Digital In Arbeit

Randbemerkungen ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

Nächstens werden die Londoner V erhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag fortgesetzt. Es ist lehrreich, einen Blick auf die nunmehr jahrelangen Bemühungen um den Staatsvertrag zu werfen. Selbst dem oberflächlichen Beobachter dürfte es auffallen, daß die österreichische Initiative eine immer wachsende Bolle gespielt hat. Zu Beginn ging die Initiative von den i'ier Großen aus. Dann, mit dem Anwachsen der Schwierigkeiten und mit der Ausdehnung der Kompetenzen der österreichischen Regierung, griff diese immer stärker in den Gang der Verhandlungen ein. So gibt es manche Stirn- den, die in der Vorbereitung der noch nicht beendeten Besprechungen der österreichischen Diplomatie einen nicht unbedeutenden Platz einräumen. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß ihr in den kommenden Zeiten eine noch größere Rolle und Verantwortung zufallen wird. Die Diplomaten des Westens dürften kaum in der Lage sein, Zugeständnisse, welcher Art auch immer, von Moskau zu erwirken. Andererseits ist ihr Standpunkt in dieser Frage mit jenem der österreichischen Regierung weitgehend übereinstimmend. In manchen diplomatischen Kreisen würde man es merklich gerne sehen, wenn es Österreich in direkten Verhandlungen gelingen würde, einen „Modus vivendi“ herbeizu führen, der dann auch von den Westalliierten unterschrieben tverden könnte.

Die Osterferien des Parlaments gehen ihrem Ende entgegen. Die Frühjahrssession wird den Nationalrat vor Aufgaben von nicht geringer Tragweite stellen: die Wahlgesetze warten auf ihre Beratung und Verabschiedung. Bis vor kurzem schien es, als ob bei diesem Thema die Regierungskoalition an eine Klippe geraten ivürde. Die Forderung nach einer Lockerung der gebundenen Parteilisten, durch die der Wähler mehr Einfluß auf die Nominierung seiner Kandidaten erhalten soll, und nach einer schon lange fälligen Volkszählung zur Neuaufschlüsselung der Mandate entsprechend der veränderten Bevölkerungszahl der einzelnen Länder schied die Geister. Doch die kritische Stelle ist, wie verschiedene Anzeichen erkennen lassen, umschifft worden. Wer es nicht schon vorher erfahren hatte, dem wurde aus einem Bericht über den Wiener sozialistischen Landesparteitag bekannt, daß die Volkszählung und mit ihr auch eine Angleichung der Mandatszphlen an den gegenwärtigen Bevölkerungsstand der Bundesländer vertagt wurden. Beinahe gleichzeitig bereitete eine Meldung auf eine Reform des starren Listenwahlrechtes vor. Denn den lebhaften Debatten über die Wahlgesetze ist ein Kompromiß gefolgt. Es liegt wi seinem Wesen, daß es nicht alle gerechten Wünsche erfüllt. Er ist sozusagen nur eine Abschlagszahlung an die Vernunft. Aber wie immer man es nimmt: der positive Ausgleich ist besser als der unfruchtbare Streit. Namentlich heute in einem Staate, der Österreich heißt.

Das Handelsministerium hat einen Werbefeldzug für unseren Fremdenverkehr eröffnet. In allen Trafiken liegen unentgeltlich Werbebriefe auf, die von der österreichischen Bevölkerung portofrei an ausländische Freunde und Bekannte versandt werden sollen. Der Fremdenverkehr hat in normalen Zeiten, wenn schon sein Ertrag nicht genau in Ziffern erfaßbar ist, in unserer stillew Handelsbilanz eine bedeutende Rolle gespielt und wird dies in dem heutigen Zustand des Devisenhungers unserer Volkswirtschaft um so mehr vermögen. Der Gedanke, mit Werbebriefen der Bevölkerung dazu beizutragen, ist ausgezeichnet und verdient, in viel tausendfache Tat umgesetzt zu werden. Doch eine kleine Korrektur in dem englischen Text dieser Werbebriefe wird sich empfehlen, der Stelle nämlich, in welcher der Absender sich und seine österreichischen Landsleute als „sympathetic people“ bezeichnet. Vielleicht erscheinen die Österreicher dem Aus-

lender gerade deshalb sympathisch, weil Selbstgefälligkeit nicht zu ihren normalen Eigenschaften gehört und ihnen nichts unsympathischer ist als Selbstlob bei sich und anderen.

