6794973-1971_06_06.jpg
Digital In Arbeit

Pompidous Traum

19451960198020002020

Als im Dezember 1969 auf Anregung des frisch gewählten Staatspräsidenten Pompidou eine Konferenz der sechs Verantwortlichen der EWG in Den Haag abgehalten wurde, glaubte man vorübergehend, Frankreich werde originelle Initiativen für die europäische Einigung entwickeln. Aber der „große Vater” wachte, und seine Nachfolger waren kaum bereit, das gaullistische Erbe, in dessen Mittelpunkt absolute staatliche Souveränität stand, aufzugeben. Nach wie vor wurden die Grenzen für die politische Einigung Europas durch die zwei Fouchet-Pläne von 1961 und 1962 bestimmt. Die am 27. Oktober 1970 unter dem Namen „Comite Avignon” angenommenen Beschlüsse bezüglich der politischen Union Europas sind keineswegs ehrgeiziger oder revolutionärer als die von de Gaulle sanktionierten Projekte des früheren französischen Innen- und Unterrichtsministers Fouchet.

19451960198020002020

Als im Dezember 1969 auf Anregung des frisch gewählten Staatspräsidenten Pompidou eine Konferenz der sechs Verantwortlichen der EWG in Den Haag abgehalten wurde, glaubte man vorübergehend, Frankreich werde originelle Initiativen für die europäische Einigung entwickeln. Aber der „große Vater” wachte, und seine Nachfolger waren kaum bereit, das gaullistische Erbe, in dessen Mittelpunkt absolute staatliche Souveränität stand, aufzugeben. Nach wie vor wurden die Grenzen für die politische Einigung Europas durch die zwei Fouchet-Pläne von 1961 und 1962 bestimmt. Die am 27. Oktober 1970 unter dem Namen „Comite Avignon” angenommenen Beschlüsse bezüglich der politischen Union Europas sind keineswegs ehrgeiziger oder revolutionärer als die von de Gaulle sanktionierten Projekte des früheren französischen Innen- und Unterrichtsministers Fouchet.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Comite Avignon sieht jährlich zwei Versammlungen der EWG-Außenminister vor, ein ständiges Sekretariat für die Direktoren der politischen Abteilung der jeweiligen Außenministerien und eine engere Kooperation der Botschaifter der EWG in Drittländern. Die erste Konferenz der Außenminister 1970, an München, hat wieder gewisse Erwartungen geweckt, die aber keineswegs die Vorschläge des Comite Avignon sprengten. Immerhin gehört es zur guten Sitte der Außenminister, persönliche und regelmäßige Konsultiemngen einzuleiten und die jeweiligen Partner nicht vor faits accomplis zu stellen, wie dies zu Zeiten de Gaul-les gang und gäbe war.

Ist die politische Einheit Europas auch 1971 ein Traum? Mit einem Nein antwortete Georges Pompidou am Vorabend der Besuche Willy Brandts und dier italiendischien Staatsmänner Colombo und Moro vor wenigen Tagen in einer Presse-konifierenz. Seit dem Tode de GauUes wuirde damit zum erstenmjal von autorisierter französischer Seite eine Bresche in die Gedankenwelt des Begründers der V. Republik geschlagen, und zwar von seinem Nachfolger, der wohl das Erbe erhält, aber es nach eigenem Gutdünken moder nisieren möchte. Das Anathema gegen die Europäischen Behörden — einstens liebstes Angriffsziel des Generals und seines treuen Leutnants Debrė — ist gefallen. Die Brüsseler Kommission sei gut und nützlich, proklamiert der französische Staatschef, alber jede Verwaltung müsse einer Exekutive Rechenschaft ablegen, und die Bildung einer solchen würde die europäische politische Einheit fördern.

Die Supranationalität ist nach wie vor das unbeliebteste Kind des Quai d’Orsay, aber man glaubt in Paris, mit dem pragmatischen Sirm des deutschen Bundeskanzlers rechnen zu können, der ebenfalls eine übernationale Europäische Gemeinschaft erst für die kommende Generation als erstrebenswert ansieht Pompidou und seine Ratgeber optieren eindeutig für eine europäische Konföderation, die später in die Strukturen eines Bundesstaates münden kann. Getreu den gaullistischen Vorstellun-gm geht jedoch Pompidou von der Tatsache aus, daß die westeuropäischen Staaten nach wie vor eigene nationale Interessen vertreten und es unzulässig wäre, wenn ein Land das andere durch eine Zufallsmehrheit in einer Kommission majorisie-ren könnte.

Frankreich möchte mit den EWG-Partnern und unter Einschluß Großbritanniens Pläne entwicdceln, die eine Bindung der europäischen Staaten und die gemeinsame Vorbereitung einer europäischen Sicherheitskonferenz mit den sozialistischen Ländern in die Wege leiten. Der Wille, die Organisation des Gemieinisamen Marktes zu erweitem, ist in Paris nach wie vor lebendig und mag in den Zusammenkünften Pompidou-Brandt sowie Pompidou-Colomibo an Relief gewinnen. Paris will jedoch nicht utopischen Plänen nachhängen und vor Termine gestellt werden, die 1980 ihre Verwirklichung finden. Das Projekt einer europäischen Währungsunion wird daher von französischer Seite weiterhin skeptisch beobachtet, und der diesbezügliche „Plan Werner” hatltie in Paris lediglich einen Achtungserfolg. Frankreich möchte eine erste Etappe der finanziellen Zusammenarfseit in Europa fixieren, wobei ein englischer Beitrag verlangt und einkalkuliert wird. Man betrachtet allerdings in Paris mit Sorge die steigende antieuropäische Haltung des englischen Parlaments und sieht schwierige Verhandlungen mit Großbritannien in der Frage der europäischen Agrarflnanzierung voraus. Das englische Angebot einer Teilnahme von 15 Prozent wdird als ungenügend gewertet und ein Limit von 23 bis 25 Prozent als englischer Anteil vorausgesetzt. Paris wird in den kommenden Monaten alles tun, um das Verhältnis mit London freundschaftlich zu gestalten und eine Neuauflage der Entente cordiale den Engländern schmackhaft zu machen. In diesem Zusammenhang sei der Wille Pom-pidous vermerkt, die Beziehungen mit Madrid und die Eingliederung

Spaniens in eine westeuropäische Gemeinschaft zu fördern. Die anläßlich des Burgos-Prozesses ausgelösten Spannungen zwischen Frankreich und Spanien wurden von Staatspräsident Pompidou unterspielt, und das französische Femsehen wie die Pariser Presse erhielten von höchster Stelle einen Tadel wegen ihrer „suibjektiven Berichterstattung” in der baskischen Frage. Als „fern der Träume” bezedohneit der politische Kommentator des „Figaa-o”, Roger Massip, ddie Binstel-lurug Pompidous gegenüber Europa: Ein Europa der Tatsachen ja, ein Europa der Wünsche nein, Einheit Europas in zehn Jahren ja, Verneinung der europäischen Staaten und Aufgehen in eine Supranationalität nein. Das etwa ist die politische Philosophie Georges Pompidous und seiner Mannschaft am Beginn neuer europäischer Versuche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung