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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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SEINE ERSTE REDE ALS AUSSENMINISTER hielt Ing. Figl vor jungen Akademikern, auf der von der Oesterreichischen Hochschülerschaft einberufenen „Europakundgebung“ im Auditorium maximum der Universität Wien. Die Jugend der Zuhörer, das zukunftweisende Thema wollen als ein gutes Omen für die Arbeit dieses treuen Dieners der österreichischen Sache im neuen Ressort gewertet werden. Und Bundesminister Figl verstand es, wie uns scheint, bei dieser Gelegenheit auch nicht nur dem auf zahllosen Konferenzen, Kongressen und Tagungen beinahe schon zerredeten „Europathema“ neue Lichter aufzustecken, sondern auch in dem von schrillen Tönen und Mißverständnissen noch lange nicht freien internationalen Gespräch die bescheidene, aber deswegen nicht weniger bestimmte Stimme Oesterreichs zu verdolmetschen. So als, die Rede bei der Erwähnung der EVG und des Unbehagens des Ostens auf die „Kardinalfrage der Waffenabrüstung“ kam. Und der Satz: „Der Mensch, der den Nebenmenschen, gleichgültig welcher Nation oder Rasse er angehört, achtet, ist der wahre Europäer. Unsere Aufgabe ist es, die Menschen dieses Geistes zu sammeln, damit ihre Zahl und damit die Zuversicht auf ein neues Europa immer größer werde", klingt besser als die bei passenden und unpassenden Gelegenheiten landauf, landab zu hörenden großen Worte vom „Abendland", von der „abendländischen Mission" usw. Er ist einfacher — und ehrlicher.

„MONSIEUR LE PRESIDENT — MADEMOISELLE — MESSIEURS“, so beginnen die Sprecher der Europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft in Luxemburg ihre Reden. „Mademoiselle“, das ist die Niederländerin Marta K1 o m p e, unter 77 europäischen Wirtschaftsfachleuten die einzige Frau. Marta Klompė, die in der vergangenen Woche eben auf der „Europakundgebung“ in der Wiener Universität vor jungen österreichischen Akademikern sprach, hat eine große politische Karriere hinter sich. Das Seltsame an dieser bemerkenswerten Karriere ist, daß Marta Klompė eigentlich ein ganz unpolitischer Mensch ist und alles eher wollte, als im öffentlichen Leben eine Rolle spielen. Vor dem zweiten Weltkrieg war sie Lehrerin in Nimwegen. Während des zweiten Weltkrieges wurde sie ein führendes Mitglied der holländischen Widerstandsbewegung. Als die Deutschen abzogen, hatte sie die Frauen ihres Sprengeis so gut organisiert, daß sie als Frauenhilfsdienst der Provinz Gelderland mit Frau Klompė als Führerin eingesetzt wurden und wichtige Arbeiten im Rahmen des holländischen Wiederaufbaues leisteten. Frau K. wollte nun wieder ins Lehramt zurück, aber ihr Land hatte größere Aufgaben für sie bereit. Sie wurde 1047 als Mitglied der niederländischen Delegation bei der Generalversammlung der UNO nach New York entsandt. Im darauffolgenden Jahr wurde sie dann — eigentlich ganz gegen ihren Willen — als Abgeordnete der Katholischen Volkspartei in das holländische Parlament berufen. (Sie hatte erklärt, nicht kandidieren zu wollen, wurde aber, als sich eine Vakanz durch Todesfall ergab, vom Parlament kooptiert — eine Besonderheit des holländischen Wahlgesetzes.) Gleich bei ihrer Antrittsrede machte sie den denkbar besten Eindruck auf das Haus und leistete später so produktive Arbeit, daß sie holländische Delegierte beim Europarat und bei der Europäischen Kohlen- und Stahlgemeinschaft wurde. Gleichzeitig wurde sie in den Vorsitz der Europa-Bewegung in Holland berufen und avancierte bald zur Präsidentin. Kein Wunder, daß Marta Klompė mit Arbeit überlastet ist, denn sie nimmt ihre Tätigkeit sehr ernst. Sie weiß, daß noch viel geleistet werden muß, um Europas politische und wirtschaftliche Zukunft zu sichern. »Was in Osteuropa geschehen ist“, sagte sie einmal, „ist das Resultat von Fehlern, die wir alle gemacht haben.“ Marta Klompė arbeitet daran, sie zu beseitigen …

