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Amerika wählte in ernster Stunde

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Denken wir zurück, um den Blick in die Zukunft freizubekommen. Vor vier Jahren standen die amerikanischen Wahlen als das weltpolitische Ereignis im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit. Heute, in diesen Tagen , im grauen, und blutigen November 1956, wurden sie von vielen anderen Geschehnissen überschattet, ja im Bewußtsein vieler Völker zu einer wenig interessanten Routineangelegenheit entwertet. In dieser Tatsache drückt sich der Wandel der Weltgeschichte in den letzten vier Jahren aus. Damals erwartete die ganze freie Welt und viele Völker, die sich von der kommunistischen Invasion bedroht fühlten, daß die USA machtvoll und entschieden ihre Rolle als erster Vorkämpfer der freien Welt übernehmen werde. Eben deshalb blickte man. auf den General Dwight D. Eisenhower, in dem man den starken Mann sah; für viele erschien er als eine Art Messias, ein Heilsführer, der aus Unterdrückung, Armut, Volksnot die Völker der Erde herausführt. Europa und darüber hinaus viele Menschen in anderen Kontinenten meinten, der Gang der Weltgeschichte werde entschieden durch die Auseinandersetzung zwischen den USA und der UdSSR. Was ist rrtb in diesen vier Jahren geschehen? Was führt uns', die wir hier in Oesterreich am Rande eines Vulkans und einer entsetzlichen Katastrophe die Nicht-anwesenheit des Westens in einer schweren Stunde schauen müssen, mitten durch diese vier Jahre auf diesen Moment zu, in dem wir heute stehen?

Denn: mit den harten, bitteren Worten aus vieler Mund über das „Versagen des Westens'' ist es ja nicht getan. Der Ausfall des politischen Handelns der USA in der gegenwärtigen Schicksalsstunde Osteuropas ist nicht allein aus der Wahl-Not der letzten Wochen, in denen sich die amerikanische Regierung nicht in den an sich notwendigen kühnen politischen Taten engagieren wollte, zu- klären. Asiaten aller Couleurs, Angehörige von „erwachenden Völkern“ in Asien( Afrika, Südamerika sagen es uns in eben dieser Stunde offen ins Gesicht: „Seht, da habt ihr es nun einmal am eigenen Leibe, in nächster Lebens- und Todesnähe, erfahren: Amerika versteht die Erhebungen der erwachenden Völker nicht; es braucht zumindest entsetzlich lange, bis es durch den Wust eigener Aengste und Vorurteile hindurch das sieht, was da wirklich vorgeht.“ — „Dann aber ist es oft schon zu spät ...“

Als vor vier Jahren Eisenhower Präsident wurde, fand er die amerikanische Außenpolitik in einer Enge vor, die durch Männer der Partei, die ihn als ihren Kandidaten durchgesetzt hatten, noch wesentlich verschärft wurde. In der Roosevelt-Aera war es üblich gewesen, linksintellektuelle Ideologen als Berater in außenpolitische Angelegenheiten heranzuziehen. Der Erfolg war erschreckend: diese setzten sich nicht selten für politische Cliquen in den zu betreuenden und zu befreienden Ländern ein, die nur darauf warteten, ins Lager des Kommunismus überzugehen. Die republikanische Regierung ersetzte die Linksdraller durch Rechtsdraller. Nicht nur McCarthy, sondern einflußreiche Kreise, etwa um den Vizepräsidenten Nixon, gaben alle ihre Unterstützung „starken Männern“ der Rechten und deren bewaffneten Garden, weil sie meinten, diese seien allein imstande, den Vormarsch des Weltkommunismus zu stoppen. Nun begann die Säuberung des Außenamtes und der diplomatischen Vertretungen. Damals wurden eben jene Männer entlassen, im Fieber des McCarthy sehen Hexenwahnes, die man eben jetzt im Herbst 1 956 so notwendig gebraucht hätte, um die £n t w i c klungen in Polen und Ungarn richtig zu v e r s t e h e n: erfahrene Diplomaten, die, ohne Vorurteile, die konkreten politischen, gesellschaftlichen und mentalen Strukturen anderer Völker richtig zu sehen wagen und deshalb bereit sind, je nach Situation, mit „linken“ und „rechten“ Gruppen zusammenzuarbeiten. Männer, die andere Völker und politische Richtungen nicht nach ihren eigenen Aengsten und Wunschträumen einschätzen, sondern nach ihrer wirklichen „effi-ciency“: was hier zu deutsch heißt, nach ihrer Fähigkeit und ihrem Willen, unter den in ihren Ländern gegebenen Verhältnissen etwas zur Förderung der Freiheit und zur Lösung aus dem Satellitentum der Sowjets tatkräftig zu unternehmen.

