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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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FRISCH GEFAHREN IST HALB VERUNGLÜCKT

variieren die Pessimisten seit neuestem das bekannte Sprichwort im Hinblick auf das Tauziehen um die Kommerzialisierung der Bundesbahnen und die empfindliche Kürzung des Strafjenetafs. Was die Bahnen betrifft, haben wir an dieser Stelle bereits am 1. Juni aufgezeigt, was zu tun wäre, und das Ministerkomitee, eingesetzt zum Studium der Fragen, die mit den Empfehlungen der Pariser Verkehrs- kanferenz Zusammenhängen, hat vor allem eine Normalisierung der Konten der OeBB, gesonderte Bewertung der anormalen Lasten der Bahnverwaltungen und ihre Beseitigung, Verminderung ihrer Verpflichtungen als öffentlicher Dienst und Konzentrierung der Dienste angebahnt. Das ist ungefähr das, was wir als „konstruktive Vorschläge zur Organisation” be- zeichneten. Darüber hinaus ist die technische Modernisierung und die Möglichkeit, Straßendienste bei gleicher steuerlicher Belastung zu betreiben, in die Debatte geworfen worden. Straßendienste? Wird man künftig auf unseren Straßen etwa sicherer fahren als auf den Schienen? In aller Stille sickerte langsam durch, daß eine Kürzung der Straßenbaukredite von der Budgetpost über 900 Millionen Schilling auf ein sogenanntes „Notprogramm" von 500 Millionen erfolgt sei. Das bedeutet die Zurückstellung vieler Vorhaben in den besonders benachteiligten Bundesländern mit schwierigen Geländeverhältnissen und starkem (auch Urlauber-) Verkehr. Diese Abstriche erfolgten, obwohl es sich hier — im Gegensatz zu den Aufobahnkrediten, die im freiem Ermessen der zuständigen Stellen liegen — bei den Straßenbaugeldern meistenteils um Einnahmen aus der Mineralölsfeuer handelt, Einnahmen, welche gesetzlich an den Straßenbau gebunden sind. Sehr sonderbar wirkt es, wenn man während des Straßentages in' Gmunden zu hören bekam, angesichts des erhöhten Treibstoffverbrauches werde das Erträgnis der Mineralölsteuer, die im vergangenen Jahre 800 Millionen Schilling einbrachte, heuer 900 Millionen, wenn nicht eine Milliarde, erreichen. Der Arbeiter, Angestellte und Schüler im Autobus fragt sich im schüttelnden Kasten, der über alte Frostaufbrüche humpelt, wohin denn die Mehrerträgnisse „abgezweigt" werden, und mit welchem Recht? Wartet man etwa auf der Straße eine der Bundesbahnen würdige Unfallserie ab, um dann noch ein Ministerkomitee einzusetzen?

ZWEI JAHRE UND ACHT MONATE hat der

Liberale Gaetano Martino sich als italienischer Außenminister behauptet. Bei der Begrüßung seines Nachfolgers im Amt, Giuseppe Pella, sagte Martino in Anwesenheit der führenden Ministerialbürokratie u. a.: „In dem langen Zeitraum von fast drei Jahren wurden zahlreiche Erfolge erzielt, so die Schaffung der Westeuropäischen Union, die Unterzeichnung der europäischen Verträge, der Eintritt Italiens in die Vereinten Nationen, die Erweiterung des Atlantik- pakfes in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, ferner die Lösung schwerwiegender Probleme wie z. B. die Rückkehr Triests zu Italien." Der neue Außenminister, Pella, der im Herbst und Winter 1953/54 schon einmal vier Monate lang dieses Amt innegehabt, erklärte in seiner Erwiderung wörtlich: „Italien wird künftig auf dem eingeschlagenen und sich als sehr fruchtbar erwiesenen Weg weitergehen." Damit strafte er alle jene Lügen, die von Pella eine Kursänderung der Außenpolitik erwarteten. Die großen Grundlinien des Europäers De Gasperi liegen fest. Sie gelten erst recht für den Christlichen Demokraten Pella, dem es natürlich unbenommen bleibt, dem Dynamismus jeder konstruktiven Außenpolitik ein schärferes Tempo zu geben. So dürfte dieser langjährige Schatz- und Bilanzminister der verschiedenen Kabinette De Gasperis, der ein hervorragender Wirtschaftsfachmann ist, in seinem neuen Amt die Wirtschaftsbeziehungen zumal mit den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas aktivieren. Nicht nur in Aegypten, sondern auch in Persien und Französisch-Wesfafrika sind, u. a. auf dem Gebiet der Erdöl- und Eisenerzgewinnung, hoffnungsvolle Anläufe genommen. Italien will, unter Nutzung der Eisenhower-Doktrin, in all diesen sich Europa weit öffnenden Ländern mehr als bisher Fuß fassen und dort nicht nur, wie es ursprünglich hieß, seine weit überschüssigen Arbeitskräfte unferbringen, sondern auch die im letzten Jahrzehnt technisch sehr vervollkommne- ten Erzeugnisse der Eisen-, Metall- und Maschinenindustrie absetzen. Von der Initiative der Außenpolitik wird künftig mehr wegbahnende Arbeit erwartet, als es bisher geschah. Die enge Freundschaft und Anlehnung an die Schlüsselmacht der Vereinigten Staaten bleibt der Grundpfeiler der italienischen Außenpolitik.

AUF DER SUCHE NACH DEM MODUS VIVENDI.

