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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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NACH HAUSE GEGANGEN ist nun der österreichisch^ Nationalrat. Er hat den Vorschlag der Bundesregierung, das Parlament aufzulösen und vorzeitig Wahlen auszuschreiben, gebilligt. Nicht wenigen Abgeordneten wird dieser von der Regierung mit sanfter Gewalf durchgedrückte Entschluß keineswegs leicht gefallen sein. Wissen sie doch nicht, ob dies nicht ein Abschied ohne Wiederkehr ist. . . Nun, der Wahltermin steht fesf, alles andere rollt mit beinahe mathematisch zu nennender Genauigkeit ab. In den Parteien werden die Vorbereitungen für den nach Ostern einsetzenden Wahlkampf, den man frühestens erst im Herbst erwartet hat, mit Nachdruck vorwärtsgetrieben, und auch im Innenministerium hat man bereits auf den Knopf gedrückt, der die Arbeit der zuständigen Behörden anlaufen läßt. Die Kugel rollt. Rouge ou Noir... ?

DER OPERNDIREKTOR. 5. November 1955 — Eröffnung des neuen Hauses mit „Fidelio“, festlich-freudige Stimmung und stürmischer Applaus für den neuen Herrn des Hauses, der die Eröffnungspremiere dirigierte und das Opernfest vorbereifet hafte. Knapp vier Monale später — im gleichen Haus, bei der gleichen Oper: minutenlange, lärmende Demonstrationen, Pfeifen, Geschrei . . . Am Tage vorher hafte sich Dr. Karl Böhm in einer Pressekonferenz darüber beklagt, daß gegen ihn während seiner nur einmonatigen Abwesenheit von einem Teil der Wiener Zeitungen pausenlos unfpire Angriffe geführt worden seien. Diese vor Hern hätten ihn dazu veranlagt, seine Tätigkeit als Direktor nur noch bis zum Ende dieser Spielzeit auszuüben und künftig der Wiener Staatsoper lediglich als Dirigent zur Verfügung zu stehen. — Im Laufe dieser Pressekonferenz kam es dann zu einer Aussprache, unter deren Eindruck sich Dr. Böhm bereit erklärte, seine Demission, diesen „schwersten Entschluß seines Lebens“, noch einmal zu prüfen bzw. zu revidieren. Hierüber wurde während der letzten Tage zwischen dem Unterrichtsminister, dem Leiter der Bundesiheaterver-walfung und Dr. Böhm verhandelt. Schwerer als die von Stehparterre und Galerie veranstalteten Demonsfralionen jugendlicher Opernbesucher und die in der Presse geübte Kritik wiegen die Schwierigkeifen, welche sich bei diesen Verhandlungen ergeben haben und von denen ein erstes von der Unterrichtsverwalfung herausgegebenes Kommunique spricht. Der Gesundheitszustand Dr. Böhms sowie seine zahlreichen Auslandsverpflichfungen einerseits und die Forderung dsr Unterrichtsverwalfung nach strikter Einhaltung des Vertrages, der nicht nur eine siebenmonafige Anwesenheit, sondern auch eine verantwortungsvolle und kontinuierliche Führung der DJrektionsgeschäfte vorsieht, scheinen unvereinbar. Daher war es, zum Bedauern beider Teile, notwendig, die Konsecuenzen zu ziehen und von der Kündigungsklausel des Vertrages Gebrauch zu machen. Die Gründe für das „Unbehagen an der Oper“ wurden in der vorletzten Nummer der „Furche“ (vom 25. Februar 1956) dargelegt und analysiert. Die Kritik an mehreren Aufführungen richtete sich in erster Linie gegen den — abwesenden

— Direktor. Daraus ergibt sich für alle künftigen Dispositionen eine grundsätzliche Forderung: daß der mif der Führung der Oper Beauftragte sich ausschließlich und mif ganzer Kraft dem ihm anvertrauten Institut zu widmen hat. Der neue Opemdirektor ist noch nicht sichtbar. Wir stehen, wieder einmal und wie schon so oft, vor einem Provisorium.

