeskanzler Brandt nichts ändern. Noch handelt es sich um Fragen des Stils. In Paris wird mit steigender Verbitterung die dogmatische und professorale Art des Superministers Schiller kritisiert, der nicht bereit zu sein scheint, die zahlreichen französischen Vermittlungsangebote in währungstechnischen Fragen seinem eigenen Spiel einzuordnen. Sicherlich ist das persönliche Verhältnis zwischen dem französischen und dem deutschen Finanzminister nicht das beste. Auch hier wären anstelle vager Enuntia-

tionen klare Stellungnahmen Bonns erwünscht. Man ist in Paris darüber verstimmt, daß die Bundesrepublik den europäischen Agrarmarkt vielfach aushöhlt und dieses Herzstück der EWG am liebsten beiseite schieben möchte. Unklare Hinweise des deutschen Landwirtschaftsministers in der Frage der Abgaben bei Agrarimporten haben dieses Pariser Mißbehagen angeheizt.

Frankreich hatte sich von einer technologischen Zusammenarbeit mit Deutschland viel erwartet. Als glänzendes Beispiel einer technischen Koordinierung wurde die gemeinsame Konstruktion des Flugzeuges Airbus A 300 B angesehen. Die Vollendung dieses Apparates nimmt im französischen Denken dieselbe Rolle einer glücklichen Gemeinschaftsleistung ein, wie dies das Überschallflugzeug Concorde zwischen England und Frankreich darstellt. Mit peinlicher Überraschung werden nun gewisse Vorbehalte Bonns bezüglich dieses Projektes registriert. Eine Absage Bonns würde die zukunftsträchtigen Pläne einer deutsch-französischen technischen Gemeinschaftspolitik am Lebensnerv treffen und sie durch eine französisch-sowjetische ersetzen.

Bundeskanzler Brandt war gut beraten, als er dem Präsidenten Pompidou seinen Wunsch bekundete, persönlich vor der nächsten Routinebesprechung im Jänner ein französisch-deutsches Gipfeltreffen zu inszenieren. Die Freundschaft zwischen Paris und Bonn ist noch nicht in eine Talsohle gelangt. Nach französischer Meinung wäre es an der Zeit, die Mißverständnisse der letzten Monate zu bereinigen. In dieser Hinsicht wird ein baldiges Treffen zwischen Pompidou und Brandt, welches im Schatten des Breschnjew- Besuches steht, aufrichtig begrüßt. Denn die beiden Männer müssen sich über die nächsten Etappen der Europäischen Integrierung einig werden und vor allem die Konturen Europas für die nächsten zehn Jahre abgrenzen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung