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GEORGES POMPIDOU / BANKHAUS UND BAUDELAIRE

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Der Sieg de Gaulles bei der Volksabstimmung hat zu den vorausgesagten Veränderungen geführt. Der General hat, wie man sagt, nicht nur den 17,5 Millionen Jastimmen, sondern auch den unzählbaren, aber zweifellos vielen „Ja, aber .. .“-Stimmen unter ihnen Rechnung getragen, freilich auf seine eigene Weise. Er folgte nicht dem Rat seines bisherigen Ministerpräsidenten, der zu baldigen Neuwahlen drängte. Die Rückkehr zur Regierungspraxis der Vierten Republik, welche die Parteien mit ihren „Ja, aber .. .“-Erklärungen unmißverständlich gefordert haben, ist allerdings auch nicht sein Weg . ..

Die Lösung heißt: Georges P o m-p ido u. Kein Parlamentarier, kein Parteimann, noch niemals Minister gewesen. Er ist etwas anderes: ein Freund und Ratgeber des Generals.

Es lag nahe, daß die Pariser Linkspresse den neuen Ministerpräsidenten mit dem Hinweis zu diffamieren versuchte, daß mit ihm, der bekanntlich Generaldirektor des Bankhauses Rothschild ist, das „Monopolkapital“ unmittelbar in das Geschehen eingreift, um die parlamentarische Demokratie endgültig zu liquidieren. Abgesehen davon, daß das Pariser Bankhaus in der Rue Laffitte nur das äußere Symbol eines weit komplizierteren und längst institutionell gewordenen Apparates weitverzweigter industrieller und handelspolitischer Verflechtungen ist, ohne die ein moderner Industriestaat eben nicht zu denken wäre, trifft der Versuch, Georges Pompidou als „Bankier“, der vielleicht in einem Roman von Balzac seinen Platz hätte, hinzustellen, in mehr als einer Hinsicht ins Leere.

Georges Pompidou wurde am 5. Juli 1911 in Montboudif, Au-vergne, geboren. Sein Vater war byrnnasialprofessor, Kollege von Henri de Gaulle, dem Vater des Generals. Er war ein Vorzugsschüler zunächst in Albi, dann im berühmten Lycie Louis-le-Grand. Als Student gehörte er jenem Ecole normale supirieure in der Pariser Rue d'Ulm an, dessen Absolventen im geistigen und politischen Leben der Zuritten, Vierten und nunmehr auch der Fünften Republik viele wichtige Positionen einnehmen. Er war also, was für Nichteingeweihte vor allem im Ausland eine nichtssagende Bezeichnung sein mag, ein „Normalien“ ; und nur wenn man das weif!, wird manches in seiner weiteren Laufbahn verständlich.

Die äußeren Lebensdaten können nur vage Konturen aufzeigen: Gymnasialprofessor in Marseille, später im Lyeie Henry IV. Eine Studie über Racines „Britanniens“, Bücher über Taine und Malraux. Eine Anthologie französischer Dichtung, in der Baudelaire bevorzugt in Erscheinung tritt.

In den Jahren 1944 bis 1946 gehörte Po<mpidou zu den engsten Beratern des Generals. Von da an war er immer wieder mit neuen Verwaltungsaufgaben betraut, schließlich wurde er 1954 Generaldirektor des Bankhauses Rothschild und 195$, für kurze Zeit, Kabinettchef bei dem damaligen

Ministerpräsidenten de Gaulle. Es war schließlich Pompidou, der im Auftrag des Präsidenten 1961 die ersten geheimen Kontakte mit der algerischen Exilregierung zunächst in der Schweiz und dann in Tunis aufnahm, die zu den Verhandlungen von Evian führten.

Seine neue Aufgabe ist nicht weniger heikel. Er soll, nach Ansicht mancher Kenner des Generals, eine Art „Öffnung nach links“ versuchen: und das soll vor allem die enge Heranziehung des christlichrepublikanischen MRP bedeuten, der Partei des früheren Ministerpräsidenten Pierre Pftimlin und des früheren Staatssekretärs im Außenministerium Maurice Schumann, die beide heute im Kabinett Pompidou wichtige Posten innehaben. Während die gaullistische Partei ihren Höhepunkt überschritten zu haben scheint, ist'nach Urteil vieler das MRP „im Kommen“. Das bedeutet unter anderem neue, verstärkte Akzente in der französischen Europapolitik. Wie dem auch sei: der Freund des Generals, der Bankier und Literat Georges Pompidou, hat seinen Auftrag, dessen er sich bis zu den Neuwahlen im nächsten Jahr zu entledigen hat. Es ist somit ein zeitlich begrenzter, aber ein schwerer Auftrag, der seinen Mann ehrt.

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