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KP-Basis wird immer unruhiger Kritik am Politbüro wächst

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Zu Zeiten der Vierten Republik konnten die Bürger von Paris wie Touristen am Rande des Zeitungsviertels ein düsteres Haus bewundern, das einer Ritterburg sehr ähnlich sah. Die Fenster waren mit schweren Blechvorhängen gesichert und der Eingang schien mit einem gepanzerten Tor verrammelt zu sein. Man vermißte etwas Leben, Freundlichkeit und die Erklärung, welchem Zweck dieses Bauwerk diene. Nun, es bot den Rahmen für das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Frankreichs. Hinter diesen Mauern thronte der langjährige Generalsekretär der Partei, Thorez, in den Büros wurden Richtungskämpfe aus-gefochten und heftige Vorwürfe gegen jene Mitglieder gerichtet, die nicht gewillt waren, sich allen Vorstellungen, Plänen und Vorschlägen des allmächtigen Bosses der KPF bedingungslos zu unterwerfen.

Die Kommunistische Partei Frankreichs entstand 1920 in Tour durch die Spaltung der Sozialistischen Partei. So wurde ein Phänomen in der französischen Innenpolitik geschaffen, und alle Parteien wie Regierungen mußten dem Umstand Rechnung tragen, daß sich fast ein Viertel der wahlberechtigten Bürger zu den marxistisch-leninistischen Grundsätzen dieser Partei bekannte. Die KPF existierte jedoch als monolithischer Block in einem Ghetto, man erhielt Informationen über die internen Verhältnisse nur durch Häretiker, die der Bannstrahl der allmächtigen Führung getroffen hatte.

Seit einigen Jahren besitzen die Kommunisten nun schon einen repräsentativen Glaspalast, der von einem der bekanntesten internationalen Architekten der Gegenwart entworfen wurde. Die Zeit, in der sich die KPF abgekapselt hat, ist vorbei und die führenden Männer des Politbüros sind eher geneigt, mehr Informationen zu geben. Trotzdem beschäftigen sich nach wie vor zahlreiche Politologen und Kommentatoren mit den Grundelementen, der Taktik und der Strategie einer Partei, die heute noch von einer Reihe Mysterien umgeben ist.

Seit die KPF 1965 zum erstenmal eine Kandidatur Mitterrands gegen General de Gaulle unterstützte, die daraufhinzielte, einen Repräsentanten der Linken zum ersten Bürger des

Staates zu machen bis zur vorläufigen Trennung der linken Union im September 1977, ist viel Wasser die Seine hinuntergeflossen. Die Kommunistische Partei suchte ein verbessertes Profil und opferte sogar einige Tabus, die die Plattform der KPF bisher stützten. So wurde der Begriff „Diktatur des Proletariats“ fallengelassen, die autonome Atomstreitmacht mehr oder weniger gebilligt, die Respektierung des Wählerwillens anerkannt und sogar Konzessionen bezüglich der europäischen Integrationspolitik gewagt Die Ehe, die Sozialisten und Kommunisten 1972 eingegangen waren und durch ein gemeinsames Programm untermauert hatten, brachte den Kommunisten sicherlich einen gewissen Vorteil, viel größer war der Nutzen jedoch für die Sozialisten.

Nachdem die patriotisch eingestellten Sozialisten häufig wiederholten, die KPF hätte mutiert, glaubte so mancher im Lande, daß sie ein demokratisches Spiel treiben würde und die diesbezüglichen Regeln anerkenne. Die KPF wurde daraufhin als hoffähig

erklärt. Allerdings ging es nicht ohne Reibereien zwischen den beiden linken Partnern ab. Die Kommunisten befürchteten, daß die geänderte SP, die dank der Mobilität Mitterrands einen neuen Stü bekam und starken Einfluß auf technische Schichten der Nation gewann, auf Grund ihrer Entwicklung eine Partei sozialdemokratischen Typs werden könnte.

Die KPF wollte weiterhin die erste Partei der linken Union bleiben und für sich das absolute Recht beanspruchen, die arbeitende Klasse allein zu repräsentieren.

Bisher war es üblich, Konflikte innerhalb der KPF an der Spitze auszutragen und den einfachen Mitgliedern so gut wie kein Mitspracherecht zu gewähren. Nach dem Votum im März sieht die Situation für die KPF anders aus. Unzählige Zellen beschäftigen

sich mit dem Vorgehen des Politbüros und kritisieren manchmal sehr scharf die Manöver im Klassenkampf. Obwohl Georges Marchais verkündete, daß innerhalb der Partei eine Debatte größten Ausmaßes ausgelöst wurde, wie sie die Geschichte noch nicht gekannt habe, wurden alle Register gezogen, um den Auseinandersetzungen an der Basis nicht weiteren Raum zu gewähren. Deshalb wurde es auch untersagt, im Zentralblatt „L'Humanit6“ ein Forum einzurichten, das allen Parteigenossen zur Verfügung steht.

Als der immer bekannter werdende Politologe Jean Elleinsten, der eine Schlüsselposition einnimmt, eine Artikelserie über den gegenwärtigen Zustand der Partei publizieren wollte, war die Redaktion von „L'Humanitö“ nicht bereit die Erkenntnisse Ellein-steins zu drucken. Sie erschienen schließlich in „Le Monde“.

Einer der engsten Mitarbeiter Marchais, Jacques Fremontier, Chefredakteur der kommunistischen Zeitschrift „Action“, gab in den letzten Tagen seiner Demission bekannt, da er nicht

weiter bereit sei, mit der Linie der Partei konform zu gehen. Man spricht zur Zeit sogar von weiteren Demissionen, wobei feststeht, daß die Parteispitze vorläufig keine Ausschlüsse mehr bekanntgeben will, wie dies noch bei Ga-raudy der Fall war. Als unabhängiger Beobachter gewinnt man den Eindruck, daß größere Teile der Partei nicht mehr gewillt sind, dem Politbüro alles zu überlassen und nur jenen Slogans zu folgen, die das Generalsekretariat definiert. Damit setzt ein Prozeß innerhalb der KPF ein, von dem es abhängen wird, ob Georges Marchais und sein Team die Pluralität der Meinungen anhören und daraus Schlüsse ziehen werden. Wird er diesen Versuch der direkten Demokratie innerhalb der Partei wagen? Niemand kann darauf vorläufig eine Antwort geben.

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