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Heib Tage in Moskau

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Halb in Ermangelung, halb in Erwartung einer Gipfelkonferenz, auf der die höchsten Machthaber des gesamten Erdenrunds zu erscheinen hätten, ist nach Mokau eine Tagung der leitenden Männer des Rates gegenseitiger Wirtschaftshilfe (im Westen Comecon genannt) und des Warschauer Paktes einberufen worden. Sie, hat vom 20. bis zum 24. Mai gedauert. Soll man das Ganze eine Konferenz, ein Konzil oder nicht eher eine Generalstabssitzung mit anschließender Befehlsausgabe des Oberkommandos heißen? Den Zusammenkünften war von jedem Typus derartiger Treffen etwas eigen. Man hörte Reden und Referate, wie auf diplomatischen Konferenzen und auf Parteisessionen, dogmatisch-ideologische Auseinandersetzungen und endlich die vorbereiteten Entschließungen, über die keine öffentlichen Debatten stattfanden, sondern denen die Anwesenden einmütig zuzustimmen hatten. Immerhin wäre es sehr falsch, zu glauben, daß sich alles wie auf dem Exerzierplatz abgespielt hätte und daß die Teilnehmer an den Beratungen ausnahmslos für ihnen vorgelegte Texte eingetreten wären. Das Hauptinieresse der fremden Beobachter und der wenigen Wissenden gehörte nicht etwa den Sitzungen und den ebenso geschwätzigen wie nichtssagenden Resolutionen, sondern den Gesprächen, die zwischen den sowjetischen Staatslenkern upd deren auswärtigen Besuchern geführt wurden, ferner den Kontakten zwischen den Abordnungen der einzelnen zum Ostblock gehörenden Länder.

Wir können uns. was die hinausposaunten Ergebnisse jener Moskauer großen Woche betrifft, darauf beschränken, kurz an die gemeinsame Erklärung zu erinnern, in der die üblichen Beschuldigungen gegen die Kriegshetzer aus der kapitalistischen Welt, vornehmlich in den USA und in der Deutschen Bundesrepublik, wiederholt wurden — freilich in verhältnismäßig ruhigem Ton — und die Friedensliebe der Sowjetunion wie ihrer Verbündeten in strahlendem Licht erschien. .Eine neuerliche Verminderung der Streitkräfte des „Friedenslagers“ um. 419.000 odflEi,eigentlich um rund: 130.0Q0. Mann wurde' angekündigt, was an der zahlenmäßigen Ueber-legenheit des östlichen Menschenmaterials Bewaffneter gegenüber den Truppen der NATO nichts ändert; als neues Schlagwort wurde das Anbot eines Nichtangriffspakts zwischen den Signataren des Warschauer Bündnisses und denen der Westallianz zur Erörterung gestellt. Eine der politisch-militärischen vorausgeschickte Deklaration betonte den Willen zur Verstärkung der wirtschaftlichen Gemeinschaft zwischen der UdSSR und den Volksdemokratien. In keiner dieser beiden offiziellen Aeußerungen und in keinem aus östlicher Quelle stammenden Bericht wurde indessen von den Fragen gesprochen, die den Hauptgegenstand der Moskauer Begegnungen gebildet haben.

Es waren das, in der Reihenfolge der Wichtigkeit: der Kampf zwischen der durch Chruschtschow vertretenen Richtung und den Stalinisten; der chinesische Versuch, auf die europäischen Kommunisten ausschlaggebenden Einfluß zu nehmen; im Zusammenhang damit das Verhalten gegenüber Tito; der Nahe Orient und das islamische Nordafrika; die Wendung in Frankreich.

Man hat sowohl von einem Sieg Chruschtschows über die „Dogmatiker“ gesprochen als auch von einem Zurückweichen des heutigen Gebieters im Kreml. In Wirklichkeit ist der sehr heftige Kampf nicht bis zum Ende durchgefochten worden. Der Erste Sekretär und Ministerpräsident der Sowjetunion hat seinen gefährlichen Gegnern Zugeständnisse gewähren müssen und um diesen Preis seine überragende Position behauptet. Es ist ihm gelungen, einen völligen Bruch mit Tito zu vermeiden, nicht aber wirtschaftliche Sanktionen, deren schließliche Auswirkungen auf Jugoslawien schwer abzusehen sind. Chruschtschow hat ferner seine Arme schützend über Kädär gehalten und er ist mit Gomulka in noch engere Freundschaft geraten; die Vorstöße der Tschechen und eines Teils der Bulgaren wurden abgewehrt — um in Sofia Ordnung zu machen, hat sich Chruschtschow eine Woche später,'am 31. Mai, selbst dorthin begeben — und er hat den bedrohlichsten Widersachern, den Chinesen, hartnäckig die Stirne geboten. Die über alle heikein Probleme hinweggleitenden Dokumente, in die man die Resultate der Konferenz geborgen hat, spiegeln die hier knapp umrissenen Tatsachen wider. Von Jugoslawien ist darin überhaupt nicht die Rede; China erscheint einzig als Förderer des Weltfriedens — Abzug der „Freiwilligen“ aus Nordkorea —, als Großmacht, der unbilligerweise der Eintritt in die UNO verwehrt wird. Der Kampf der Araber, vornehmlich gegen Frankreich, wird nur im weiteren Rahmen der Kolonialfrage erwähnt und auch da in zurückhaltenden Worten. Irgend welche ideologische, taktische Streitigkeiten unter den Kommunistenparteien aber werden nicht einmal flüchtig gestreift. £

