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Randbemerkungen zur woche

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AUF DEM WEG VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT sind wir glücklich am siebenten Meilenstein angelangt. Sieben lange Jahre trennen die Gegenwart von den stürmischen Apriltagen des Jahres 1945. Lang war der Weg und steinig. Das Ende aber ist noch nicht abzusehen. Große Hoffnungen wurden in der Zwischenzeit bitter enttäuscht, manche Erwartung mußte begraben werden: davon war beredt in jenem jüngsten Appell der österreichischen Volksvertretung an die Wettöffentlichkeit, dem sich die Landtage anschlossen, die Rede. Die Erinnerung aber geht gerade in diesen Tagen zurück. Sie findet inmitten der allgemeinen Auflösung und des Zusammenbruches eine kleine Schar, deren unbedank- ter und über den Sorgen des Tages schon halbvergessener Einsatz der österreichischen Hauptstadt das ihr zugedachte Schicksal von Budapest und Breslau erspart hat. Wie es einige Zeit üblich war, jeden KZ- Häftling ohne gewissenhafte Prüfung der Gründe seiner Inhaftierung — politische oder vielleicht kriminelle? — mit einer Gloriole zu umgeben, so hat es sich nun eingebürgert, über das Thema Widerstand sehr schnell zur Tagesordnung überzugehen. Eines ist so unrichtig wie das andere. Es gab den mutigen Einsatz einer kleinen Schar, der diese Stadt und ihre Menschen viel verdanken. Es gab einen Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred H uth und Oberleutnant Rudolf Raschke, drei Österreicher in der deutschen Wehrmacht und führende Männer der Widerstandsbewegung. In letzter Stunde wurden sie Opfer des Henkers. Muß es jedes Jahr an dieser Stelle wiederholt werden, daß die Gemeinschaft ihre Ehrenpflicht gegenüber diesen Toten noch zu erfüllen hat?

EINE LISTE VON FORDERUNGEN zur österreichischen Finanz- und Wirtschaftspolitik hat der Gewerkschaftsbund vorgelegt. In ihrer Gesamtheit zielen sie darauf hin, das Sparprogramm des Finanzministers in Frage zu stellen. Merkwürdig, in der äußerst kritischen wirtschaftlichen Situation an der Jahreswende war die Einsicht eine allgemeine, daß in den kommenden Wochen und Monaten der Riemen enger geschnallt werden müsse, soll Österreich ohne schwere wirtschaftliche Schäden das kritische Jahr 1952 durchstehen. Nun trüben wieder Doktrinen und Vorurteile den Blick. Freilich, inwieweit die oft zitierte Gefahr einer Arbeitslosigkeit kein Schreckgespenst, sondern eine reale Gefahr mit ernsten politischen Folgen ist: das verlangt sachliche Prüfung und wirkungsvolle Gegenmaßnahmen. Die verantwortungsvollen Männer unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik werden sicher einsichtsvoll genug sein, dies zu erkennen und danach zu handeln.

STACHELDRAHT UND MINENZAUN werden in Zukunft nicht länger ein Privileg unseres volksdemokratischen ungarischen Nachbarstaates sein. Das böse Beispiel, geboren aus Angst vor Massenflucht der gequälten Bevölkerung, macht Schule. Auch an der tschechischen Grenze wird es, nachdem schon vor längerer Zeit hier ein lokaler Versuch unternommen wurde, allem Anschein nach ernst. So wußte gerade in den letzten Tagen das Zentralorgan der zweiten Regierungspartei zu berichten:

„Mitte März begannen die Tschechen in der Nähe von Drosendorf, nicht weit von der österreichischen Grenze, mit der Anlage eines Stacheldrahtverhaues. Der Bau ist nun schon weit fortgeschritten ... Bei Felling im Bezirk Hollabrunn begannen die Tschechen am 17. März mit dem Bau eines Drahtverhaues... Der Verhau ist hier doppelt: Wer die Grenze überschreiten will, muß zuerst einen mannshohen Stacheldrahtverhau überklettern und kommt dann zu einem ein Meter hohen, an Pflöcken strahlenförmig' gespannten Drahtgeflecht. Dieser zweite Verhau ist augenscheinlich als Stolperdrahtbarriere wie ein Spinnennetz angelegt. Die einzelnen Drähte stehen mit Minen in Verbindung ... Bei Riegersburg haben die Tschechen auf dem Gelände des ehemaligen Meierhofes „Frauenhof" einen Beobachtungsturm errichtet. Der Turm ist etwa dreihundert Meter von der österreichischen Grenze entfernt, dreißig Meter hoch und trägt ein Postenhaus, das nach allen Seiten geschlossen ist. Der Posten beobachtet das Gelände durch dünne Sehschlitze. Dadurch weiß man nie, ob der Beobachtungsposten besetzt ist oder nicht." „

POZOR MINyt Achtung, Minen! Immer zahlreicher, immer dichter werden die Tafeln mit dem Totenkopf an Österreichs Nordgrenze. Der totalitäre Staat ein riesiges Gefangenhaus, ein überdimensionales KZ:

bisher eine etwas rhetorische Wortwendung, eine erschreckende Vision — nun aber immer mehr und immer deutlicher weithin sichtbare Wirklichkeit.

