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Die Bürger der V. Republik sahen in kurzem Abstand Georges Porii-pidou zweimal auf der Mattscheibe des Fernsehgerätes. Am 27. September hielt der Staatspräsident seine neunte Pressekonferenz ab und antwortete in jovialster Weise. Die Journalisten zeigten sich gezähmt und gesittet und stellten im wesentlichen nur Fragen, die Pompidou erwartet oder provoziert hatte. Am 24. Oktober plauderte der Präsident mit einem Kommentator und erklärte seinen Willen, vorläufig kein Referendum durchzuführen. Georges Pompidou hatte nämlich die politische Elite in Verwirrung gebracht, als er eine Verfassungsänderung in Aussicht stellte. Das Mandat des Präsidenten sollte von sieben

auf fünf Jahre verkürzt werden. Die Initiative dazu ging eindeutig vom Staatschef aus, würde von der Regierung mit wenig Begeisterung aufgenommen und von den Altgaullistenenergisch bekämpft. Die früheren Ministerpräsidenten Michel Debre und Couve de Murville fron-dierten sogar öffentlich und beugten sich auch während der Abstimmung in der Kammer nicht der Parteidisziplin.

In kritischen Augenblicken hat die Staatsführung unter Umgehung der gesetzgebenden Versammlungen stets einen direkten Kontakt zu den Wählern aufgenommen. Seit de Gaulle an die Macht gekommen war, wurden drei Methoden gefunden, um aktuelle Schwierigkeiten zu bannen. Die direkte Volksbefragung war das bevorzugte Instrument de Gaulies, welches ihm gestattete, sein persönliches Charisma durch das Volk bestätigt zu sehen.

Als Georges Pompidou heuer das Projekt einer Verfassungsreform entwickelte, fragten sich die politischen Pariser Kreise sofort, ob ein neuerliches Referendum in der Luft liege. Dieses würde selbstverständlich eine Wiederholung der Präsidentschaftswahl von 1969 bedeuten oder es würde der Prolog für den Wahlgang 1976 sein. Pompidou erkannte die Gefahr und dürfte in nächster Zeit kaum ein Referendum ansetzen.

Bleibt der Dialog mit der Nation über Fernsehen und Rundfunk. Bereits de Gaulle hatte die Bedeutung dieser Massenmedien richtig eingeschätzt und wußte sie meisterlich zu handhaben. Als in Algerien die Generäle putschten, wandte sich de Gaulle über den Rundfunk an die Soldaten und verbot ihnen, den aufständischen Offizieren zu gehorchen. Dadurch brach die Revolte in wenigen Stunden zusammen. Unvergessen bleibt die Ansprache des Generals am Höhepunkt der Maikrise von 1968. Dank dieses psychologisch klugen Eingreifens vermochte de Gaulle die Magie seiner Persönlichkeit in den Vordergrund zu rücken. Weder die rebellierenden Studenten noch die streikenden Gewerkschaften konnten diesen großartigen sieben Minuten etwas Gleichwertiges entgegensetzen. Sie hatten allerdings auch kein Fernsehen und keinen Rundfunk zur Verfügung.

Georges Pompidou stellte sich

dank dem Fernsehen in angemessenen Fristen der Öffentlichkeit und nahm die Traditionen seines Vorgängers auf. Die Pressekonferenzen wurden zwar weniger feierlich zelebriert, den Journalisten standen größere Freiheiten zu, die Methode blieb aber die gleiche. Das Parlament wird weiterhin nicht jene Rolle spielen, die der Volksvertretung in reinen Parteiendemokratien zusteht. Die Volkssouveränität in-karndert sich nicht in den Männern und Frauen, welche im Palais Bour-bon und im Palais Luxembourg die Gesetzesvorlagen der Regierung kommentieren und kritisieren. Der Präsident bleibt das Herzstück der gaullistischen Institutionen. Es ist daher verständlich, daß das

Elysee die technischen Voraussetzungen für dieses subtile Gleichgewicht der politischen Kräfte unter Kontrolle halten will. Wie in jeder (ach so glücklichen) Konsumgesellschaft ist das liebste Spielzeug der Franzosen neben dem Auto der Fernsehapparat. Selbst die ärmsten