Die Säuberungen im US-amerikanischen politischen und außenpolitischen Dienst — sie waren mit das schwere Lösegeld, das Eisenhower für die Ueberwindung McCarthys zahlen mußte — führten zu nicht weniger erschreckenden Ergebnissen als die Politik der Linksdraller unter Roosevelt: wieder wurde Amerika weltpolitisch gelähmt, ja auf Jahre hinaus impotent. Die USA-Diplomatie der frühen Dulles-Periode (der John Foster Dulles von 1956 ist nicht mehr „der Dulles“ von 1952: heute steht ein durch Erfahrung gereifter Politiker neben Eisenhower) flogen dreißigmal um die . Erde, um in Asien, Japan, Afrika, Südamerika, Europa „starke Männer“ zu suchen und zu fördern, mit denen sie Militärpakte abschließen konnten. Eben dieses System der Militärpakte hat den USA und der freien Welt schwersten Schaden zugefügt. Und nun setzt sehr schnell der Wandel ein, in dem wir eben noch stehen. Asiatische Völker vereinigen sich in der Bandung-Konferenz (eben engagieren sich die Bandung-Staaten im Suezkonflikt). Rotchina festigt sich, unter schwersten Opfern, die es seinen hungernden Massen auferlegt, sowohl den USA wie • der UdSSR gegenüber. Eines Morgens beginnen auch die erschreckten Abendländer zu erwachen und beginnen zu sehen: die Welt ist nicht mehr einzig und allein Schauplatz eines . Ringens zwischen der Heilsmacht der USA, und der Sowjetmacht sondern gliedert sich in große neue .Welt--gewichte auf., Indien, China; sind als gleiche Rechte beanspruchende Partner in das Weltgespräch eingetreten, Afrika beginnt sich in einer Fülle schwerer Konflikte auf sein Eigengewicht zu besinnen. Die Sowjetunion ist der erste der beiden großen Kontrahenten, der begreift, daß der Wind der Weltgeschichte aus allen vier Himmelsrichtungen zu wehen beginnt. Sie beginnt sich zögernd, langsam, bereits vor dem Tode „J o e s“ (wie die Amerikaner Stalin nannten), umzustellen von ihrem älteren EinHerrscher-System, das 400 Jahre in ihrem Ursprungsland gegolten hatte, zu einer Partnerschaft. Tito wird, nach dem Tode Stalins, in den Genuß dieser weltpolitischen Erkenntnis gelangen, Indien und China haben ihm den Weg gebahnt. Da kann auf die Dauer auch die USA den Wandel der Weltgeschichte nicht mehr übersehen. Die Genfer Konferenz, viel gescholten und wenig verstanden, ist der erste sichtbare Ausdruck einer neuen amerikanischen Weltpolitik, die nun endlich beginnt, sich aus den ideologischen Scheuklappen zu lösen und ihre wahren Gefährdungen und Chancen zu ersehen.

Eisenhowers Regierung beginnt mit den Sowjets zu verhandeln, weil sich immer deutlicher erkennen läßt, daß die USA und UdSSR nicht nur durch viele Gegensätze, sondern auch durch eine ganze Reihe gemeinsamer weltpolitischer Interessen verbunden sind. Dieser „Genfer Weg“ wird in den USA. und natürlich zumal von Seiten der „starken Männer“, der Kinder des kalten Krieges- der Lieblingssprößlinge [ der neuen republikanischen Regierung, schärfstens angegriffen. Nur zögernd begeben sich Eisenhower und Dulles auf ihn. Für ihn sprechen aber: die Wasserstoffbombe in der -Hand der Sowjets, die beginnende wirtschaftliche und politische Weltoffensive des Kremls, .der mit der Fahne der „interesselosen Partnerschaft“ in die anderen Kontinente einzieht. Nun ist es für die USA höchste Zeit: man beginnt umzudenken und übernimmt stillschweigend das Denken und die Maximen der besten demokratischen Diplomaten der Truman-Aera (deren weltgeschichtliche Verdienste langsam gesehen werden). Der New Look der amerikanischen Außenpolitik beginnt überraschende Erfolge zu tragen: die Völker Asiens beginnen ihr Mißtrauen zu verlieren, die Völker Afrikas suchen Verbindung mit der amerikanischen Wirtschaftsund Aufbauhilfe .. Dieser New Look wird aber seit über einem Jahr wieder gebremst: es ist Wahljahr. Schatten aus der McCarthy-Zeit, Rücksichtnahme auf Massen republikanischer Wähler, die einen „harten“ Kurs den Sowjets und linksgerichteten politischen Bewegungen gegenüber vertreten, erzwingen ein Leisetreten, ein Einschlafen der Aktivität.

