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Von Rankovic zu Mihajlov

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„Was gefällt mir an den letzten Maßnahmen in Jugoslawien? Daß man vor der persönlichen Autorität nicht Halt gemacht hat und daß man der ganzen Welt zeigte, keine Frage ist tabu im Sozialismus. Noch mehr, daß die Parteiführung zugab, ihr wichtigstes Leitmotiv sei das Bestreben, das verlorene Vertrauen der Massen zurüokzugewinnen. Mit anderen Worten, daß die abgedroschenen Phrasen über die Einheit der Partei und des Volkes nicht wiederholt werden und daß es ein Spiel mit den Karten auf den Tisch vor den Augen der Öffentlichkeit ist. Daß die Kritisierten beim Konferenztisch auf Brioni sitzen und ihre Ansichten vertreten können und daß die Öffentlichkeit darüber sogleich informiert wurde. Daß offenbar eine neue Ära beginnt, die die Information und die Kontrolle durch die Öffentlichkeit auf ihren rechten Platz stellt. Viel steht am Spiel, darüber kann kein Zweifel aufkommen. Aber wenn die jugoslawischen Genossen gerade darin, was den Kern der Sache betrifft, einen Erfolg erreichen, werden die Auswirkungen in der ganzen sozialistischen Welt groß sein. Dies ist sicher.“

Diese Feststellungen des slowakischen Journalisten Vladimir Manak, die unter dem bezeichnenden Titel „Ohne Tabu“ in der Preßburger Zeitschrift „Kulturny Zivot“ Ende Juli veröffentlicht wurden, treffen den Nagel auf den Kopf. Kein Wunder, daß außer dem zitierten Artikel in der übrigen kommunistischen Presse nur lakonische Berichte über die Brioni-Sitzung des jugoslawischen Zentralkomitees und den Sturz des Vizepräsidenten Rankovic, aber so gut wie nichts über die Gewissenserforschung und die sich anbahnende große öffentliche Debatte über die Krise in der jugoslawischen Staatspartei zu lesen ist.

Die Ereignisse in Jugoslawien bedeuten nicht weniger als eine Zäsur im zeitgenössischen Kommunismus. Zum erstenmal in der Geschichte gibt eine kommunistische Partei vor aller Welt zu, daß sie miöht „die Entwicklung“ geblieben, sondern im Gegenteil zum wichtigsten Bremsklotz, geworden sei. Im Gegensatz zu allen anderen kommunistischen Parteien beanspruchen die jugoslawischen Kommunisten nicht mehr die totale Hegemonie und die unfehlbare Lehr- und Glaubensmacht. Die Partei selbst als Instrument totalitärer Machtausübung wird nun in Frage gestellt. Die Zeit der „monolithischen Einheit“ und der Meinungsdisziplin innerhalb der herrschenden Machtelite ist endgültig vorbei.

Bei der politischen Abrechnung mit Rankovic handelte es sich keineswegs bloß um einen Machtkampf und nicht einmal nur um die Entmachtung der UDBA. Mit dem Abgang des Vizepräsidenten, ZK- Sekretärs und praktisch obersten Polizeichefs von der politischen Bühne erlitt auch sein rückständiges, negatives, im Grunde genommen stalinistisches Konzept eine der Vergangenheit verhaftete Mentalität und nicht zuletzt die herkömmliche, kommunistische Einstellung, wonach die Parteiführer kleine Götter, die im Schutz ihrer politischen Stellung über jede . Kritik erhaben sind, eine historische Niederlage. Es geht also nicht nur um Köpfe, sondern um den künftigen Weg Jugoslawiens, um den Übergang von der „Regierung der Personen“ zu einer „Regierung der Institutionen“.

Gerade das beweist, daß der Elan des Titoismus trotz Schwankungen, Rückschritten und Heuchelei nicht gebrochen ist, daß die Pluralität von Interessen und die Existenz von Konflikten im soziale ! und politischen Bereich offen anerkannt wird. Die Partei wird damit selbst zur Trägerin vielschichtiger Interessenkonflikte, die mit der nationalen Frage, der Hauptsorge des Lande , unlösbar verbunden sind. Nach dem Zusammenbruch der Habsburg- Monarchie und der Geburt Jugoslawiens waren die politischen Kräftegruppierungen in erster Linie die Vertreter des jeweiligen nationalen Anliegens der Serben, Kroaten und Slowenen gewesen. Auch heute erweist sich das nationale Moment stärker als die weitgehend relativierte, ja innerlich ausgehöhlte Ideologie. Zu den traditionellen Gegensätzen zwischen der „staatstragenden“ Nation der Serben und den Kroaten kamen noch die handfesten Interessen entsprungenen Differenzen zwischen Armen und Reichen, zwischen den mehr entwickelten westlichen Bundesländern und den unterentwickelten Republiken Mazedonien, Bosnien und Montenegro. Der Kampf um die „Verteilung des Kuchens“ gab den alten Differenzen erst ihre Brisanz.

