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Rußland und der Westen

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Auf Reden, Zeitungsartikel, Rundfunksendungen hüben und drüben, im Westen und in der Sowjetunion, möge man nicht zu sehr achten. Der Trend ist klar: man will in Washington und in Moskau eine den Erdkreis umspannende Verständigung, wobei es aber beiden Partnern nicht im leisesten einfällt, einen derartigen Waffenstillstand als Verschwinden der unüberbrückbaren Gegensätze der Systeme aufzufassen oder den ideologischen Kampf einzustellen.

Bis in die letzten Februartage mochte es den Durchschnittszeitungsleser dünken, der Front der an die Nützlichkeit einer Entspannung in den Beziehungen zur UdSSR glaubenden Mächte, USA, Großbritannien und Italien, stehe eine Gegenfront der „Harten“, Frankreich und Westdeutschland, gegenüber, die unversöhnlich von der Zwecklosigkeit jedes Gesprächs mit Moskau durchdrungen seien. Die breite Öffentlichkeit ahnte nichts von den seit vorigem September vorhandenen Kontakten zwischen dem Vatikan und Moskau. Doch noch weniger davon, daß Adenauer, der die Gefahr spürte, die Bundesrepublik könne bei einem Ausgleich zwischen den beiden Supergroßen die Kosten bezahlen, seinerseits mit dem Kreml die Fäden wieder angeknüpft hat. Das erste sinnfällige Symptom einer Wendung in der deutschen Ostpolitik war der Abschluß des neuen Handelsabkommens mit Polen, hinter welchem Vertrag sich weit mehr verbirgt, als beide Kontrahenten ihrer Öffentlichkeit zu sagen gedenken — wenigstens nicht ohne längere psychologische Vorbereitung. Wir möchten hier auch auf die Reise des polnischen Ministerpräsidenten, Cyrankiewicz, nach Rom hinweisen, der statt des schwerkranken Außenministers Rapacki persönlich nach Italien flog; kaum, um nur die Herrlichkeiten der Ewigen Stadt zu bestaunen, sondern um als geeigneter Verbindungsmann zwischen Ost und West zu wirken. Nimmt man zu all dem, was wir aus den bewegten Märzwochen berichtet haben, noch die unleugbare Lockerung des kaum erst geschlossenen deutsch-französischen Bündnisses hinzu, die durch die Entführung Argouds und die Affaire Bi-dault gefühlsmäßig verstärkt wurde, dann können wir feststellen, daß einzig de Gaulle es mit Büschs Suleika hält. Er schweigt und zeigt sich gänzlich abgeneigt, auch wenn der Sultan — Nikita Sergiejewitsch — winkt. Doch auch da ist die Lage für den Kremlgewaltigen nicht so hoffnungslos, wie das scheinen mag.

Weit hinderlicher einem Modus vivendi zwischen West und Ost ist

der Widerstand, den die Entspannungspolitik der Staatslenker Amerikas, Großbritanniens und Italiens in führenden und in breiten Schichten ihrer Länder finden. In Deutschland verhält es sich umgekehrt. Dort gehorcht Adenauer der Not und nicht dem eigenen Trieb, wenn er in Moskau anklopft. Die öffentliche Meinung aber, FPD, SPD und ein beträchtlicher Teil der CDU, sind für Gespräche mit der Sowjetunion.

So gewährt der Westen im Angesicht der Moskauer Friedensgebärden einen traurigen Anblick der Zerrissenheit. Kennedy, der zwar die Entspannung sucht, nach wie vor aber der mächtigste Verfechter unserer Kultur und Lebensform ist, er, der weiß, daß man mit den Russen nur aus einer Position der Stärke und der Einmütigkeit verhandeln kann, hat einen schweren Stand. Immerhin schweigen im entscheidenden Moment sogar die ärgsten Widersacher des Präsidenten der USA in dessen Heimat. Er hat dann die ganze ungeheure Kraft der Vereinigten Staaten hinter sich. Und er gewöhnt sich daran, in Schicksalsstunden nicht nach den Ansichten der viel schwächeren und zerfahreneren Verbündeten zu fragen. Sie mögen aufmucken, grollen, doch sie können nicht den Kurs Washingtons mitbestimmen.

Wie liegen nun die Dinge im Osten? Erinnern wir uns daran, daß die UdSSR erstens Erbin des Zarenreichs und, gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, seiner Aspirationen ist, zweitens die Vormacht eines durch eine allseitige, einheitliche Weltanschauung zusammengehaltenen Bundes diktatorisch durch eine Partei regierten Staaten. Überall, wo das aus diesen beiden Fakten hervorgehende Programm nicht völlig verwirklicht werden durfte, bleibt seine spätere Erfüllung Wunschziel. Wir sehen zunächst, daß die vom kaiserlichen Rußland vermachten Begehren nirgends unmittelbar auf für Amerika lebenswichtige Zonen hinübergreifen. Allein die Aspekte werden sofort schlimmer, wenn wir uns der zweiten Wesenseigenschaft der sowjetischen Weltpolitik zuwenden, der einer Führungsmacht des Kommunismus.