WER HAT DICH, DU SCHÖNER WALD, so schrecklich überschlaget? Seit Dezember lagen die Rohziffern der Waldbesiandsaufnahme vor, erst jetzt hat man das Schweigen gebrochen. Hohles Echo schallt! Leerräume, wirtschaftliche Fäulnis! Der Einschlag im Jahre 1955 lag bei 12 Millionen Festmefer. 1954 waren es 10,945.685 Feslmeter, 1952 „nur“ 9,025.176. Die zulässige Quote liegt aber bei 8,5 Millionen Festmeter! Man mache sich ein Bild von der Lage, wenn man diese Ziffern zehn Jahre zurückverfolgt und vergegenwärtige sich, was uns bevorsteht, wenn nicht unverzüglich energische Maßnahmen ergriffen werden. Wir wiesen („Furche“ vom 2. April 1955) schon vor langer Zeit auf die beengten Bauernwirlschaffen hin. Von 432.848 Betrieben verfügen 366.321 über eine Fläche bis 20 Hektar (drei Größenklassen) und von diesen haben wieder über 200.000 bloß 5 Hektar. Wenn in einem solchem Wirfschaffskörper eine vorübergehende Bedrängnis eintritt und man hat zufällig ein Stück Wald vor dem Hause — was liegt näher, nach der Säge zu greifen? Neun Zehntel oller Forstbetriebe gehören zu den drei untersfen Größenklassen. Zwar wird man natürlich sagen, daß diese drei Größenklassen „nur“ 19 Prozent unserer Waldfläche besitzen. Wenn aber diese 19 Prozent zu 70 und mehr Prozent Überschlägern, dann weiß man, warum das Klopfen aufs Holz so hohl klingt. Im übrigen: die sogenannten Großbetriebe — zu denen auch die Bundesforsfe gehören (75 an der Zahl)

— haben insgesamt fasf genau soviel forstwirtschaftlich genutzte Fläche (564.158 Hektar) wie die „Kleinen“. Es wird daher gut fun, auch dort einmal nach dem Rechten zu sehen und die Mischbetriebe in den Mittelgruppen zu beobachten. Neben einer gelenkten Aufforstungswirf-schaft, einer vernünftigen Kredifdisposifion, welche die Klein- und Mittelbetriebe entsprechend berücksichtigt, wird es auch nötig sein, in der Handelspolitik nach dem Rechten zu sehen. Wer den „schönen Wald“ aufgebaut hat,wissen wir schon lange. Wer ihn abgebaut, seif kurzem. „Wohl den Meister will ich loben“ — mit Eichendorffs Worten —, der nicht den lieben Gott allein walten läfjf.

„EINE GUTE NACHRICHT“ — mit diesen Worten kommentierte eine Wiener Tageszeitung die Meldung, dafj Dwight D. Eisenhower ein zweites Mal kandidieren werde, und zweifellos hat die österreichische Oeffentlichkeit die Nachricht von der möglichen Wiederwahl des amerikanischen Präsidenten gut aufgenommen. In Amerika halten sowohl die Leitartikler als auch die sogenannten „Leaders of Opinion“ mit ihrer Meinung noch zurück: der Präsident hat nämlich mitgeteilt, daß er diesmal die Strapazen eines normalen Wahlkampfes nicht auf sich nehmen könne. Es v/erden also andere für ihn sprechen, andere für ihn den Kampf mit dem demokratischen Gegenkandidaten aufnehmen müssen. Bedeutet das nicht das Gegenteil /on, dem, was 1952 geschah? Damals zog der Kandidat Eisenhower für die Republikaner in den Wa'nlkampf, damals halfen seine Persönlichkeit und sein Prestige einer zwanzig Jahre lang von der Staatsführung ferngehaltenen Partei an die Macht. Diesmal, so scheint es, werden die Republikaner für ihren Kandidaten Eisenhower in den Wahlkampf ziehen müssen. Es kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, dafj ein Präsident, der seine Wahl in erster Linie der Partei verdankt, die die Wahlkampagne für ihn führte, innen- und außenpolitisch von dieser Partei viel abhängiger ist, als wenn er persönlich sich hätte seinen Wählern — und seinem Gegner — stellen können. Es ist also verständlich, dafj die amerikanischen Publizisten und politischen Beobachter vorerst eine abwartende Haltung einnehmen. Erst der republikanische Konvent, auf welchem Eisenhower nominiert werden wird, erst die Art und Weise dieser Nominierung und erst die Klarheit über die Person des ausersehenen Vizepräsidenten, des eigentlichen republikanischen Wahlwerbers von 1 9 5 6, werden erkennen lassen, ob die Meldung, dafj Dwight D. Eisenhower ein zweites Mal kandidieren werde, auch wirklich eine gute Nachricht war.