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DER RÜCKTRITT DES ITALIENISCHEN MINISTERPRÄSIDENTEN PELLA, die Demission seiner Regierung, wirft ein Licht auf die italienische Krise, die durch den Operettendonner um Triest künstlich um ein halbes Jahr verschoben wurde. Aeußerlich wird sich, den letzten Berichten zufolge, zunächst nicht viel ändern. Der Staatspräsident Einaudi wird einen anderen Mann der Democristiani mit der Neubildung des Kabinetts beauftragen, das sich nur durch Schattierungen von dem abgetretenen unterscheiden wird. Sollten alle Versuche scheitern, so bleiben Neuwahlen als die seit Juni stets erwogene Ultima ratio. Die radikale Linke wird sich äußerlich still verhalten — gemäß den großen weltpolitischen Konzepten des Ostens, der keine Alarmierung des Westens will, und auf seine Stunde wartet. Dagegen hat sich die Kluft zum sozialreformerischen Flügel der Democristiani vertieft — und damit rühren wir an das heikle, lebensgefährliche Problem des inneren Abgleitens breitester Schichten der italienischen Bevölkerung ins sozialrevolutionäre Lager. Nachdem mehrmals in- und ausländische katholische Beobachter warnend ihre Stimme erhoben haben, unter anderen auch mehrmals die von den Schweizer Jesuiten herausgegebene vortreffliche „Orien tierung“, wollen wir hier die Stimme eines angesehenen römischen Katholiken nicht überhören. Dieser schreibt uns: „ … in den vergangenen acht Jahren ist kein großzügigeres neues soziales Programm aus der DC (Demo- cratia cristiana) gekommen. Die so laut propagierte Landreform ist im Sand verlaufen. Die Arbeitslosigkeit hat nicht abgenommen, der Kommunismus hat nur noch weiter zugenommen. Der Unterschied zwischen arm und reich hat sich in schamloser Weise akzentuiert. Natürlich kann man für all dies Erklärungen finden, aber das ändert nichts daran, daß der Kommunismus erst heute zu einer wirklichen

Gefahr geworden ist, weil er nun auch im Mittelstand und unter der bäuerlichen Bevölkerung Süditaliens Fuß faßt… Ein Gespräch mit den Seelsorgern ist deprimierend… Einer der bedeutendsten in Rom sagt mir: Wir wissen nicht mehr, was wir den Arbeitern und Arbeitslosen erzählen sollen. Wir können nicht leugnen, daß wenig für sie getan wurde. Der Bürgermeister von Florenz, La Pira (das hochangesehene Haupt der katholischen Sozialreformer), der sich für die Arbeiter eines Betriebes eingesetzt hat, der die Pforten schließen sollte, ist aus seiner eigenen Partei angegriffen worden. Ebenso der katholische Gewerkschaftsführer Pastore. Die Differenzen zwischen Pella und Degasperi und das durch Wochen hindurch anhaltende Feilschen um die Ministerposten hat der DC weitere Sympathien gekostet.“ — Den Gewinn aus dieser unerquicklichen Situation heimsen die Rechtsund Linksextremisten ein: erstere rufen nach dem starken Mann und nach dem Säbel, und finden in steigendem Maße die Unterstützung bestimmter Kreise aus dem Großbürgertum, die ihre Nachkriegsgewinne sichern wollen, letztere arbeiten zäh und erfolgreich an der Durchsetzung und Zersetzung der Provinzen des bäuerlichen Landes und der Verstärkung ihrer städtischen Hochburgen. Die Auseinandersetzung innerhalb der Democristiani beleuchtet damit auf ihre Weise die eindringliche Warnung des Papstes an den Westen in seiner Botschaft vom 25. Dezember 1953.

DIE NEUNTE TAGUNG DER DONAUKOMMISSION in Galatz blieb sehr zu Unrecht und doch in verständlicher Weise im Schatten der weltweiten Ereignisse des vergangenen Monats. Man vergegenwärtige sich: Nach der Konferenz auf den Bermudas, nach der Rede Eisenhowers vor den Vereinten Nationen, wartete man gespannt auf die Moskauer Antwort. Die Viererkonferenz zu Berlin und ernste Fühlungnahmen in Fragen der Atomenergie waren bereits in Sicht. Heute, nach einem Monat, lautet die Frage immer noch: Kommt es zu einem echten Gespräch, zu echten Lösungen in Berlin? An einem sehr heiklen Punkt ihres Machtorganismus, im Bereich der Volksdemokratien, spielte indessen der Kreml eine Ouvertüre zur Berliner Konferenz. Und das ist ein Grund mehr, die nunmehr veränderte Lage •'an der Donau genau in Augenschein zu nehmen. Was war zu Galatz geschehen? Die Tagung nahm einstimmig so. gut wie alle jugoslawischen Vorschläge an, die bisher vom Sowjetblock, das heißt von allen übrigen Mitgliedern systematisch und stets abgelehnt worden waren. Bisher stellten die geschäftsführenden Organe stets die Sowjets. In Galatz wurden auf Grund neuer Satzungen der Jugoslawe Djuritsch zum Sekretär, der Chef der politischen Abteilung im ungarischen Außenministerium, Endre Sik — übrigens ein Bruder des Piaristenprovinzials und bekannten Professors Sandor Sik — zum Präsidenten gewählt. Seit 1948 fristeten die Jugoslawen innerhalb der Donaukommission ein wenig beneidenswertes Dasein. Sie waren durch die ständigen und nicht ungefährlichen Schikanen ihrer „Partner“ gezwungen, sich auf ihrer Donaustrecke schlecht und'recht einzurichten, ständig den Druck von Repressalien im Nacken. Die nunmehrige Wendung beträgt 180 Grad. Auf gemeinsamen jugoslawisch-ungarischen Vorschlag verlegte man den Sitz der Kommission von Galatz nach Budapest, wo auch die nächste Tagung im Juni 1954 stattfinden wird. Auch erklärte der neue Sekretär im Rahmen einer Pressekonferenz, daß die Donau für die Schiffe aller Nationen der Welt offen stehe und daß nach seiner Meinung selbstverständlich auch Oesterreich nach Wiedererlangung seiner vol len staatlichen Souveränität seine Aufnahme iri die Donaukommission finden werde.

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