Die Verquickung des nationalen Faktors mit dem Prozeß der Demokratisierung, ja sogar die Priorität der nationalen Belange, selbst in den Kreisen der führenden Kommunisten, erklärt zum Teil, warum die strukturelle Änderung des Einparteiensystems durch freie — also auch oppositionelle — Parteienbildung nicht so akut ist, wie man zum Beispiel im Zusammenhang mit der Mihajlov-Affäre glauben möchte. Der Verfasser stimmt der Meinung der „Neuen Zürcher Zeitung“ vorbehaltlos zu: „Der einfache Mensch sieht seine demokratischen Ansprüche nicht in erster Linie dadurch erfüllt, daß er alle vier Jahre einmal seinen Abgeordneten wählen kann, sondern darin, daß er in seinem unmittelbaren Bereich weder Willkür noch Gewalt ausgeliefert ist und bei Entscheidungen über die ihn direkt interessierenden Dinge mitreden kann.“ Das plumpe Vorgehen gegen den Univensitätsassistenten Mihajlo Mihajlov ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein untrüglicher Beweis dafür, daß das jugoslawische System bereits keine orthodoxe kommunistische Diktatur, aber auch noch keine „sozialistische Demokratie“ ist. Die Herausbildung wahrhaft demokratischer Formen der politischen Willensbildung nach den Begriffen einer westlichen Demokra- tie dürfte in absehbarer Zeit kaum möglich sein.

Die Formen, in denen sich der Abbau autoritärer Struktur vollzieht, sehen aber anders aus, als im Westen und sind vor allem viel differenzierter als die üblichen Unterscheidungsmerkmale — hier westliche Demokratie, dort totalitäre Diktatur. Wo liegt die Grenze des Zulässigen und wo beginnt die Auflösung innerhalb eines von Interessengegensätzen durchwucherten Systems, dem die Institutionen der politischen Demokratie fehlen? Dies ist jene Kernfrage, die — unausgesprochen — im Mittelpunkt der zur Debatte gestellten Parteireform steht. Nichts ist bequemer und zugleich törichter als solche bedauerliche Fälle wie die Mihajlov-Affäre oder die noch immer andauernde Haft des Rebellen Djilas zur Symbolträchtigkeit aufzubauschen. Es ist merkwürdig, aber keineswegs zufällig, wie solche Vorfälle von den unverbesserlichen kalten Kriegern im Westen und von den um ihre Zukunft bangenden Stalinisten im Osten geradezu dankbar aufgegriffen werden. Dies sollte übrigens den jugoslawischen Behörden, die sich über das enorme Weltecho beleidigt zeigen, Stoff zum Nachdenken geben ...

Milovan' Djilas war mit seinem Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus seiner Zeit lang voraus gewesen. Darin liegt seine menschliche Tragödie. Im heutigen Jugoslawien ist er aber keine politische Figur von Bedeutung. Im Gegensatz zu Djilas, der zweifellos ein selbständiger politischer Denker und ein begabter Schriftsteller ist, handelt es sich bei dem Universitätsassistenten Mihajlov, der es an Tapferkeit nicht fehlen ließ, an sioh um eine Randfigur, die mit ihrem Vorpre- sdhen der Liberalisierung wahrscheinlich keinen guten Dienst erwiesen hat. Nicht die heute noch utopische Frage der Herausgabe einer oppositionellen Zeitschrift als „Kern einer demokratischen Bewegung“, sondern solche Fragen wie das künftige Schicksal der Za- greber Philosophengruppe um die Zeitschrift „Praxis“ und nicht zuletzt die Haltung gegenüber der katholischen Kirche stellen den wahren Prüfstein der Demokratisierung dar. Das Abkommen mit dem Vatikan ist ein vielversprechender Anfang, aber nicht mehr. Einstweilen kann das zweiwöchentlich und bereits in einer Auflage von 150.000 erscheinende katholische Blatt „Glas Konzila“ nur in den Kirchen, aber „aus kommerziellen Gründen“ nicht in den Straßenkiosken zum Verkauf aufgelegt werden. Die Hexenjagd gegen die Kirche ist zwar eingestellt worden, aber die Gläubigen, vor allem Lehrer und Staatsbeamte, müssen noch immer, wenn sie beim Gottesdienst gesehen werden, mit beruflichen Nachteilen rechnen. Die in der neuen Verfassung verbrieften Rechte können also noch immer nicht voll wahrgenommen werden.

Der Sturz Rankovic’ und die Entmachtung der UDBA bedeuten nicht, daß die Partei ifn Begriff ist, abzudanken und bei der Geburt der fehlenden Institutionen der politischen Demokratie Pate zu stehen. Zugleich stellt aber die Mihajlov-Affäre auch „keinen“ Prüfstein dar, geschweige denn einen Beweis, daß sich Opposition und Meinungsstreit bloß auf bedeutungslose Episoden beschränken. Gerade der Vergleich mit der eigenen Vergangenheit und noch mehr mit der Gegenwart in den anderen kommunistischen Ländern illustriert erst die volle Tragweite des Wandlungsprozesses in Jugoslawien. Es ist der erste kommunistische Staat, wo die Tätigkeit des Parlaments nicht zuletzt wegen des öffentlichen Charakters der Diskussionen zu einem Politikum ersten Ranges geworden ist. Was die völlige personelle Freizügigkeit in beiden Richtungen, die Möglichkeit, eine Stelle im Ausland anzunehmen, die bereits von einer Viertelmillion Jugoslawen genützt wird, der freie Straßenverkauf der ganzen Weltpresse und die vielfältigen Ansätze von demokratischen Lebensformen bedeuten, kann sich wahrscheinlich nur jener ganz vorstellen, der den früheren Zustand selbst erlebte.

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