BRUDERVOLK) Von den Beobachtern der grofjen Politik Moskaus unbemerkt, vollzieht sich gegenwäriig, in der Ostzone Deutschlands, der DDR, die Tragödie der Vernichtung einer nationalen Minderheit, der Sorben (oder Wenden) in der Lausitz und im Spreewald bei Berlin. Als “dem „Brudervolk“ der Besatzungsmacht 1945 Autonomie versprochen wurde, wuchs ihre Zahl von gezählten 25.000 im Jahr 1945 sprunghaft auf 600.000; Fred Oelsener, ein deutscher Kommunist, sicherte damals in einer offiziellen Monsterversammlung in Bautzen den Sorben eins Art eigenstaatlichen Lebens zu, mit eigenen Schulen, Gerichten und autonomen Behörden, ja, einem eigenen regionalen Parlament, der „Domowina“ — und sie marschierten in den Jahren darauf mit einer eigenen sorbischen Fahne bei den Umzügen des 1. Mai in der DDR. Inzwischen begann man in Pankow, nicht ohne Wissen und Wolien Moskaus, die „nationole“ Karte auszuspielen. Das bekamen die Sorben bald zu spüren. Als im Juni des vergangenen Jahres der III. Bundeskongrefj der Sorben stattfand, war es mit der Moskauer Abwertung des slawischen Brudervolkes bereits so weit, dafj Ministerpräsident Grotewohl formell „gegen den Nationalismus der Sorben“ protestieren konnte. Der Rede folgte bald die Tat: die Domowina hört mit Ende 1956 zu bestehen auf, der Unterricht in sorbischer Sprache wird Ende 1956 vom Lehrplan abgesetzt, die doppelsprachigen Strafjen- und Behördenschilder verschwinden und Deutsch wird alleinige Behörden- und Gerichtssprache! Um diese neue Generallinie mit der notwendigen Taktik zu unterstreichen, fand Anfang Jänner 1956 vor dem II. Strafsenat in Dresden ein Prozefj gegen vier sorbische Nationalisten statt, denen „Zersetzung der staatlichen Einheit, sektiererische Umtriebe, Untergrabung der nationalen Festigung, verfassungswidrige Bestrebungen und Separatismus“ vorgeworfen wurde: all dies im gleichen Moment, da die UdSSR in Asien und Afrika als Wortführerin des Separatismus der „unterdrückten“ Völker gegenüber den „westlichen Unterdrückern“ auffriff! Einmal mehr erschüttert den Beobachter das Moskauer Doppelspiel. Dem Worfführer der angeklagten sorbischen Nationalisten, Jurij Gozen, der sich vor Gericht auf die Unterstützung eines „freien selbständigen Sorbentums“ durch die führenden Männer der SED vor fünf Jahren berufen wollte, wurde seitens des Gerichtspräsidenten Klögel wörliich geantwortet: „Die marxistische Lehre verlangt auch eine Wandelbarkeit in dar Taktik. Dieser Wandel ist im vergangenen Jahr in der Sorbenfrage eingetreten...“ Und als Gozen schließlich das Nationalitätsprinzip Stalins zitierte, erteilte ihm der Staatsanwalt die Beleherung: „Vergessen Sie doch nicht, dafj Stalin gestorben ist. Auch in der Sowjetunion hat die Nationalitätenfrage 1953 einen revolutionären Wandel erfahren . . .“ Die sorbischen „Separatisten“, die genau das gewollt haben, was Moskau momentan in Nordafrika zu organisieren pflegt, haban Zuchthausstrafen von acht bis zwölf Jahren erhalfen.

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