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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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VOLKSKAPITALISMUS, Aktien für jedermann, Bereicherung des Marktes, Weg zu neuem Wohlstand, Teilhaberschaft an wirtschaftlichen Sachwerten: Das sind nur einige der lockenden Worte, die gelegentlich der Ausgabe sechsprozentiger Vorzugsaktien für die zwei größten Geschäftsbanken Oesterreichs zum Ankaut werben sollen. Worum geht es denn? Dem Empfänger von kleinen und mittleren Einkommen soll mit den vom Staate aus seinem Besitz gegebenen Aktien — es handelt sich um dreißig Prozent des Gesamtpakets — Mitbesitzer der grofjen Wirtschaftsunternehmungen werden, welche, von diesen Banken gesteuert, einen maßgeblichen Einfluß aut das Wirtschaftsleben der Republik ausüben. Man erhofft sich eine Bereicherung des Kapitalmarktes; gewiß, das ist zu erwarten. Man glaubt, daß die Idee des Wertpapiersparens Kreise des Volkes ergreift, die von den Sparkassen noch nicht oder in unzureichendem Maße erfaßt wurden; auch das ist nicht ausgeschlossen. Was aber angemerkt zu werden verdient und weit über die finanziellen Erlöse hinausgehf: das ist die Streuung des Vermögens, das Abweichen von der Anonymität des Besitzers. Die Summe der ausgegebenen Aktien — 225 Millionen S — bedeutet, daß je dreißig Prozent des Grundkapitals dem Dirigismus entzogen sind. Der „Volks- kapifalismus' hat indes, dessen kann man gewiß sein, nur dann eine durchschlagende Kraft der Weiterverbreitung auf andere Abschnitte staatlicher Lenkung, wenn der Teilhaberschaft am Gewinn auch eine Teilhaberschaft der Leistung gegenüberstehf. Es gibt kein Volk der Kuponschneider, es kann und darf kein arbeitsloses Einkommen geben. Die Teilhaberschaft setzt moralische Mitverantwortung voraus, auf der linken und auf der rechten Seite, oben und unten. Der 28. Jänner, der erste Tag der Aktienausgabe, kann nur dann ein historischer Tag genannt werden, wenn er überall das Bewußtsein erweckt, daß egoistische Forderungen, ob von der Produktions- oder von der Konsumseite am Kapital zehren, dessen Zinsen man genießen möchte.

HOCHSCHULBAROMETER: WINDSTILLE ANHALTEND! FREUNDLICH! Die Propheten haben recht behalten. Die Hochschulwahlen 1957 haben kleine örtliche Korrekturen der Stimmanteile der einzelnen wahlwerbenden Gruppen — durchweg erfreuliche Korrekturen — gebracht, sonst aber den Trend der letzten Jahre bestätigt. Mit 5670 Stimmen oder 59,6 Prozent (1955: 55,8) halten die im „Wahlblock österreichischer Akademiker (Union)” vereinigten christlich-demokratischen Verbände und Vereinigungen nicht nur weiterhin die absolute Mehrheit fest in der Hand, sie haben ihre Position, ungeachtet des „Abnufzungsprozesses” eines Jahrzehnts, auch noch als einzige wahlwerbende Gruppe ausgeweitet. Mit 18 Mandataren (+ 2) werden sie im neuen Zentralausschuß der Oesterreichischen Hochschülerschatt vertreten sein. Dem „Ring freiheitlicher Studenten”, dessen Kern die nationalen Korporationen bilden, hat auch der neue Wahlgang keine Bodengewinne gebracht. Im Gegenteil. 2657 Stimmen ergaben nur noch 27,9 Prozent (1955: 30). Seine Domäne ist allein, dem politischen genius loci huldigend, die Grazer Technik, während er vor allem auf der Tierärztlichen Hochschule in Wien, wo bei der letzten Wahl nur das Los wegen Stimmengleichheit für den „Wahlblock" entschied, von 85 auf 35 Stimmen zurücksank. Mit der klaren Führung von 72 Wählern hat hier der „Wahl- block” einen seiner schönsten Erfolge errungen. Für die Sozialisfen erwärmte sich,' trotzdem ihr Studenfenverband seit einiger Zeit wieder aktiver auftritt, nach wie vor nur ein geringer Teil der Kollegen 1047 Stimmen oder 11 (1955: 12,1) Prozent sind das nicht überwältigende Ergebnis. Die Kommunisten verstärken ihre Rolle als hochschulpolitische Rarität. Nur 128 Studenten, das sind 1,3 (1955: 1,7) Prozent, schenkten ihrer noch dazu getarnten Liste Vertrauen. Neben dem Erfolg auf der Tierärztlichen Hochschule fällt auch das Stimmenergebnis auf den Kunsthochschulen auf. Alle entschlossen sich diesmal im Gegensatz zum letzten Urnengang, der hier einige Verwirrung brachte, für die vom ,.Wahlblock' vorgeschlagenen Listen. Dem Hochschulleben fernstehenden Personen wird der Stimmenanteil des „Ringes”, verglichen mit dem der ihm nahestehenden Parlamentsfrakfion, nach wie vor verhältnismäßig hoch erscheinen. Solche Beobachter vergessen die Tatsache, daß die im „Rinq” zusammengeschlossenen Verbände in der Ersten Republik praktisch die Herren unserer Hohen Schulen waren. Erst ein solcher Vergleich gibt die richtigen Maßstäbe und zeigt, welcher Wandel hier sfattgefunden hat.

