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Auf Wiedersehen, Georges!

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Am Mittwoch nachmittag, dem 10. Juli, raufte sich der Programmdirektor des französischen Fernsehens die Haare. Für diesen Abend war ein Film des Gruselspezialisten Hitchcock „Auf Wiedersehen, Georges“ angekündigt. In den Stunden vor Beginn der Sendung wurde offiziell bekanntgegeben, daß der seit sechs Jahren amtierende Ministerpräsident Georges Pompidou durch den bisherigen Außenminister Couve de Murville ersetzt werde. Der ORTF-Direktor glaubte in diesem Filmtitel eine Spitze gegenüber dem neuen Regierungschef zu sehen und wählte sinnigerweise einen anderen Film aus. Und wie lautet diesmal der Titel? Natürlich: „Das lange Schweigen.“

Seit den Neuwahlen durchliefen Gerüchte Paris, daß eine umfassende Regierungsumbildung vorgesehen sei, aber niemand dachte daran, daß Pompidou dieser Reform zum Opfer, fällt. Beweist also General de Gaulle die in der Geschichte oft festgestellte Tatsache, daß historische Persönlichkeiten eines nicht kennen, nämlich die Dankbarkeit?

Wir bestätigen eine Beobachtung: Sicherlich hat die gewaltige Auszahlung des weisen Generals eine bedeutende Rolle gespielt, und er beruhigte durch seine Ansprache vom 30. Mai die Bürger und gab ihnen die Gewißheit, daß eine staatliche Autorität nach wie vor besteht. Der General hat in den Maiwochen mehr geschwiegen, als es seinen Anhängern lieb war. Die erste Fernsehrede,

in der er ein Referendum ankündigte, bewirkte gerade das Gegenteil des von ihm erwarteten Erfolges. Ein müder und alter Mann verlangte Gehör. Die öffentliche Meinung dagegen wurde durch diesen Anblick eher traumatisiert. Pompidou stemmte sich mit Mannesmut und größter Energie den steigenden Fluten entgegen. Er verhandelte fast ununterbrochen 52 Stunden mit den Gewerkschaften; eine verblüffende körperliche Leistung! Er stellte sich in unzähligen Pressekonferenzen den sensationshungrigen Journalisten,

die ihn bereits als einen Skalpierten betrachteten. Seine etwas rauhe Stimme war durch einige Tage der einzige Hinweis, daß eine Regierung existiert. Pompidou beschwichtigte, versprach, gelobte, strahlte Zuversicht aus und schien die revoltierenden Studenten ebenso zu verstehen wie die erregte Arbeiterschaft, die durch Wochen die wirtschaftlichen Strukturen einer großen Industrienation lahmlegte. Die Beendigung der Mairevolution und der unerhörte Wahlerfolg der UDR stellt eine übermenschliche Leistung des Ministerpräsidenten dar. Die Gaullisten erhielten die absolute Mehrheit, aber Frankreich wählte nicht ausschließlich de Gaulle und die Ordnung, sondern Pompidou, eine Art Nachfolger des Staatschefs. Zahlreiche Zeugen bestätigten, daß sie die Regierungspartei trotz ihrer anitigaullistischen Einstellung gewählt hätten: „Wir stimmten eben für Pompidou.“

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