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Randhetnerkungen zur woche

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OHNE ANMASSUNG KANN DAS AUSSER-GEWÖHNL1CHE INTERESSE FESTGEHALTEN WERDEN, mit dem das Ausland in den Wochen zwischen der Ueberreichung der Sowjetischen Note und ihrer Beantwortung jede Reaktion der österreichischen Bundesregierung vertolgte. Der kleine betreite, aber noch nicht freie 6-Millionen-Staat im Herzen Europas war von einer der beiden großen Weltmächte direkt angesprochen worden — er solle sich äußern, ob er noch weiterhin den von den westlichen Delegierten vorgelegten sogenannten „Kurzvertrag“ unterstütze Und sonach Verhandlungen über den Staatsvertrag von 1947 tür unmöglich halte, obwohl man bereits über den größten Teil seiner Bestimmungen übereingekommen sei. Mit einem Schlag stand der Ballhausplatz im Schein-werlerkegel internationaler Aufmerksamkeil, und die Auguren meldeten sich bald. Deswegen war es keineslalls verwunderlich, daß am 19. August, als die Antwort der Bundesregierung auch die einstimmige Bewilligung des Hauptausschusses erlahren hatte, die Vertreter der in- und ausländischen Presse mit einiger Spannung aui die Veröffentlichung der Note warteten, die Punkt 17 Uhr, zum gleichen Zeitpunkt, als sie der sowjetischen Botschaft überreicht wurde, erfolgte. Wer eine politische Sensation erwartete, wurde enttäuscht, mußte enttäuscht werden. Jedem vernünftig Denkenden, aber war es selbstverständlich, daß Oesterreich nicht wie das berühmte Tier in den Porzellanladen der internationalen Politik eintreten wird, sondern mit Vorbedacht die ruhige im diplomatischen Gespräch übliche Sprache wählen werde. Der „Kurzvertrag“ war ja in der Zwischenzeit von den Westmächten selbst ad acta gelegt worden, also konnte man nach Erwähnung jener Tatsache das Schwergewicht ruhig aui die Bereitschaft der Bundesregierung legen, ihren Beitrag zur Beschleunigung des Abschlusses des österreichischen Slaatsverlra-ges und damit zur Sicherung des Weltlriedens zu leisten. Mit Fug und Recht konnte auch die Regierung ihrer Ueberzeugung Ausdruck geben, „daß das österreichische Parlament einem Viermächteabkommen über Oesterreich in dem Vertrauen und unter der Voraussetzung beitreten wird, daß dieses Abkommen sowohl die Freiheit und Unabhängigkeit wie auch die Lebenslähigkeit Oesterreichs gewährleistet“. Hier — es handelt sich dabei vor allem um die im Artikel 35 des alten Staats-vertragsentwurles eingeschlossenen wirtschafl-lichen Fragen — sind wir übrigens wieder bei jenem Test angelangt, von dem „Die Furche“ bereits schrieb, daß er weit besser als der abgelegte Kurzvertrag geeignet erscheint, den Aulrichtigkeitsgehalt des von Moskau angedeuteten Entgegenkommens zu überprüfen. Ein innerpolitischer Gesichtspunkt der Aussprache über die österreichische Antwortnote an die Sowjetunion sollte nicht übersehen werden: diese Antwort wurde vom Hauptausschuß einstimmig gebilligt. Das heißt: nicht nur mit den Stimmen der Regierungsparteien, deren wertvolle Einigkeit in außenpolitischen Fragen nach einem kurzen Zwischenspiel wohl wieder als hergestellt gelten kann. Auch die Vertreter der „Wahlpartei der Unabhängigen“ stimmten trotz ihrer Lieblingsidee eines „Räumungsprotokolls“, der sie in einem Memorandum Ausdruck verliehen, zu. Gleichzeitig betonten sie aber, daß sie selbst ihren Vorschlag erst dann tür aktuell hielten, wenn bis zum 31. Oktober die neuen Hoflnun-gen auf den Staatsvertrag abermals enttäuscht wurden. Es scheint, daß sich hier das erste Mal deutlich in jener „Wahlpartei“ die konstruktiven Kralle, die wir nie geleugnet haben, durchsetzen konnten. Ein Ton wurde angeschlagen. — Es wird sich erweisen, wieweit sich seine Schwingungen in den beiden Himmelsrichtungen fortzusetzen vermögen.

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MIT EINEM UNTERTON DER SELBSTPERSIFLAGE registrierte eine hochangesehene französische Zeitung: „Italien, der andere kranke Mann des atlantischen Europa.“ Der eine ist bekanntlich Frankreich — oder zumindest so nannte es der bekannte Künder unangenehmer Wahrheiten und Halbwahrheiten, der nunmehrige Vizeministerpräsident Paul Renaud. Sollen wir ihm glauben? Gehört nicht vielmehr auch diese Aussage, welche Ireilich in der stets slogan-hungrigen Presse „der beiden Welten“ rasch Verbreitung fand, eher zu den Sätzen, die sich eben dadurch, daß und weil sie mutig ausgesprochen werden, bereits entkräften? Nun, die Dinge in Frankreich liegen nicht so einlach, daß man mit der einen oder der anderen noch so gut pointierten, mit leichter Hand skizzierten Diagnose gleich Abhille schaffen könnte. Man kann hingegen ruhig behaupten, daß es in keinem anderen Land der Welt eine so wache, so kritische wie selbstkritische, die Lage klärenwollende und olt auch klärende öffentliche Meinung gibt, wie hier. Nur gehört es zu den Treppenwitzen der Gegenwartsweltgeschichte, daß das klassische Land der zentralistischen Regierungsiorm seine politischen Nervenstränge in einem Zustand hält, deren last hoffnungslose Verworrenheit und Undurchsichtigkeit kaum mehr zu überbieten ist. Kein Wunder also, daß dann sogar die wachesten Geister, die in der französischen Publizistik tätig sind — ein Frangois Mauriac