Im vergangenen Monat Mai hat sich in Ungarn manches ereignet, was als Versuch des gegenwärtigen Regimes zu werten ist, mit der Umwelf ein leidliches Verhältnis herzustellen. Da war Anfang Mai die erste Parlamentssession seif der Revolution, die alles, was seither geschehen ist — und das ist nicht wenig —, zu legalisieren hatte. Dies ist freilich auch geschehen, aber die Sitzungen im Parlament dienten diesmal vornehmlich dem Zweck, den Regierungschef als einen Menschen zu attrapieren, „der mit sich reden läßt", der nicht nur „liberal" und „vernünftig" über vieles denkt, sondern auch Sinn für Humor haf und seine Reden nach alten parlamentarischen Gepflogenheiten frei und sogar in einem jovialen Ton zu halten imstande ist. Darauf folgte die Erklärung des ungarischen Bischofskollegiums über die Teilnahme des gesamten katholischen Klerus an der „Friedensbewegung", die nach langwierigen Verhandlungen mit den Regierungsvertretern zustandegekommen ist. Viele Anzeichen sprechen dafür, dafj diese Erklärung das stillschweigende Einverständnis der Regierung beinhaltet, den bis zu den Revolufionstagen bestandenen und mit Recht als kryptokommunistisch geltenden „Friedensausschuh katholischer Geistlicher" nicht wieder autleben zu lassen. Dies bedeutet eine grofje Erleichterung für den katholischen Klerus, aber auch für die Regierung. Das Ende Mai geschlossene Abkommen mit der Sowjetunion über den rechtlichen Status der „vorübergehend in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen", das gewisse Souveränitätsrechte Ungarns kodifiziert, sollte schließlich ebenfalls zur Beruhigung der öflentlichen Meinung dienen. An ihm ist vor allem erstaunlich, daß es erst zehn Jahre nach dem Abschluß des Friedensverlrages mit Ungarn von der Sowjetregierung angeboten wurde. So verfehlt es wahrscheinlich den ihm zugedachten Zweck. Aehnlich steht es auch um die anderen Maßnahmen. Der Erklärung der Bischöfe gingen wiederholte Verhaftungswellen voraus, die, wenn auch zeitweilig, Hunderte von Priestern in die Gefängnisse brachten. Das Parlament hat nicht nur die Reden von Janos Kadar angehört, sondern eine Reihe von Fachministern bestätigt, die während der Rakosi-Zeit Ungarn bereits einmal an den Rand des wirtschaftlichen Bankrotts gebracht haben. Und die ersten Preiserhöhungen wurden, ebenfalls am Tage der Parlaments- erötfnung, verlautbart...

LUFTRAUMKONTROLLE UND CHINAHANDEL!

das sind gegenwärtig die wichtigsten Gegenstände der Weltpolilik. Scheinbar sehr auseinanderliegend und kontroverser Natur: die Abrüstungsgespräche um die Inspektion aus der Luft betreffen gegenwärtig Gebiete der Arktis, Ostsibirien und Alaska sowie Teile der westlichen USA, gehen Rußland und Amerika in erster Linie an, während der Chinahandel England, Deutschland, Westeuropa und eben Rotchina betrifft. Die geographische Distanz wird durch die politische Differenz unterstrichen. Die USA-Oeffentlichkeit reagiert sehr sauer auf die Eröffnung der englischen Regierung, ihren Chinahandel zu aktivieren und die bestehenden Verbote abzubaueh. Hat nicht Amerika ungeheuer viel in China investiert, dort alles durch Tschiangkaischeks Niederlage verloren? Soll es nun diese riesigen Räume an die Expansion der englischen und deutschen Wirtschaft, die wohl vorbereitet sind durch zahlreiche Besuche von Industriellen und auch einzelnen Politikern, verlieren? Amerikas Blick auf China und seine neuen Handelspartner wird nicht erhellt durch die letzten Vorkommnisse aut Formosa, in Tschiangs Reich, wo der Freispruch eines USA- Stabsfeldwebels, der einen Chinesen erschossen hatte, ausgedehnte Ausschreitungen gegen Amerikaner hervorrief. Zum andern gilt: die USA- Abrüstungsgespräche mit Rußland haben die Sorge etlicher europäischer Verbündeter erweckt; Eisenhower und Dulles konnten dem Bonner Bundeskanzler zwar etliche Versprechungen machen, die für die westdeutsche Wahlkampfsituation ihre Dienste leisten werden, konnten aber die Sorge Bonns nicht ganz beschwichtigen: Bahnt sich,, so fürchten da manche Europäer, nicht der große Ausgleich an, auf Kosten Europas? — So disparat sie erscheinen, so eng hängen sie innerlich doch zusammen: Chinahandel und Luftinspektion. Wenn nämlich mit der Abrüstung und Luftkontrolle der Anfang gemacht wird, so wird eine Kettenreaktion begonnen, die nicht so leicht zu hemmen ist: allzu viele Mittel, vor allem auch finanzielle Mittel, werden dann im großen Geschäft des Weltfriedens engagiert und sehr große Apparate in seinem Dienste geschaffen. Wenn China often, begrenzt offen wird (so wie Polen in Europa — das heutige Polen sieht auf China als auf seinen wichtigsten Verbündeten), zunächst einmal für den Welthandel, dann entstehen Kommunikationen globaler Natur, gegen die die kleinen und größeren Brandsfitfer, die es fast überall auf dieser Erde gibt, nichts ausrichten können. Zwei Haltungen verdienen in dieser im positiven Sinne überaus ernsten Weltlage Beachtung: die Asienreise des japanischen Premierministers (schon spricht man von einer Vermittlung zu China durch Nehru) und die betonte westöstliche, nach beiden Seiten hin offene Haltung Titos in seinen letzten politischen Akten und Reden. — Von da, also von wirklich weltpolitischer Warte aus gesehen, gewinnt die private Chinareise des Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses des österreichischen Nationalrates, Tončič, vielleicht etwas andere Akzente, als sie hier im Dunstkreis der Kritik und Aengsfi- gung zunächst erhalten hat...

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