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Entspannung, Frieden und die Supermächte

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Franz Olah, als ehemaliger ÖGB-Präsident und Innenminister eine zentrale Figur der österreichischen Politik in den fünfziger und sechziger Jahren, vollendete jüngst sein 70. Lebensjahr. Die FURCHE bat ihn um Rückblick und Ausblick aus subjektiver Sicht. Uberraschenderweise - oder auch nicht? - fiel sein Beitrag weltpolitisch aus. Er ist deshalb nicht weniger lesenswert geraten.

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Franz Olah, als ehemaliger ÖGB-Präsident und Innenminister eine zentrale Figur der österreichischen Politik in den fünfziger und sechziger Jahren, vollendete jüngst sein 70. Lebensjahr. Die FURCHE bat ihn um Rückblick und Ausblick aus subjektiver Sicht. Uberraschenderweise - oder auch nicht? - fiel sein Beitrag weltpolitisch aus. Er ist deshalb nicht weniger lesenswert geraten.

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Durch den Zweiten Weltkrieg ist die Sowjetunion wieder zu einer imperialen und neokolonialistischen Macht aufgestiegen. Durch die Vereinbarungen von Jalta wurden alte europäische Kulturvölker an Stalin und sein System ausgeliefert. Wer denkt schon heute noch daran, mit welchen Methoden Wahlvorgänge und Wahlergebnisse in diesen Ländern mit Hilfe der alleinigen sowjetischen Besatzungsmacht manipuliert wurden?

Die sogenannten „Vereinigungen" zwischen den sozialdemokratischen Parteien und den sowjetischen Filialen in diesen Ländern wurden mit psychischem und physischem Druck erzwungen. Morde an sozialdemokratischen Führern oder deren Verschwinden für immer, Entführung von Geflüchteten aus dem Exil im westlichen Ausland waren keine Einzelfälle.

So sieht das System aus, das sich heute besonders den westlichen Sozialdemokraten und Sozialisten als Verbündeter anbietet. Exekutoren dieses Systems von damals sind auch heute noch in Amt und Würden. Haben die bürgerlichen und sozialistischen Politiker von heute in den westlichen Ländern das alles vergessen?

Chruschtschow sagte: „Wir werden den Kapitalismus begraben. Er meinte nicht den Kapitalismus, sondern die demokratische Gesellschaft. Einen schlimmeren Kapitalismus als den Staatskapitalismus der sowjetischen

Sklavenhalter gibt es höchstens noch in einigen Bananenrepubliken, oder in Ländern, die mit Hilfe kubanischer Söldner „befreit" wurden.

Wir wollen alle den Frieden, und zwar aufrichtig und ohne Hintergedanken. Wie sehen aber die Voraussetzungen für den Frieden wirklich aus? Nach der Errichtung des sowjetischen Kolonialreiches in Europa mit Hilfe westlicher Dummheit und Feigheit begann statt einer Periode des Friedens der sogenannte „kalte Krieg". Der Sieg einer ideologisch absolut widernatürlichen Kriegskoalition der Westmächte mit dem Staat der stalinistischen Massenmörder konnte keinen echten Frieden bringen.

Vergessen wir nicht: Die Sowjets wurden nicht Verbündete des Westens gegen die nazistischen Massenmörder aus Uberzeugung, sondern lediglich aus der Not. Der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 beruhte auf echter Sympathie -zumindest von Seiten Stalins zu seinem Diktatorzwilling Hitler und der Artverwandtschaft der beiden Systeme.

Die Sowjets lieferten sogar nach der Sowjetunion geflüchtete deutsche Kommunisten an die Gestapo aus! Das war das erste Beispiel „brüderlicher Hilfe" an einen befreundeten Staat! Nur der Narr Hitler wollte keinen anderen Diktator als Konkurrenten um die Weltherrschaft. Als die Sowjets aus dem letzten Loch pfiffen, kam ihnen der demokratische Westen zu Hilfe. So kam die antifaschistische Koalition zustande.

