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Zweimal Zwischeneuropa

19451960198020002020

Tito und Goliath. Von Hamilton Fish Armstrong. Verlag Welsermühl, Wqls. 480 Seiten. Preis 98 S. — Zwischen Ostsee und Aegäis. Moskaus westliches Vorfeld. Von Wolfgang Höpker. Wilhelm-Heyne-Verlag, München. 80 Seiten. Preis 2.80 DM

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Tito und Goliath. Von Hamilton Fish Armstrong. Verlag Welsermühl, Wqls. 480 Seiten. Preis 98 S. — Zwischen Ostsee und Aegäis. Moskaus westliches Vorfeld. Von Wolfgang Höpker. Wilhelm-Heyne-Verlag, München. 80 Seiten. Preis 2.80 DM

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Hamilton Fish, Herausgeber der führenden außenpolitischen Zeitschrift der USA „Foreign Affairs" und frühere Diplomat, hat 1951 ein Werk veröffentlicht, das westlichen Lesern den Frontwechsel Jugoslawiens erklären und diesen als begrüßenswertes Ereignis dartun sollte. Der amerikanische Verfasser beschränkte sich dabei nicht auf das Beispiel des einzigen mit Erfolg gegen Moskau auf muckenden kommunistischen Häresiarcfien, sondern er schilderte auch den „Titoismus" in den andern Satellitenländern, wo jedoch die Mißvergnügten entweder „gelegen starben" — wie Dimitrov — oder nach Schauprozessen hingerichtet wurden — Kostov, Rajk, Xoxe, Slänsky — bzw. von der Bildfläche verschwanden — Gomulka, „General" Markos, Georgescu.

Das Leitmotiv des Buches erblicken wir darin, daß die Möglichkeit tiefgehender Konflikte innerhalb des kommunistischen Staatenblocks gezeigt wird, daß also die atlantische Weltpolitik nicht auf einen, derzeit sehr unwahrscheinlichen, grundsätzlichen, ideologischen Umschwung östlich des Eisernen Vorhangs zu warten braucht; Uneinigkeit innerhalb des marxistischen Lagers sei ebenso vorhanden wie zwischen den Westalliierten und, so lautet der logische Nachsatz, die von der Generallinie des Kremls abweichenden kbmmunistischen Ketzer werden zu gegebenen Verbündeten des Westens. Wie derlei an Titos Verhalten zu erweisen ist.

Gegen die politische These Hamilton Fishs läßt sich sehr viel einwenden. Sie im einzelnen zu widerlegen, überschritte den Raum einer Buchanzeige. Der Autor dächte heute vermutlich anders, als vor über drei Jahren; er wäre über die Unüberbrückbarkeit des Konflikts zwischen Belgrad und Moskau wohl nicht mehr der gleichen Ansicht wie zu Lebzeiten Stalins und nach dem Zwist Titos und Dzilas’, nach der Aufdeckung der großen Verschwörung vom März 1954, und nach der diesen beiden Geschehnissen gewidmeten Tagung der jugoslawischen Kommunistenführer dürfte der amerikanische Publizist die Zuverlässigkeit eines politischen und, im Ernstfall, militärischen Beistands des heutigen Belgrader Regimes an den Westen mit einiger Skepsis beurteilen. Der Wert der Darstellung Hamilton Fishs liegt aber nicht in seinen, zumeist unausgesprochenen Thesen und in deren propagandistischen Absicht, vielmehr im reichen, gut gegliederten und klar erzählten Tatsachenmaterial, das nicht nur der angelsächsischen und nunmehr der deutschen Oeffentlichkeit eine vortreffliche Uebersicht ihnen fast völlig unbekannter Entwicklungen und Zusammenhänge darbietet, sondern auch den Zünftigen, Diplomaten oder Historikern, viele neue Fakten enthüllt. So erfahren wir, daß die amerikanische Botschaft in Moskau noch am Vorabend des Bruches zwischen Tito und der Komintern ahnungslos war, wogegen die ausgezeichneten Vertreter Washingtons in Belgrad sofort die Tragweite des von ihnen vorausgesagten Krachs im Schoße des Weltkommunismus erkannten. Nicht minder wichtig sind die, bewußt sparsamen, Mitteilungen über Kriegsvorbereitungen im Frühjahr 1948. Obzwar der Verfasser nur von den Aufmarschplänen des Ostens spricht, kann rrfan aus seiner Skizze ahnen, wie wir damals hart am Abgrund „noch einmal vorbeigekommen sind". Wiederum von großem Interesse ist der Augenzeugenbericht über das bis 1949 währende Festhalten Titos an der Fiktion wesenhafter Zugehörigkeit zum kommunistischen Block; offenbar hegte er damals noch die Hoffnung, nur eine zeitweilige Trübung seiner Beziehungen zum Kreml erdulden zu müssen. Nochmals meldet sich der Augenzeuge mit der Schilderung des Elends und des Jammers, in dem Jugoslawien dahinvegetierte, als ihm die dem Bruch mit Moskau folgende Wirtschaftsblockade seitens der Satelliten die Annäherung an den Westen aufzwang.