SCHWERE ZEITEN FÜR „KREML-ASTROLOGEN”. Die Annahme, daß die sowjetrussische KP eine bis hinauf in das Topmanagement der Partei reichende organisatorische Einheit sei, muß endgültig aufgegeben werden. Offensichtlich ist das, was sich heute die KPSU nennt, eine Koalition von politischen Gruppen, die (noch) in wesentlichen Punkten, etwa im Bekenntnis zu einem großrussischen Reich, übereinstimmen, ansonsten aber vor allem in Fragen der Taktik und der Wirtschaftspolitik wie der Intensität der Sozialreto’in. sehr, sehr unterschiedliche Auffassungen haben. Die sogenann ten „Kreml-Astrologen” wissen jedoch heute kaum mehr darüber Bescheid, wie die einzelnen „Fraktionen" innerhalb der sowjetrussischen KP sich tatsächlich konstituiert haben, und wer die Führer der Gruppen sind. Man kann vermuten, daß in Ungarn die Machtverschiebungen im Kreml in Fernwirkung sichtbar werden, daß einmal die Argumente des Neostalinismus sich als die stärkeren erweisen und eine Verhärtung des Besatzungsregimes zur Folge haben und ein andermal das „Friedenslager” um Bulganin Kompromisse durchzusetzen vermag. Das Phänomen des russischen Kommunismus wird auf diese Weise neuerlich den westlichen Analysen entzogen (wie nach dem ersten Weltkrieg), um so mehr, als efer Kommunismus, heute mehr als er es je gewesen ist, neuerlich eine innerrussische Angelegenheit zu werden beginnt. Das Vorfeld ist im Westen weithin (wenn auch nur auf Zeit) verloren, während von den bisher „freundlich” gesinnt gewesenen „Grenzvölkern” einige sich als unverläßlich erwiesen haben und Ungarn wie auch Polen strategisch den Charakter von Niemandsland haben. Wenn der Westen nicht durch Kolonialexperimente in seinen Entscheidungen gehemmt wäre, fände er eine massenpsychologische Situation für seinen Kampf gegen den Kommunismus vor, wie sie ihm seit Jahrzehnten nicht geboten wurde.

ENGLAND SUCHT ITALIENS FREUNDSCHAFT.

Nach dem halbprivafen Besuch des französischen Außenministers Pineau hat nun dessen englischer Kollege Selwyn Lloyd sich drei Tage in Rom aufgehalten, um, wie er sagte, die wiederholten Besuche seines Freundes Martjno in der englischen Hauptstadt zu erwidern. Auch — so erklärte er — habe er den Sachwaltern der italienischen Außenpolitik und dem italienischen Volk für die „gerechte Hilfeleistung" persönlich danken wollen, die sie England und Frankreich anläßlich der harten Auseinandersetzung mit Aegypten geleistet hätten. Diese englische Anerkennung des „guten Verhaltens" Italiens — im englischen Sinnet — hat in Rom zum Teil Verstimmung hervorgerufen, ja peinlich berührt. Denn in Wirklichkeit hat sich die italienische Außenpolitik zur englischen Auseinandersetzung mit Aegypten neutral verhalten, wobei sie ihre Mißstimmung mit dem einseitigen Vorgehen der Nachbarn am Atlantischen Ozean, welches dem Italien des Mitfelmeers schweren Schaden eintrug und immer größeren Schaden verursacht, nicht einmal verborgen hatte. Die besonderen Freundschafls-

bekundungen Englands, die der durch mehrere Generationen sich hinziehenden Grundstimmung der Bevölkerung auch heule noch zuwiderlaufen, erfolgen in einem Augenblick, so heißt es hier, da England durch seine eklatanten politischen und militärischen Mißerfolge geschwächt ist und allen Grund hat, in Europa Ausschau nach Helfern, ja Verbündeten zu halten. Es braucht Italien — und das gleiche gilt für Frankreich —, um die noch schwieriger gewordene Situation am Suezkanal zu entwirren, dieses Italien, das, von allen kolonialen Ambitionen befreit, die gesamte arabische Welf, besonders aber Aegypten, zu seinen Freunden zählt und als Vermittler eine wichtige Aufgabe erfüllen kann. Italien hat als driffstärkster Benutzer des Kanalweges an der schnellen Bereinigung des Fragenkomplexes in mancher Hinsicht das gleiche Interesse wie England. Aber diese naheliegenden gemeinsamen Interessen werden überschattet von viel weiterreichenden englischen Aspirationen. Der Mailänder „Giorno" zitiert den „Manchester Guardian”, der den nach dem Abenteuer von Port Said und Suez zu voller Klarheit gediehenen englisch-amerikanischen Gegensatz deutlich umschreibt und damit auch die Reise Lloyds nach Rom motiviert. Wörtlich heißt es im „Giorno” vom 19. Jänner: „Der (englische) Antiamerikanismus wird auch vom .Manchester Guardian' erkannt, so, wenn er schreibt, daß Selwyn Lloyd sich nach Rom mit einem Programm begeben habe, in dem die .europäische Kooperation' hauptsächlich als Mittel zur Entwicklung einer Politik der Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten verfolgt werden solle." Nichts wäre der italienischen Außenpolitik weniger zuträglich und mehr zuwider, als die Freundschaft mit Amerika au s Spiel zu setzen — und daher mahnen die Zeitungen zu größter Zurückhaltung. Das Schlußkommuniquö über die italienisch-englischen Besprechungen in Rom ist vorsichtig abgefaßt und läß keine irgendwie gearteten Bindungen Italiens an die sich abzeichnende künftige englische Politik offen.

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