„GLAUBEN, MARSCHIEREN, GEHORCHEN!“: war das nicht das Allheilmittel des Duce, das am Karfreitag 1937 sein VolJc auf die Schlachtfelder Albaniens und wenig später an einem viel längeren und furchtbareren Karfreitag auf die Totenfelder Afrikas, des Ostens und Westens führte? Mitnichten. Wie eine Wiener Montagzeitung zu melden weiß, ist diese Parole vielmehr „ein neues revolutionäres Konzept kontra Kommunismus" und wird, dem Blatte zufolge, von der „ungeheuren Macht“ der Katholischen Aktion in Italien „verkörpert“. „Sie ist die Kadertruppe des militanten Katholizismus und zählt allein in Italien mehr als zwei Millionen Mitglieder.“ So ein „bürgerliches“ Wiener Blatt. Sosehr es Tatsache ist, daß Gedda, der Präsident der „Azione cattolica“, nicht konform geht mit De Gasperi, daß eine zahlenmäßig sehr kleine Gruppe weit mehr „rechts“ steht als der Ministerpräsident als Mann der Mitte und des Maßes, muß eine solche Irreleitung der Öffentlichkeit nur als Wasser auf die Mühlen jener Gruppen angesehen werden, gegen die sich eben dieses „neue revolutionäre Konzept“ richten soll. Es geht nicht an, die tatsächlich bestehenden Spannungen im italienischen Katholizismus in einer Weise politisch festzulegen und prononzierend aus- zulegen, die bei seinen wahren Freunden nur Erschrecken und bei seinen wahren Gegnern nur Jubel auslösen kann. Kirche und christliches Volk in Italien haben nicht vergessen, was sie dem Faschismus verdanken: eben jene Situation, in der sich heute Italien, Europa, die Welt befinden. Niemals kann sich ein gesundes katholisches Denken zu der Parole bekennen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben! Wer so denkt, wer so schreibt, bekennt damit nur, wie fremd ihm das politische, auf dem Naturrecht und dem gesunden Menschenverstand beruhende politische Wesen des Katholizismus ist. Kein „Schielen nach links“ und kein „Drang nach rechts“ wird es von seinem geraden Weg abführen, der mitten hindurch führt durch die Parteiungen des Tages, sie sorgfältig beobachtend, prüfend — und überwindend.

PRÄSIDENT HARRY S. TRUMAN kandidiert bei der nächsten USA-Präsident- schaftswahl nicht mehr. Diese Meldung hat die Weltöffentlichkeit überrascht, sie lag aber wohl nahe, seit sich General Eisenhower endgültig zur Kandidatur entschlossen hatte. Es geht, wie immer bei Wahlen in den USA, um die Entscheidung zwischen „Republikanern“ und „Demokraten“. Da nun Truman ein Kampf gegen „Ike“ Eisenhower nicht aussichtsreich erschien, sind die Chancen des letzteren außerordentlich gestiegen. Denn es ist nicht wahrscheinlich, daß es einem Demokraten von geringerem Namen, als ihn der gegenwärtige Präsident besitzt, gelingt, seinen republikanischen Gegner Eisenhower zu schlagen. Allerdings sind die amerikanischen Präsidentschaftswahlen, wie die Erfahrung lehrt, ein überraschungsreiches Parforcerennen. Die Republikanische Partei vereinigt in sich die verschiedenartigsten Schattierungen und Strömungen, und innerhalb der Partei hat Eisenhower in Taft einen einflußreichen Rivalen. Die Wah-, len selbst sind auch ein umständlicher Prozeß, der bis zuletzt den mannigfaltigsten Wendungen zugänglich ist. Die notorische Gegnerschaft des populären Generals MacArthur gegen seinen jüngeren Berufskameraden Eisenhower wird da auch noch in die Waagschale fallen. — Die Verfassung der Vereinigten Staaten gibt dem Staatsoberhaupt genügend Spielraum, selbständige Entschlüsse zu fassen. Auch Präsident Truman hat bedeutungsvolle Entscheidungen getroffen — wie den Beschluß, in Friedenszeiten in Europa amerikanische Truppen zu unterhalten. General Eisenhower ist ein gewiegter Unterhändler, darin geübt, heterogene Elemente zu einem gemeinsamen Ziel zu führen. Sein Amt als Oberbefehlshaber der Atlantikpaktstreitkräfte hat ihn mit der verwickelten Problematik Europas vertraut gemacht und ihn deren Klippen besser erkennen lassen als irgendeinen anderen amerikanischen Politiker. Es ist zu hoffen, daß er in die Kandidatur um das hohe Amt nicht nur den Eindruck bestimmter Mängel des europäischen politischen Systems, sondern auch jenen der gesunden Kräfte mit sich nimmt, durch deren Förderung eine größere Selbstbesinnung und eine stabilere Zusammenarbeit der europäischen Nationen eines Tages wird erreicht werden können.

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