Bauernhütten der Pyrenäen oder Hochsavoyens sind mit dem Zeichen des Fortschritts in Gestalt einer Fernsehantenne geschmückt. Frankreich genießt alle zweifelhaften Vorzüge einer kompletten Telekratie. Nun handelt es sich bei den staatlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten um einen höchst nervösen Körper, der gelegentlich von Krisen befallen wird. Bisher blieben elf Generalintendanten oder -direkto-ren auf der Strecke. Die Oppositionsparteien klagen häufig; daß ihnen der Zugang zu diesem Massenmedium versperrt sei. Schon die parlamentarischen Regierungen der IV. Republik zeigten sich schwierig, sobald es darum ging, politischen Gegnern die Mattscheibe freizugeben. Dem in Opposition stehenden General de Gaulle wurde niemals die Möglichkeit geboten, über das Fernsehen mit seinen Landsleuten ins Gespräch zu kommen. Es gab eine Epoche in der V. Republik, da der jetzige Finanzminister Giscard d'Estaing, in Ungnade gefallen, nicht der Ehren des Fernsehens für würdig gehalten wurde. Der Fernsehzuschauer wird gegenwärtig vergeblich eine größere Sendung erwarten, in der etwa ein Sartre erscheint. Malraux dagegen wird häufig als Kenner und Interpret von Problemen in Bild und Ton gefeiert. Oft tauchen technische Störungen gerade dann auf, wenn ein Chef der Linken zu Worte kommt. Vor zwei Jahren brach beim ORTF ein peinlicher Skandal aus. Findige Abteilungsleiter und Reporter hatten mittels raffinierter Schleichwerbung Quellen eines florierenden Nebenerwerbs erschlossen.

Staatspräsident Pompidou griff persönlich ein und setzte die Ernennung des gaullistischen Abgeordneten Arthur Conte durch, der bereits als Journalist und Schriftsteller ejnen,- Namen, hatte. Diese, robuste, Persönlichkeit stammt aus den östlichen Pyrenäen und sein starker

Akzent reizte die Spötter in den Pariser Salons. Arthur Conte war ursprünglich Abgeordneiter der sozialistischen Partei, verließ diese aber, um gegen die Allianz mit den Kommunisten zu protestieren. Die Regierung hatte sich entschlossen, einen politischen Generaldirektor zu wählen, der weitreichende Vollmachten erhielt, aber doch vom Informationsminister abhing. Letzterer sollte in erster Linie die finanzielle Verwaltung der ORTF überwachen, mischte sich jedoch des öfteren in die Programmgestaltung ein. Zwei Konzepte standen einander gegenüber. Arthur Conte schwor auf eine strenge Zentralisierung, sah sich als die Verkörperung des Fernsehens — er ließ sich gerne als „Monsieur ORTF“ bezeichnen — und kämpfte gegen die Einmischung staatlicher und parteipolitischer Stellen in seine Geschäftsführung. Er verkündete mehrfach, sein Ziel sei es, ein Statut für die ORTF zu erreichen, welches dem englischen Vorbild BBC nahekommt. Informationsminister Ma-laud wiederum sprach sich für eine Dezentralisierung aus und wünschte drei autonome Fernsehkanäle. Der erste sollte durch Gebühren, der zweite durch Werbung, der dritte von den regionalen Landtagen, Zei-___,X'vr—IhL-i——

tungen und Zeitschriften finanziert werden. Die 17.000 Angestellten der ORTF bekannten sich fast geschlossen zum Konzept ihres Generaldirektors. Die Mitarbeiter sprachen von der Gefahr einer Privatisierung, zumindest des zweiten Kanals.

Die persönlichen Gegensätze zwischen Minister Malaud und Arthur Conte verschärften sich während dieses Herbstes. Mitte Oktober wandte sich der Generaldirektor an die Öffentlichkeit und prangerte in schärfsten Tönen den politischen Druck an, der von Regierungsseite auf ihn ausgeübt werde. Der Informationsminister wiederum richtete einen Brief an den Stellvertreter Arthur Contes und kritisierte die Radiosendung „France Culture“. Diese stünde unter absolutem Einfluß der kommunistischen Partei und der Gewerkschaft CGT. Der Minister hakte an einer weiteren schwachen Stelle ein und zeigte Mängel der finanziellen Gebarung auf.

Vollkommen überraschend wurde dann der mit großen Vorschußlorbeeren bedachte Generaldirektor am 24. Oktober entlassen. Aber auch Minister Malaud mußte sein Portefeuille aufgeben und sich mit einem zweitrangigen Ministerium begnügen. Die Regierung ernannte als Nachfolger Arthur Contes den Verwaltungstechnokraten Marceau Long, der bisher Generalsekretär des Verteidigungsministeriums war. Diesem wurde aufgetragen, die Dezentralisierung der ORTF auszuführen und eine gesunde Verwaltung zu entwickeln. Am Abend seiner Entlassung hielt Arthur Conte im Theätre Marigny einen Vortrag über die Freiheit des Fernsehens. Er wurde von seinen Zuhörern frenetisch gefeiert. Die Schlußfolgerungen seiner Ausführungen verdienen, festgehalten zu werden: „Wenn ein Fernsehen der einen Hälfte der Bevölkerung gegen die andere dient, kann man nicht mehr von Demokratie sprechen. Das Fernsehen schafft erst die Grundlage für eine direkte Demokratie. Dieses Phänomen wurde von den politischen Parteien zuwenig bedacht.“

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