In eben diesem Moment beginnen, vom 28. Juni dieses Jahres in Posen an, die Ereignisse in Osteuropa immer dramatischer sich zu entwickeln: sie sind mit bedingt durch das Vertrauen der Ostvölker auf die amerikanische Potenz: man erhofft sich von den USA wirksame Hilfe, nicht in Form von Bomben und Reden, wohl aber durch eine großzügige und entschiedene Politik, die es verstehen müßte, die Weltöffentlichkeit für die legitimen Freiheitsrechte der osteuropäischen Völker zu interessieren und die befähigt ist, Osteuropa mit den Russen auszuhandeln. Die Erhebungen Polens und Ungarns waren nur möglich nach der Beendigung des kalten Krieges: in einer weltpolitischen Atmosphäre, in der man hoffen durfte, daß diese heiklen Prozesse der- Befreiung ohne Weltkrieg und ohne allzu große Opfer in den nächstbetroffenen Ländern durchführbar sind. Die Polen und Ungarn haben sich in diesem Punkte nicht getäuscht; sie übersahen nur, daß Eisenhower, dem auch die Russen mehrmals ihr Vertrauen demonstrativ bekräftigt hatten, im vierten Jahr seiner Regierung wieder mit den Schatten ringen mußte, die seine schweren Anfänge begleitet hatten. So standen die Völker Polens und Ungarns jetzt allein da, vom Westen verlassen allein mit- der hohlen Stimme der Kreise um gewisse Propagandasender, allein, ohne diplomatische Unterstützung. Da begannen die Sowjets das Massaker ...

Amerika nach den Wahlen. Das geringere Weltinteresse an eben diesen Wahlen hing eben damit zusammen, daß immer breitere Schichten in allen Völkern der Erde begriffen haben, daß diese Wahlen von nicht allzu großer Bedeutung füfidie Weltpolitik der USA sind. Auch ein Sieg Stevensons hätte eine Fortsetzung der im vorletzten Jahr begonnenen neuen amerikanischen Linie gebracht, wenn auch vielleicht mit schneller wirksamen Mitteln und mit Hilfe der Männer* die unter Truman und Kennan bereits vor Jahren die heutigen Möglichkeiten sahen. Wohl hat die Inaktivität der letzten Monate, ja des letzten Jahres,: die amerikanische Außenpolitik zurückgeworfen: eben deshalb müssen die neualten Männer der USA-Regierung alles tun, um das verlorene Terrain aufzuholen. Die Aufgaben sind klar sichtbar: Verhandeln mit den Sowjets, vm Osteuropa den blutigen Wirren zu entreißen .und ihm die ebenso verdiente — wit von-beiden Seiten her mögliche — .f^Rt.i sehe Freiheit zu geben. Verhandeln mit den Bandung-Staat<n, Indien, den Ländern des Nahen.Ostens, .um den Suezkonflikt zu beenden. Verhandeln mit den alten Verbündeten England und Frankreich, die heute über Gebühr gescholten werden, weil sie Lehensrechte zu verteidigen unternahmen und sich von den USA keine schöpferische politische Lösung und Hilfe im gegenwärtigen Moment erwarten konnten.

So seltsam es klingt: die Situation Frankreichs und Englands ist, in ihrer Dimension, nicht ganz verschieden von der Lage Ungarns und Polens: alle diese vier Länder sind in eine Krisensituation geraten, in der sie eine Sicherung ihrer nationalen Substanz nur noch durch Selbsthilfe zu erkämpfen hofften. England lebt von-der Erhaltung seiner Lebensadern, Frankreich kämpft in,.Aegypten um seine afrikanische Reichshälfte; beide fühlen sich ebenso tödlich bedroht in der Entfaltung ihrer Lebenskräfte, wie Polen und. Ungarn durch den Terror der stalinistischen Regime,!