Erfreut erfährt der Zeitungsleser unter fettgedruckten Überschriften, daß die Jugendkriminalität sinkt. Tatsächlich zeigt die Statistik des Wiener Jugendgerichtes ein langsames, aber stetes Absinken in der Zahl der Verurteilungen — 2291 im Jahre 1948 gegenüber 2809 im Jahre 1947 —, weil die Diebstähle an Lebensmitteln und Heizmaterial abgenommen haben; aber ein Ansteigen der in Gruppen ausgefiihrten Raubüberfälle und Sittlichkeitsdelikte. Das heißt die unmittelbaren, offen zutage liegenden, materiellen Kriegsfolgen werden allmählich beseitigt, bei den indirekten, weniger offenkundigen, aber viel tiefer greifenden, im Grunde viel gefährlicheren, sittlichen Nachwirkungen der Kriegsverhältnisse ist sogar eine Verschlechterung zu verzeichnen. Mit Recht verweist der Staatsanwalt des Jugendgerichts auf die Wirkung der Kriminal- und Gangster filme, aber auch die neuerdings noch üppiger als bisher ins Kraut schießenden Erzeugnisse der Schmutz- und Schundliteratur haben ihr gerütteltes Maß von Schuld. In- England soll jetzt eine aus den bekanntesten Psychologen zusammengesetzte Kommission durch eingehende wissenschaftliche Untersuchungen das Ausmaß dieser schädigenden Einflüsse auf die jugendliche Psyche genau statistisch feststellen, um daraus praktische Folgerungen zu ziehen. Bei uns rührt sich wenig. Dafür erhält man täglich Zeitungsnachrichten, wie etwa die Berichte über zwei am gleichen Tag vor dem Wiener Jugendgericht durchgeführte Verhandlungen: Die eine betraf eine fünfköpfige Gruppe von jugendlichen Einbrechern im Alter von 16 und 17 Jahren, die andere einen 14jährigen Hauptschüler, der wiederholt mit der Hilfe noch jüngerer Buben Gräber erbrochen hat, um Metall zu stehlen. Gibt es eine Gefahr, die größer ist als die, die sich iu dem scharenweisen Heranwachsen des Verbrechens aus den Kinderschuhen anzeigt?

In seiner vor Ostern ergangenen Enzyklika „Redemptoris nostri“, der feierlichsten Form päpstlicher Kundgebung, soweit es sich nicht um eine Dogmenverkündigung handelt, hat Papst Pius XII. die Forderung ausgesprochen, daß durch die Internationalisierung Jerusalems die Heilige Stadt und die erhabensten Stätten der Christenheit in unparteiische Obhut genommen und die Zugänge zu ihnen unter internationale Garantien gestellt werden. Fast zu gleicher Zeit äußerte der Unterstaatssekretär des britischen Außenministeriums gegenüber einem parlamentarischen Interpellanten Bedenken, ob eine Internationalisierung, wie sie von der UNO gewollt sei, infolge ihrer Kompliziertheit und ihres großen Aufwandes an Personal und Kosten durchführbar sei; ihm scheine die Aufteilung in autonome Stadtverwaltungssprengel — also wohl in jüdische und arabische Sektoren —, über denen ein internationaler Gouverneur „nur als Titelträger“ stehe, der einfachere Modus.

Es wäre dies das erstemal, daß die UNO, deren Riesenkonstruktion zu Lake Success ein kleines Weltwunder darstellt, vor einer komplizierten Lösung einer schwierigen und außerordentlich verantwortungsvollen Aufgabe zu- rück sch recken müßte. Entscheidend bleibt, daß die Sicherheit der heiligen Stätten nicht dem Vermögen oder Unvermögen, dem Gefallen oder Nichtgefallen örtlicher Potenzen überlassen werden kann, sondern daß nicht nur die Autorität, sondern auch die Verfügungsgewalt des höchsten menschlichen Tribunals über die heiligen Stätten zu wachen hat. Ein so klug und realistisch denkender Mann, wie Ben Gurion, der Chef der Regierung von „Israel“, hat die Internationalisierung von Jerusalem akzeptiert, obwohl er sich der Opposition seiner Rechtsparteien bewußt war. Er tat es, weil er keinen anderen friedenverheißenden Ausweg sah. Jetzt fehlte nur, daß man in London zionistischer wäre als die Zionisten.

Im Jahre 1947 schworen Tito und Dimitri)// einander ewige Treue. Die ewige Freundschaft und die unzertrennliche Schicksalsgemeinschaft der beiden südslawischen Bruderstämme wurde gebührend gefeiert. 1948 kam die bekannte Kominformcrklärung gegen Tito, deren stilistische Formulierung teilweise bulgarische Züge verriet, worauf es aus war mit der beschworenen\Freundschaft und Bruderliebe. 1949 aber bringt nun der Frühling statt des allgemein erwarteten Großangriffs auf Tito, in Bulgarien gründliche Säuberungen und schließlich gar die Nachricht, daß der alte Erzrevolutionär Ministerpräsident Dimitroff beim Kreml in Ungnade gefallen und von seiner Krankheit sich unbekannten Aufenthalts erholen muß. Womit dann die beschworene, unzertrennliche jugoslawisch-bulgarische Schick- salsgemeinschaft wiederhergestellt wäre.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung