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„Kumpane und Spitzbuben“

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Durch die populäre Fernsehsendung „Mit gleichen Waffen“ zwischen Georges Marchais, stellvertretendem Generalsekretär der kommunistischen Partei, und dem neugewählten Generalsekretär der UDR, Alain Peyrefitte, wurde kürzlich der französische Wahlkampf 1973 eröffnet. Georges Marchais zeichnete das Bild einer sozialistischen Welt, wie man sie sich idyllischer nicht vorstellen kann. Die Sowjetunion und ihre Satelliten stünden demnach an der Spitze der technischen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Menschheit. Der Chef der KPF bombardierte seinen Diskussionspartner mit riesigen Zahlenkolonnen und wußte sogar die persönliche Freiheit in den kommunistischen Staaten entsprechend zu würdigen.

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Durch die populäre Fernsehsendung „Mit gleichen Waffen“ zwischen Georges Marchais, stellvertretendem Generalsekretär der kommunistischen Partei, und dem neugewählten Generalsekretär der UDR, Alain Peyrefitte, wurde kürzlich der französische Wahlkampf 1973 eröffnet. Georges Marchais zeichnete das Bild einer sozialistischen Welt, wie man sie sich idyllischer nicht vorstellen kann. Die Sowjetunion und ihre Satelliten stünden demnach an der Spitze der technischen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Menschheit. Der Chef der KPF bombardierte seinen Diskussionspartner mit riesigen Zahlenkolonnen und wußte sogar die persönliche Freiheit in den kommunistischen Staaten entsprechend zu würdigen.

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Alain Peyrefitte verstand es, die manchmal zu demagogischen Behauptungen seines Kollegen in das richtige Licht zu rücken. Ohne persönlich besonders brillant zu wirken, stellte sich Peyrefitte als das kluge Produkt des Gaullismus dar, das

Gaullistischer Premier Messmer: keine Regierungserklärung

Photos: Votava seine liberale Überzeugung mit dem Ordnungskonzept des Regimes glücklich zu vermählen weiß. Obwohl der neue Wortführer der gaullistischen Sammelpartei zahlreiche hohe Ämter bekleidet hatte, wurde er der Nation bisher noch zu keinem Begriff. Der Absolvent einer berühmten Schule, Pflanzstätte französischer Geistigkeit, gehört nicht zum Kernkreis der Gaullisten. Er ist keineswegs jener alte Kämpfer, als der er zur Zeit präsentiert wird. Dank seinem diplomatischen Geschick und einer gewollten Technokratie wurde er von General de Gaulle zum Lieblingsschüler deklariert. Er war so etwas wie das okkulte Sprachrohr des Regimegründers und schloß sich alsbald seinem Nachfolger Pompidou an.

Als Informationsminister und als Wissenschaftsminister nahm er an den Realisationen der V. Republik aktiv teil. Die Maikrise 1968 traf ihn, den damaligen Unterridrisminister, besonders hart. Als Sündenbock wurde er zeitweise in die Wüste geschickt. Er reihte sich unter die Gegner Chaban-Delmas' ein und hoffte, bei der nächsten Regierungsbildung das Außenministerium zu erhalten. Sein Wohltäter Pompidou entschied anders und boxte ihn, entgegen zahlreichen Widerständen, als Generalsekretär der Partei durch. Seine Wahl ging nicht leicht über die Bühne. Der neben Pompidou mächtigste Mann der Sammelpartei, Armeeminister Debre, wollte in diesen entscheidenden Monaten den Parteiapparat in die Hand bekommen.

Mit der Ernennung zum Generalsekretär der UDR nimmt Peyrefitte aber nun — zumindest bis zu den Legislativwahlen — eine Schlüsselposition in der Innenpolitik ein. Ihm obliegt es, die technische Seite des Wahlkampfes vorzubereiten und die etwas abgenützte, durch Skandale geschwächte Partei gegen die Phalanx einer linken Opposition zu sammeln. Wird es dem sensiblen Intellektuellen gelingen, den groben Angriffen der kommunistischen Partei mit Propagandamitteln entgegenzutreten, welche der Stimmung weiter Wählermassen entsprechen?

Denn mit dem schwer übersetzbaren Wortspiel „les Copains et les Coquins“ behauptete der Chef der sozialistischen Partei, Mitterrand, „Kumpane und Spitzbuben“ hätten sich des Staats bemächtigt. Das oppositionelle Zentrum klagt durch die Personen Lecanuets und des Generalsekretärs Abelin die Regierung an, einen nationalen „Affairismus“ zugelassen und private kapitalistische Interessen in der Innenpolitik erlaubt zu haben. Wenn auch diese Anklagen und Behauptungen in den Perspektiven des beginnenden Wahlkampfs mit großer Vorsicht aufgenommen werden müssen, besteht doch die Tatsache, daß derzeit der Normalbürger, etwas degou-tiert, jede Woche mit einem anderen Skandalfall konfrontiert wird.

In einem Punkt sind sich allerdings Frankreichs innenpolitische Beobachter heute einig: Es ist besser, Eiterherde rechtzeitig aufzubrechen und die Wunden radikal zu desinfi-

KP-Chef Marchais: Demagogie mit Zahlenkolonnen zieren, damit sich kein Gift im nationalen Volkskörper festsetzt. Es ist das Privileg einer demokratischen Ordnung, Mißstände öffentlich anzuzeigen, sie anzuklagen und die Schuldigen an den Pranger zu stellen, oder richtiger: die ominösen Fälle einer unabhängigen Justiz anzuvertrauen. Die Frage stellt sich natürlich, ob die Regierungspartei etwa Personen agieren ließ, die sich Verbindungen und Freundschaften schufen, Gemeinschaften bildeten und 14 Jahre uneingeschränkter Herrschaft zur Vermählung staatlicher mit privaten Interessen benutzten.

Einen Vorwurf erheben die Kritiker des gegenwärtigen Regimes im allgemeinen: Die gaullistische Sammelpartei, deren überwiegende Anzahl von Mitgliedern und Führungspersönlichkeiten aus absolut integren Menschen besteht, zögerte zu lange, Stellung zu den Skandalen zu nehmen und sich von unwürdigen Lobbyisten zu brennen. Wie nie zuvor wurde die Notwendigkeit eines gut funktionierenden Parlaments erkannt, in dem sich eine Opposition nicht in steriler Abwehr erschöpft, sondern konstruktiv zur Politik der Regierung beiträgt und eine echte Kontrolle ausübt.

Das Parteienparlament wurde durch General de Gaulle abgewertet. Auch unter der Amtszeit Pompidous konnte es nicht jene Stellung einnehmen, die der Kammer in den vorangegangenen vier Republiken zukam. Die Verachtung für das Par-teienparlament wurde besonders sichtbar, als Chaban-Delmas zum Rücktritt gezwungen wurde. Kurz zuvor hatte er von den Abgeordneten einen überzeugenden Vertrauensbeweis erhalten. Sein Nachfolger fand es nicht der Mühe wert, dem Parlament in einer außerordentlichen Sitzung eine Regierungserklärung vorzulegen.

Ministerpräsident Messmer versprach nun, die „Kumpane und Spitzbuben“ dorthin zu expedieren, wohin sie gehören. Das Image der Regierungspartei blieb allerdings nicht fleckenlos. Der relative Mißerfolg des europäischen Referendums resultierte aus dem Wunsch zahlreicher Wähler — an sich überzeugte Europäer —, die Regierung zu warnen und ihr einen Denkzettel zu verabreichen. Werden die wenigen Monate bis zu den Legislativwahlen genügen, um das Terrain zurückzuerobern?

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