. Die Aufgaben der neuen amerikanischen Regierung sind also genau vorgezeichnet: mit Blut schreibt sie die Weltgeschichte an die Wand. Aber auch die Lösungsmöglichkeiten sind vorgezeichnet — und es sind demokratische und republikanische Kreise, die hier sich Eisenhower zur Mitarbeit zur Verfügung stellen, im Sinne einer Fortsetzung der vor bald zwei Jahren begonnenen konstruktiven Politik der Partnerschaft mit den Völkern Asiens und Afrikas und eines harten, geduldigen Aushandelns mit den Sowjets. Ebenso sind es republikanische und demokratische Kreise, die sich Eisenhower, dem Weltpolitiker, entgegenstellen — -und die et auch Stevenson schwer genug' gemacht hätten. In der Außenpolitik geht die Front seit langem quer durch die beiden großen amerikanischen Parteien. Der Präsident aber wird, durch die Wirklichkeit, auf eine Linie verpflichtet, die allein Amerika und den Völkern, die auf Amerikas Hilfe und Mitarbeit angewiesen sind, von wahrem Nutzen ist: das weiß Eisenhower seit Jahren, er hat es in seiner ersten Präsidentschaft gelernt, und nichts berechtigt uns zur Annahme, daß er das vergessen hat, wofür eben jetzt unsere alten Freunde und Schicksalsgenossen, Ungarn und Polen, ein so schweres Blutgeld zahlen mußten: die Freiheit in der Welt Ist unteilbar. Man kann niefct, ohne sich selbst (und alle anderen mit) aufs schwerste zu gefährden, von der Freiheit r eden, sie auch für and.-rc und von anduvn zu fordern, wenn man nicht tatkräftig hilft, sie im Rahmen des jeweils Möglichen zu erringen. Dieses Mögliche stand in eben diesen letzten Wochen riesengroß für Osteuropa da: wenn im gegenwärtigen Moment, aus sehr großen Möglichkeiten sehr viele kleinere Möglichkeiten geworden sind, dann schulden wir alle das der Tatsache, daß der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vor vier Jahren seine erste Regierungsperiode antreten mußte als Gefangener panikartiger neurotischer Zustände in der amerikanischen Bevölkerung und unter dem Druck von Kreisen, die in der Weltangst fischen gingen. Heute dürfen wir hoffen, daß es diesmal, in der zweiten Epoche Eisenhowers, nicht wieder Jahre dauert, bis die amerikanische Weltpolitik sich losringt aus den Schatten dieser Angst und der Angstmacher. Die Volker Osteuropas und mit ihnen alle erwachenden Völker der Erde haben ein Recht auf tatkräftige Hilfe von Seiten der USA — nicht nur, weil diese es jahraus, jahrein in Wort und Funk ihnen versprochen haben, sondern weil die Vereinigten Staaten, dieser Völkerbund aus meist europäischen Menschen, die die Freiheit suchten und für sich gefunden haben, selbst nur bestehen können, wenn sie diese Hilfe leisten i diese aber kann, recht verstanden, nicht in der Entsendung dubioser, gescheiterter Politiker, nicht in der Ueberlassung von Waffen und auch primär nicht einmal in der Wirtschaftshilfe bestehen — so wichtig letztere ist —, sondern in der weltpolitischen Hilfestellung. Die USA haben Gelegenheit, mit Indien und China (ja, auch, China), mit den Staaten Asiens und Afrikas, mit Tito-Jugoslawien und Rußland die Lebens- und Freiheitsrechte der Völker Osteuropas auszuhandeln. Die neue Regierung Eisenhower ist zu diesem Geschäft dringend geladen. Von der Weltgeschichte. Es könnte sonst geschehen, daß ein Prozeß seinen Fortgang nimmt, der in den letzten vier Jahren bereits begonnen hat: eine neue Auswägung von Weltgewichten, ohne Mitsprache der USA, ohne Rücksicht auf sie — eine der ersten Folgen wäre eine Umgruppierung in ganz Europa. Es ist besser, diese Gefahr schon heute zu sehen — die Völker Europas, eigene Wege gehend, da sich verlassen fühlend von Amerika —, als übermorgen wieder einmal erschrocken erwachen zu müssen in der Erkenntnis: Seht, was ist da vertan worden, weil die Steuermänner nicht an Bord waren in der Stunde, in der es darauf ankam.

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