etwa, oder die Kolumnisten von .he Monde' — sich von politischen Knalletiekten überraschen lassen müssen. So ein Knalleffekt war die kürzliche dramatische Zuspitzung und „Lösung“ der Krise in Französisch-Marokko, nachdem die Pariser Presse in seltener Eintracht strengste Nichteinmischung von französischer Seite dringend empfohlen hatte. Was die taktischen Methoden der Regierung betrifft, so scheinen jene, welche sie zur Beendigung der Streiklage anwandte, erfolgreicher zu sein. Mit den sozialistischen und christlichen Gewerkschalten wurde am Verhandlungstisch endlich ein Abkommen erzielt, denen diese Partner allerdings nicht ganz froh werden können. Auch bleibt es noch abzuwarten, wieweit die Kräfte der Kommunii. ?n reichen, die jetzt mit aller Anstrengung in den noch warmen Herd blasen. Während man in Washington wegen den französischen und italienischen Verwicklungen immer mehr um das Wiederaufleben isolationistischer Tendenzen besorgt ist, während eine so sehr europafreundliche Zeitung wie „New York Herald Tribüne“ angesichts der sich immer klarer abzeichnenden englisch-französischen Sonderansichten über die Ostasienpolitik, über den „merkwürdigen Seelen-zustcnd“ der Engländer und Franzosen schreibt, wendet sich „he Monde“ gegen die Behauptung, die Franzosen seien nicht mehr an den weltweiten Problemen interessiert. Allein das Gefühl des Betrogenseins hätte eine zeitweilige Apathie in der Arbeiterschaft erzeugt) dieser mit Maßnahmen auf sozialem Gebiet abzuhelfen wäre noch dringlicher und lebensnotwendiger, als sich zu bewaffnen.

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DER SULTAN VON MAROKKO, MOHAMMED BEN YOUSSEF, ist den Weg Abd el Kaders und Abd el Krims, also in die Verbannung, gegangen. Wohl wären, wie eine Schweizer Zeitung glaubt, die mittelalterlichen Reiterscharen des rebellischen Paschas von Marra-kesch vor einem einzigen französischen Panzerwagen zurückgewichen, doch das lag nicht im Sinne des Generalresidenten. Nun hat das alte „Divide et impera“ für den Augenblick wieder einen Erfolg davongetragen, wenn es auch schwerlich das Uebel an der Wurzel heilen wird: daß 5000 Franzosen eine Million Hektar, das ist ein Fünftel des anbaufähigen marokkanischen Bodens besitzen. Sechzehn arabische Staaten haben den Sicherheitsrat der UNO aus Solidarität zu ihren marokkanischen Brüdern angerufen und Frankreich droht die Vereinten Nationen zu verlassen, wenn diese Beschwerde dort zur Behandlung kommt. Während es so um den Eckpfeiler der nordalrikanischen Atlantikpakt-Verteidigung gewittert, hat das Schaukelspiel in Teheran wieder eine neue, höchst überraschende Wendung genommen. Der geflüchtete Schah ist nach einem Sieg seiner Anhänger in seine Residenz zurückgekehrt, und Mossadeq, der kurzlebige Diktator, ist wieder einmal abgesetzt und diesmal sogar wirklich verhaftet worden. Der „in Stücke gerissene“ frühere Kriegsminister soll noch am Leben sein. So ist, zwischen rechts und links, und von beiden Seiten bedroht, das monarchistische System in Persien wieder hergestellt worden. Eines ist aber allen diesen Regierungen gemeinsam: auch der rückgekehrte Schah erklärte „Die Anglo-Iranian ist und bleibt enteignet“. Und so sitzt der iranische Finanzminister vor leeren Kassen und vor der unaus-genützten größten Erdölraffinerie der Welt. *

„FREIE KORDILLERE“ lautet das Schlagwort, unter dem die politische und wirtschaltlidie Zusammenarbeit zwischen Argentinien und Chile propagiert wird. Ursprünglich war das Konzept größer: es umfaßte die drei „ABC-Staaten“ (Argentinien, Brasilien und Chile) und richtete sich deutlich gegen den überragenden Einfluß der USA. Aber seit dem Besuch des damals noch amtierenden demokratischen US-Staatssekretärs Acheson in Rio de Janeiro hat dos brasilianische Interesse an der südamerikanischen Kooperation fühlbar nachgelassen. Anderseits bestehen auch zwischen den beiden restlichen Partnern gegenläufige Unterströmungen: Argentinien sucht seine Beziehung zu Peru, dem traditionellen Rivalen Chiles an der pazifischen Küste Südamerikas, zu verdichten, und Argentinien wie Chile trachten jeder für sich, ihren Einfluß im überaus rohstoffreichen, gemeinsamen Nachbarstaat Bolivien auszubauen. Als im Februar General Perön den chilenischen Staatspräsidenten Ibanez besuchte, geschah dies trotzdem unter dem Zielpunkt einer Zoll- und Wirtschaftsunion ihrer beiden Staaten. Auch hier haben sich aber namhafte Gegenkräfte geäußert. Chile hat wenig Interesse daran, daß Argentinien, in einem gemeinsamen Wirtschaftsgebäude, die reichen chilenischen Bodenschätze für den Ausbau einer eigenen Hüttenindustrie sichert. Und die vorwiegend agrarischen Gegenleistungen Argentiniens würden von den mächtigen chilenischen Großgrundbesitzern nur ungern gesehen. Die Wege zu Zoll- und Wirtschaftsunionen sind eben dornig und kurvenreich — nicht nur in Europa.

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