Was die Wirksamkeit von Verträgen anbelangt, so erinnert die Situation seit 1945 fatal an jene ab 1933. Hitler marschierte in das entmilitarisierte Rheinland ein - und machte ein Friedensangebot. Er zerriß den an sich dummen und für Deutschland entwürdigenden Vertrag von Versailles. Er war ein Fetzen Papier geworden. Hitler machte ein neues Friedensangebot.

Dann überfiel er Österreich - und bot der Welt den Frieden. Dann schluckte er die Sudetengebiete und sagte, er sei schon immer für den Frieden gewesen. Wenige Monate später besetzte er den Rest der Tschechoslowakischen Republik - und machte ein neues Friedensangebot.

Nach einem weiteren ' halben Jahr überfiel er in trauter Gemeinschaft mit seinem Seelenfreund Stalin das polnische Volk, teilte es brüderlich mit seinem sowjetischen Verbündeten, sie ermordeten gemeinsam die Elite des polnischen Volkes - dann machte Hitler den europäischen Ländern ein neues Friedensangebot.

Nichtangriffsverträge mit Holland, Belgien, Luxemburg und anderen Ländern waren das Vorspiel vor dem Uberfall bei Nacht und Nebel auf diese Staaten. Dänemark, Norwegen, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland folgten. Ungarn, Rumänien und Bulgarien, später auch Italien, wurden Vasallenstaaten.

Warum es notwendig ist, an alle diese Ereignisse zu erinnern? Weil die Situation von damals in Europa nicht anders war als die Weltentwicklung nach 1945. Der erste Versuch einer gewaltsamen kommunistischen Machtergreifung scheiterte unmittelbar nach 1945 in Griechenland. Südkorea war der nächste Versuch. Er scheiterte an der direkten Intervention der Amerikaner.

Es folgte eine allgemein bejubelte Tat der Entspannung, der österreichische Staatsvertrag. Die Sowjets hatten nach Stalins Tod selber eine Auflockerung der Politik dringend nötig. Österreich selbst trug das seine dazu bei, und die Westmächte ließen keinen Zweifel, daß sie einer Sowjetisierung Österreichs niemals zustimmen würden.

Die feste Haltung des Westens in der Berlin-Krise zeigte den Sowjets damals die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Es folgte die Periode des vielgelästerten „kalten Krieges". Der sowjetischen Ausbreitung wurde nämlich eine klare Schranke gesetzt.

Was brachte die allgemein bejubelte Periode der Entspannung? Eine beispiellose Aufrüstung der Sowjetsaufallen Ebenen, die wirtschaftliche Ausbeutung der „verbündeten" Völker und Länder in Europa und deren dauernde militärische Unterjochung: natürlich ganz freiwillig und aufgrund gegenseitiger Freundschafts- und Beistandsverträge.

Abrüstungs- und Entspannungsangebote kamen in regelmäßigen Abständen nach erfolgreicher Subversion und Intervention unter anderem in folgenden Ländern: Kuba, Südjemen, Kongo-Brazzaville, Angola, Mozambique,

Äthiopien, Südvietnam, Kambodscha, Laos, jetzt Afghanistan.

Ägypten konnte sich aus der Schlinge noch befreien. Chinas nationaler Stolz ertrug keine Demütigungen mehr und schüttelte die Moskauer Vormundschaft gründlich ab. Seither gilt in den Augen Moskaus das kommunistische China als ein sogenannter „Kriegstreiber". In Europa gelang nur den selbstbewußten Jugoslawen mit dem sehr geschickten Tito an der Spitze der Ausbruch aus dem sowjetischen Pferch.

Das Argument dagegen wird nun lauten, das sei primitiver Antikommunis-mus. Es gibt keinen größeren Unsinn als diese Propagandawalze. Der Kampf und die Abwehr von Diktaturen darf niemals auf einen Anti-Nenner gebracht werden. Mit Antikommunismus hat es nichts zu tun, weil es im sowjetischen Herrschaftsbereich überhaupt keinen Kommunismus gibt!

Was ist das für eine „Befreiung der Arbeiterklasse", wenn die Unterdrük-kung jeder persönlichen Regung, Zwangsarbeitslager, psychiatrische Kliniken, Strafverschickungen, Streikverbot, Zwangsaustreibung von Kritikern und Aberkennung von Staatsbürgerschaft an der Tagesordnung sind?

