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Wieder Soustelle

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Das gaullistische Epos hat so manchen Gegner des Generals viele Jahre Zuchthaus oder schmerzliches Exil gekostet. Der höchstdekorierte offizier der französischen Armee, Salan, mußte seine falschverstandene Treue gegenüber dem französischen Algerien mit lebenslänglichem Gefängnis bezahlen. Dank der Maikrise wurden er und brillante Stabsoffiziere, die im Zentralgefängnis von TuUe melancholisch Fußball spielten, befreit. Sie kämpfen heute noch um eine vollständige Rehabilitierung und werden in ihren Pensionsansprüchen geschmälert oder überhaupt von starrköpfigen Verwaltungsstellen abgewiesen.

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Das gaullistische Epos hat so manchen Gegner des Generals viele Jahre Zuchthaus oder schmerzliches Exil gekostet. Der höchstdekorierte offizier der französischen Armee, Salan, mußte seine falschverstandene Treue gegenüber dem französischen Algerien mit lebenslänglichem Gefängnis bezahlen. Dank der Maikrise wurden er und brillante Stabsoffiziere, die im Zentralgefängnis von TuUe melancholisch Fußball spielten, befreit. Sie kämpfen heute noch um eine vollständige Rehabilitierung und werden in ihren Pensionsansprüchen geschmälert oder überhaupt von starrköpfigen Verwaltungsstellen abgewiesen.

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Einer der intelligentesten Männer des Widerstandes und eine Stütze der Vierten Republik, Georges Bidault (Präsident des Widerstandsrates, Mitbegründer und langjähriger Präsident der christlich-demokratischen Partei MRP, Ministerpräsident und Außenminister), verteidigte die französischen Rechte in Nordafrika und mußte dem Zorn des Olympiers weichen. De Gaulle und Bidault haben nie harmoniert und die Tragödie sich teilweise aus der Ggnesohaft dieser beiden Persönlichkeiten erklären. Der General hat aber audi engste Parteifreunde, ja seinen unmittelbaren Mitarbeiter in London in die Flucht gejagt und der erste GauUist, Jacques Saustelle, Chef des französischen Geheimdienstes während des Krieges, Generalsekretär der gaullistischen Sammelpartei RPF, Begründer der jetzigen Staatspartei UDR mußte ebenfalls durch sieben Jahre das „Europa der Polizisten" kennenlernen.

Von Portugal in die Schweiz, von der Eidgenossenschaft nach Österreich irrte der geistreiche Herold, eine echte politische Begabung, der wie sein Kollege Bidault den Aufstand des 13. Mai 1958 umfunktionierte und in der neuen Machtübernahme de Gaulies die Beständigkeit eines französischen Algerien sah. „Die verratene Hoffnung" titulierte Jacques Soustelle sein biographisches Werk, das net>en dem Buch „Der Traum von Frankreichs Größe" zu einer wichtigen zeitgenössischen Quelle der jüngsten Nachkriegsgeschichte wurde. Soustelle ist nicht nur ein profilierter Politiker, sondern auch ein weltbekannter Ethnologe, dessen Studien über die vorkolumbianischen Kulturen („So lebten die Azteken", „Die Kunst des alten Mexiko") das Wissen über diese Epoche grundlegend bereicherten. Zwischen de Gaulle und Soustelle bestand immer ein Spannungsverhältnis. Der General hatte seinem Leutnant nie verziehen, daß dieser allen Ernstes an die Bildung einer Regierung in der ausgehenden Vierten Republik dachte. Staatspräsident Pompidou hat dem ehemaligen Parteigenossen, der sein Schulkamerad war, in seiner letzten Pressekonferenz goldene Brücken gebaut und eine endgültige Versöhnung angedeutet. Soustelle anerkennt die Legitimität des Staatsoberhauptes, die sich nicht aus einer gaullistischen „Erbfolge" ableitet, sondern in direkter und freier Volkswahl gefunden wurde. Zwisdien Versöhnung und Opposition gründete der Exminister eine neue Partei „Fortschritt und Freiheit", der es gelimgen ist, Ende Jänner in Versailles 600 Delegierte zu versammeln. Einstige illustre Namen des französischen Algerien, von der schnellebigen Geschichte vergessen, traten wieder an das Licht der Öffentlichkeit, darunter der wendige gaul-listlsche Agent Leo Delbecque, der 1958 dem Oberkommandierenden in der französischen Armee, Salan, in Algerien die gaullistische Lösung suggeriert hatte.

Der einstige überzeugte Antifaschist und Linksintellektuelle Soustelle, später lÄtra-Wationalist fnd der extremen Rerten zuneigendH be-zeichnet sich gegenwärtig als ein Mann des linken Zentrums. Pompidou sucht sichtlich Soustelle in das inner-politische Spiel einzuschalten, da er mit der Partei „Fortsohritt und Freiheit" das Zentrum Lecanuets treffen möchte, welches sich ungefügig zeigt und dem Pompidou-Regime Konzessionen versagt

Einzelne Barone des Gaullismus, wie der Armeeminister Debrė, sind dem ehemaligen Kollegen weiterhin böse. In den letzten Tagen haben auch die meisten der grimmigsten Gegner Soustelles resigniert und nehmen das Parteiprogramm des einstigen Mitstreiters mit gemischten Gefühlen, aber nach außen hin positiv entgegen. Der Parteigründer anerkennt die Einrichtungen der Fünften Republik und die Entwicklung zu einem Präsidialregime ä la Pompidou. Auch in den europäischen Belangen respektiert der Chef von „Fortschritt und Freiheit" die Normen der pompidou-listischen Außenpolitik, die auf eine europäische Konföderation und echte Währungs- und Wirtschaftsunion hinzielen. Soiistelle verlagert das Gewicht der europäischen Union etwas und will eine organische Verbindung mit der iberischen Halbinsel imd den überseeischen Besitzungen Portugals in Afrika herstellen.

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