Da gibt es überhaupt keine Grenzen für die sowjetische Expansion. Die Sowjetunion, ihre kommunistische Leitoligarchie mit dem grundsätzlich friedfertigen Chruschtschow an der Spitze (noch?), hat den Glauben an die Alleinwahrheit des Marxismus-Leninismus, sieht es als ihr Recht und als ihre Pflicht an, allerorts den Gesinnungsgenossen offen oder heimlich zu helfen, im Notfall mit Waffengewalt einzugreifen. Zumindest aber fördert sie in allen noch nicht „vom Joch des Kapitalismus-Kolonialismus befreiten“ Ländern die dortigen Bestrebungen, durch Zermürbung oder sogar durch blutigen Umsturz einen Umbruch zu erzwingen. Und dabei stößt sie gleichermaßen überall auf die amerikanische Gegenaktion. So war es in Kuba, so ist es ständig in den lateinamerikanischen, in den schwarzafrikanischen Ländern, in der muselmanischen Völkerwelt, im Fernen Osten, in Indien, in Laos.

So ist es in Deutschland und so wäre es in Österreich, wenn dort USA oder UdSSR das Übergewicht gewännen. So wäre es in Italien, in Frankreich, wenn je in diesen Staaten der Kommunismus starken Auftrieb be-

käme und gar nach der Teilnahme an der Regierung verlangte. Da Moskau nie auf seine Unterstützung der Kommunisten in den westlichen Ländern wie sonst auf dem Erdkreis verzichten will, noch dem Charakter seines jetzigen Regimes gemäß verzichten kann, ist ein echter Friede, eine auf unabsehbare Zeit gesicherte friedliche Koexistenz zwischen USA und UdSSR undenkbar. Wohl aber rückt ein Waffenstillstand immer mehr ins Blickfeld.

Der aber hängt zum großen Teil vom Verhältnis der Sowjetunion zu China ab, wie umgekehrt dieses Verhältnis durch die Bereitschaft Moskaus zu einem Stillhalteabkommen mit Amerika die sowjetisch-chinesischen Beziehungen maßgebend beeinflußt. Über diese Beziehungen darf man keiner Täuschung huldigen, weder im positiven noch im negativen Sinne. Das Staats interesse, von dessen negativer Auswirkung bereits berichtet wurde, wird immer wieder die vielen Reibungspunkte in Erinnerung rufen, von Korea über die Mongoleien zu Ostrurkestan, nach Afghanistan und Fakistan, Indien, Laos, Kambodscha und Vietnam, nach Indonesien und Burma, ja noch weiter, bis nach Kuba und anderen lateinamerikanischen Republiken, nach Nordafrika und den neuen Negerstaaten, bis in die islamischen Länder: wie man das noch auf der letzten panafrikanischen Konferenz beobachtete. Doch die Einigkeit ist sofort wieder da, sobald es sich darum dreht, dem Westen, der kapitalistischen Welt, gegenüberzutreten.

Eine dier wichtigsten diplomatischen Waffen im kalten Krieg zwischen Amerika und der Sowjetunion erblik-ken wir im beiderseitigen Streben, zwischen dem Hauptgegner und dessen Verbündeten Zwietracht zu stiften. So freut man sich im Westen über jede wahre oder angebliche Verschärfung des Konflikts zwischen Mos-

kau und Peking; man tat das möglichste, um Jugoslawien vom kommunistischen Block abzuziehen — was mißriet — und tröstete sich hernach über Titos Annäherung an die UdSSR damit, daß China und die UdSSR dadurch einen ständigen ' Zankapfel empfingen. Umgekehrt frohlockt man in Moskau über die, ach, nur zu authentische Uneinigkeit des Westens, über die Krise der EWG und der EFTA, nicht zuletzt über die innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Kennedy und den Harten, zwischen Tories und Labour, de Gaulle und den Anglophilen, Englandfreunden und Frankophilen in Westdeutschland, ja sogar Neutralen und Integrations-begeisterten im kleinen Österreich.

Ziehen wir die Summe aus all den Sachverhalten, die wir in dieser notwendigerweise nur knappen Überschau in Zusammenhang gebracht haben, und heischen wir also Antwort auf die Kernfrage, ob zwischen der Sowjetunion und dem Westen eine Verbesserung des Klimas, ein Waffenstillstand von befristeter Dauer erreichbar ist und ob darauf einige Aussicht besteht, dann dürfen wir das zögernd und ohne manchen Zweifel bejahen. Eine ähnliche Vorhersage auf längere Zeit hinaus zu machen, ist dagegen allzu riskant. Die messianische Idee, die den materialistischen Kommunismus beseelt, und die Entschlossenheit der USA, und der mit ihnen verbündeten Mächte, ihr gegenüber die eigene Gesellschaftsordnung zu verteidigen, sind es, die einer wahren Koexistenz im Wege stehen, nicht aber die zahllosen Einzelkonflikte, wie schwer sie auch friedlich lösbar sind: vom Statut West-Berlins und von der Oder-Neiße-Grenze zur Gezweiung in Vietnam und Korea, ja zu' Kuba. Das festzustellen, schulden wir unserer nüchternen, unbefangenen Selbsterkenntnis.

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