Hamilton Fish bestätigt sich sodann als scharfer Beobachter, wenn er kurze Aufenthalte in Polen, Ungarn und anderen Satellitenstaaten zur Grundlage durchaus richtigen Urteils über die Evolution dieser Länder macht. Das Kapitel über Polen samt dem Porträt Gomulkas ist besonders gut geraten. Zum Abschnitt Bulgarien möchten wir einige Zweifel anmelden. Dimitrovs Tod scheint uns trotz alledem auf natürliche Ursachen zurückzugehen. Sehr treffend sind die Ausführungen über Rumänien und Bulgarien. Dagegen teilen wir keineswegs die Illusion über Mao-Tse-Tung. Soweit unsere Stellungnahme zum eigentlichen Werk der amerikanischen Autors. Dieses ist nun, in zumeist dankenswerter Weise, durch einen sachkundigen, ungenannten deutschsprachigen Herausgeber ergänzt worden. Die Erzählung reicht so bis tief ins Jahr 1953 hinein, über Stalins Tod hinaus. Wir empfangen sehr nützliche Zusätze, etwa die Gliederung der jugoslawischen Geschichte seit 1944 in drei Phasen, die orthodox-kommunistische bis 1948, die neutrale bis 1951 und die westliche; wozu wir freilich hinzufügen müssen, daß ab 1954 eine vierte, zur Neutralität zurückkehrende tritt. Sehr richtig wird ferner auf die von Fish vertuschte, grimmig religionsfeindliche Haltung Titos hingewiesen. Andere Ergänzungen sind weniger glücklich. So ist das angebliche Wiederauftauchen der Namen Gomulkas und Spychaläkis nicht Spyhalskis auf den Wahllisten für den polnischen Sejm im Oktober 1952 glatter Unsinn; auch die Nachrichten über Rokossowski sind arg verworren. Dennoch ist die Leistung des Herausgebers im allgemeinen zu loben. Um so kläglicher ist die, sollen wir sagen der Uebersetzerin oder des Korrektors? Fast nichts von den üblichen, Übeln Anglizismen ungelenker Dolmetscher bleibt uns geschenkt. Da rufen die Jugoslawen „Lang lebe die UdSSR" und nicht schlicht „hoch" oder „hoch lebe..."; da gibt es eine „Zeittafel" time table, die nichts anderes ist, als ein erzählender Bericht. Mikolajczyk soll seit 31. Juli 1944 in Warschau geweilt haben; er war, wie stets, weit vom Schuß und wurde hur durch die Uebersetzerin in die heldenhaft kämpfende Sirenenstadt entboten. Erzbischof Grosz wird freigiebig mit der Kardinalswürde bedacht. Und erst die phantasievolle Schreibweise der Namen. Dzilas, den man meinetwegen Djilas ä l’anglaise orthographieren möge, taucht wiederholt als Djila auf. Kardinal Wyszynski als Wiszinski, Rvdz Smigly als Ryds- Smigli, Bacilek als Basilek. Dinnyes als Dinnijes. Dobi als Dobj; die Zeitschrift „Slavjanie" wird angelsächsisch „Slavyanye" geschrieben. Wir halten inne. Und begeben uns aus der Enge der Setzerei zurück auf Moskaus weites westliches Vorfeld, wo gründliche Korrekturen kaum weniger erfreulich wären als bei Uebersetzungen aus dem Atlantischen ins Deutsche.

