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Reform auf französisch

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Der bisherige Ministerpräsident Pompidou nimmt eine viel konservativere Haltung ein und warnt vor jeder Überstürzung. Der eigentliche Zweck der Ersetzung Pompidous durch Couve de Murville bestand darin, eine Persönlichkeit zu finden, die genügend staatsmännische Reife und Erfahrung besitzt, um jederzeit aus dem Eisschrank hervorgeholt zu werden. Der General trifft politische und personelle Entscheidungen in absoluter Einsamkeit. Die bestinfor- miertesten Nachrichtenjäger in Paris müssen eingehend die Form dieser Regierungsumbildung analysieren und gewinnen dadurch erst ein Bild von den Überlegungen des Staatschefs. Uns steht lediglich der Ab schiedsbrief de Gaulles an Pompidou zur Verfügung. Er ist erstmals eindeutig abgefaß't, so daß man jetzt den Kandidaten des Elysėe-Palastes für die höchste Würde im Staate kennt. De Gaulle erklärt: „Wo Sie auch sind, mögen Sie wissen, lieber Freund, daß ich mit Ihnen weiterhin engste Beziehungen pflege. Darüber- hinaus wünsche ich, daß Sie sich bereit halten, alle Aufgaben und jedes Mandat zu erfüllen, welches Ihnen einmal die Nation anvertraut.“

Betrachtet man die Zusammensetzung des Kabinetts Couve de Murville, lautet das sofortige Urteil: Es ist in erster Linie eine Regierung de Gaulle der vorzüglichen Fachmänner und jener großen Diener des Staates, die bereitwillig seine Vorstellungen durchführen.

Diese Regierung ist keine Zusammenfassung von Politikern und Parteisekretären. Der frühere Ministerpräsident Pompidou — der maßgebenden Einfluß in der Parlamentsfraktion besitzt — kann sich in Ruhe vorbereiten. Denn wie immer man die einzelnen Minister und Abgeordneten einschätzt, keiner weist eine solche Ausstrahlung auf wie sie Pompidou zeigt.

Nach dem Willen des Staatschefs möge Couve de Murville in seinem Auftrag die umfassenden Reformen verwirklichen, die von der Mairevo- liution verlangt worden sind. Der bisherige Zentralismus soll verschwinden; Paris ist keineswegs der Mittelpunkt. Das jakobinische Prinzip wird durch eine moderne Form des regionalen Föderalismus abgelöst. Eine Strukturveränderung der Universitäten besänftigt die aufständischen Studenten, zumindest glauben dies die Spitzenvertreter des Gaullismus. Schließlich werden die Industriebetriebe umgeformt, damit die Arbeiterschaft, in der gegenwärtigen Gesellschaft integriert, sich als gleichberechtigtes Mitglied der Nation fühlt.

Ein wahrlich kühnes Konzept, würdig eines Staatsmannes, der bereits in die Geschichte eingegangen ist. Aber die Verantwortung will de Gaulle alleine tragen; es ist sein letzter Ruf in unserem Jahrhundert.

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