Trotzdem ist es in Moskau heiß hergegangen. Chruschtschow hat die obersten Delegierten der einzelnen Länder gesondert empfangen; Mit besonderer Auszeichnung und zweimal Gomulka (am 21. und 24. Mai), sodann den tschechischen Ersten Sekretär Novotny, der nebenbei auch Präsident der Republik ist und der in Moskau sehr vorsichtig lavierte, um weder die derzeit herrschende Gruppe zu erbosen, noch die sehr erwünschte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Polen zu schädigen. Hierauf (die Reihenfolge ist zu beachten!) den bulgarischen Parteisekretär Ciwkow samt dessen Genossen und Rivalen Ministerpräsidenten J u g o w, endlich Ulbricht, Grotewohl und Begleiter. Daran schlössen sich die Audienzen für Gheorghiu-Dej, Ministerpräsident S t o i c a und Bodnaras aus Rumänien, zuletzt für Kädär. Erst nach ihnen allen und nach Abschluß der Tagung öffneten sich die Pforten des Arbeitsraumes Chruschtschows den chinesischen Beobachtern. Das waren nicht gerade einige unbedeutende Apparatleute, fungible Größen, also Nullen, wie man das nach unzuständigen westlichen Berichten vermuten könnte, sondern höchst wichtige Vertreter des nun in Peking bestimmenden scharfen Kurses, nämlich Tschen-Juan, Mitglied des Politbüros, Vizepräsident des Staatsrates und einer der fünf stellvertretenden Vorsitzenden des kommunistischen ZK, und Li-Fu-Tschun, einer der beiden soeben neugewählten Sekretäre eben dieser Körperschaft. Sie drangen mit ihrer Offensive gegen Tito nur im umgrenzten Maße, gegen Gomulka gar nicht durch. Das Echo davon war sofort in der chinesischen Presse zu lesen und im Rundfunk, wie schon vordem auf dem gleichzeitig mit der Moskauer Konferenz abgehaltenen Pekinger Parteitag, zu hören. Im Reich der blumigen Mitte, wo noch vor Jahresfrist die wiederversprochene Geistesfreiheit hundertfach knospen sollte und wo Tito wie Gomulka Rückendeckung gesucht und gefunden hatten, werden jetzt die Belgrader Irrlehrer mit ähnlicher Schärfe verurteilt wie einst in der UdSSR unter Stalin. Die von Chruschtschow mit verbissenem Eigensinn betriebene Gipfelkonferenz weckt im Lande Mao-Tse-Tungs gar geringe Begeisterung. Ein neuer Anlaß zu Meinungsdifferenzen zwischen der europäischen und der asiatischen Vormacht des Kommunismus wird durch die Lage in Frankreich geliefert.

Dementierte, doch sehr wahrscheinliche Bemerkungen Woroschilows, ein paar Sätze in einer Rede Gromykos, besonders aber das Tun und vor allem das Lassen der Sowjetdiplomatie verbieten jeden Zweifel daran, daß de G a u 1-les Wiederkehr dem Kreml durchauswillkommen ist. Chruschtschow und seine engeren Anhänger — wie Mikojan, Frol Kozlow, Kuzmin, Kiritschenko, die Furzewa — ersehnen vordringlich eine Lockerung des Atlantikbündnisses, eine weltpolitische Annäherung an Frankreich und gute Beziehungen zur Dritten Kraft, Indien an der Spitze. Die möchten die beiden großen Schwierigkeiten, die sich dabei zeigen, nicht zuletzt im Einklang mit Frankreich, meistern: mit der arabischen Welt Freundschaft zu pflegen, ohne deshalb mit Paris wegen der nordafrikanischen Händel in Konflikt zu kommen; Tito, den hochgeschätzten Partner Nehrus und Nassers, nicht in die Arme der USA zu treiben — wenn ihm derlei Zuflucht möglich ist —, ohne bei einer Wiederaussöhnung mit dem ungebärdigen Belgrader Häresiarchen das Gesicht zu verlieren.

In Peking jedoch, wie bei den sowjetischen Gegenspielern Chruschtschows innerhalb seiner Partei, von Molotow und Kaganowitsch, den vorläufig Ausgeschalteten, bis zu Suslow, dem noch Eingeschalteten, der freilich bei den jüngsten Moskauer Verhandlungen durch seine Abwesenheit glänzte, wollte und will -man- Tito liiii d'e““Gäülf€, “Nörfrif“'* Nasser, die Nichtmehrkommunisten oder Nichtkommunisten-atif einen Haufen werfen mit Gomulka, dem unorthodoxen Kommunisten. Nur wer die wahre Lehre Marx'-Lenins-Stalins bekennt, gilt diesen Stahlharten als Freund. Wer nicht für sie ist, der ist gegen sie und gegen den sind sie. Daß Chruschtschow wider diese Puritaner des Kommunismus weiterhin kämpfen muß (und will), ist das eine, und daß er dabei bisher die Oberhand behalten hat, das andere wesentliche Ergebnis der Moskauer Gespräche und ihrer unmittelbaren Epiloge.

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