Der sowjetische Zwangsstaat hat soviel mit Kommunismus zu tun, wie der sogenannte Nationalsozialismus mit der Idee des Sozialismus zu tun hatte. Und ungefähr soviel, wie die Scheiterhaufen der heiligen Inquisition des Mittelalters mit der Lehre Jesu Christi!

Warum ist dieses System auch eine Gefahr für den Weltfrieden und eine Bedrohung aller anderen Länder mit einem anderen Regierungs- und Gesellschaftssystem?

Das sowjetrussische System ist in einer Zwangslage von Natur aus. Es kann auf Dauer kein anderes, besser funktionierendes neben sich dulden. Jedes Beispiel einer freien Welt wird von selbst zu einer Bedrohung des Sklavenstaates, es gewinnt an Anziehungskraft in den Augen der eigenen Bevölkerung.

Ein gewaltiger Machtapparat an Schmarotzern in Verwaltung, Geheimpolizei, Parteiapparat und anderen Zwangsorganisationen und ein exakt funktionierender Propagandaapparat mit allen Privilegien einer herrschenden Klasse wie im Zarismus hält ein solches Regime, gestützt auch auf einen gewaltigen militärischen Apparat, sicher auf Zeit aufrecht.

Wie jede Diktatur, die am Leben bleiben will, muß sie fehlende Erfolge nach außen kompensieren. Kann so ein imperialistisches, auf Weltherrschaft strebendes System militärisch überhaupt abrüsten? Nicht einmal aus den verbündeten Randstaaten kann das sowjetische Militär abgezogen werden, ohne daß diese Regierungssysteme zusammenbrechen würden. Der enorme Militär- und Rüstungsapparat ist eine

Frage des Uberlebens Tür das Regime auch im Innern.

Zwangsläufig wird durch Subversion und direkte militärische Intervention jede Schwachstelle in der Welt unterwandert, zersetzt und dann erobert. Terroristische Gruppen welchen Namens immer werden in vielen Ländern der Welt subventioniert und mit Waffen versorgt.

Frage daher an die Verantwortlichen jenes Teiles der Welt, der noch nicht unter der Fuchtel Moskaus steht, an die Politiker aller Schattierungen, an die Manager der Industrie und der Banken, an die Intellektuellen und die Künstler aller Sparten, an die Medienmacher: Wollen sie ihre eigenen Totengräber sein? Wollen sie das Wort Lenins wahrmachen, der sagte: „Die Kapitalisten werden unter dem Galgen stehen, und sie werden noch untereinander streiten, wer von ihnen den Strick liefern darf?

Heißt das wieder „kalter Krieg"? Das ist sicher das nächste Argument. Mir ist jener kalte Krieg, der die Maschinerie der Unterdrückung aufhält, lieber als ein fortgesetzter kleiner heißer Krieg an vielen Fronten der Welt, der am Ende zum totalen heißen Krieg führen muß. Denn einmal würde die freie Welt an der Wand stehen und nicht mehr weiter zurückkönnen, wie 1939 - bei Hitler. Nur würde ein solcher unabwendbar werdender heißer Krieg mit der Zerstörung der Welt enden.

Die österreichische Neutralität bekommt allmählich eine Schlagseite. Die wachsende Abhängigkeit bei Strom, Kohle, Erdgas vom Ostblock ermöglicht den Machthabern in Moskau, uns jederzeit die Luft abzudrehen. UNO-City, Stimmabgabe für Kuba und das Abbusseln gewisser politischer Gesprächspartner zählt im Ringen um die Weltherrschaft gar nichts.

Den Staatsvertrag haben wir nicht bekommen, weil die Russen so gütig waren, sondern weil es in ihre Politik gepaßt hat. Aber wir konnten ihn nur bekommen, weil wir die ersten zehn Jahre durchgestanden haben. Und das Durchstehen haben uns andere ermöglicht, nicht die Russen! Auch daran sollen wir uns in diesen Tagen erinnern. Und die österreichische Nationaleigenschaft der Undankbarkeit und des billigen Opportunismus nicht zu unserer außenpolitischen Doktrin werden lassen.

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