Höpker entwirft ein knappes und stoffsattes Gesamtbild, das um so anerkennenswerter ist, als es, nach den eigenen Worten des Verfassers, nur aus Quellen zweiter und dritter Hand, vor allem aus deutschsprachigen Publikationen heimatvertriebener Flüchtlinge aus den Oststaaten, dann aus guten Veröffentlichungen wissenschaftlicher und politischer Institute schöpft. Der Autor hat den richtigen Blick fürs Wesentliche. Er zeichnet in scharfen Konturen das Besondere der sogenannten Volksdemokratie, deren Außenpolitik — die keine ist — und Wehrkraft — die sehr ins Gewicht fällt, von deren Zuverlässigkeit für Moskau aber schwer Endgültiges gesagt werden kann, hernach die Großraumwirtschaft des Ostens, die Umbiegung der Geschichtswissenschaft, den sozialistischen Realismus in Kunst und Literatur, das Los der religiösen Gemeinschaften. Nirgends überschlägt sich der Ton; Höpker bleibt ruhig und sachlich; seine Erwägungen über Vorhandensein und Aussichten, Hintergründe und Hindernisse des Widerstands gegen die kommunistische Gleichschaltung sind im Kerne zutreffend. Doch neigen wir dazu, den Einfluß der heutigen marxistischen Erziehung in Schule, Jugendorganisation und Heer weit stärker einzuschätzen, als das der Verfasser tut. Widerstand von innen her wird in den Oststaaten nur so lange zahlenmäßig beträchtliche Anhängerschaft finden, bis eine volle Generation durch den kommunistischen Drill durchgegangen, mit einer neuen Ethik imprägniert und von jedem Kontakt mit dem Westen abgeschirmt worden ist. Hat der Kommunismus dreißig bis vierzig Jahre ungestörten Waltens in den Satellitenländern vor sich, dann wird er ebenso nur durch militärischen Angriff von außen her und gegen den Widerstand der Ostvölker zu stürzen sein, wie das in der UdSSR sich schon im zweiten Weltkrieg gezeigt hat. Von der „technischen Intelligenz" wird, entgegen Höpkers Annahme, kein Widerspruch gegen das Sowjetsystem ausgehen. Unterschätzt wurde ferner der beklagenswerte Einbruch in die Kirche, der sogar einen beträchtlichen Teil des Klerus, ja vereinzelte Mitglieder der Hierarchie erfaßt hat.

Die Fragen an die Zukunft, die von Höpker ans Schicksal gerichtet werden, dünken uns gar verfrüht. Man verteile die Haut des Bären nicht, bevor man mindestens Aussicht hat, ihn zu erlegen. Sollte es aber dereinst zu einem radikalen Umschwung der Machtverhältnisse kommen, dann würden wiederum nicht die Völker Zwischeneuropas, sondern die künftigen Sieger im Ringen um die Weltherrschaft das entscheidende, Wort zu sprechen haben. Und die w’ürden dann nur auf ihren sacro egoismo horchen. Zuletzt dies: die statistische Tabelle am Ende des Bändchens ist in ihren Zahlenangaben überholt; sie wäre aus Originalquellen leicht auf den Stand von 195354 zu bringen. So sind- z. B. die seit vielen Monaten bekanntgegebenen Ergebnisse der letzten polnischen Volkszählung nicht berücksichtigt.

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