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Gestank

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Das moderne Gebäude mit den grüngetönten Fenstersdieiben an der Ausfallstraße von Sofia zum Vito-scha-Gebirge ist seit jeher Treffpunkt schwarzer Limousinen, denen höchst eigenartige „Staatsgäste“ der Volksrepublik Bulgarien entsteigen. Das kleine Messingschild „Kintex“ verrät rein gar nichts über die Aktivitäten, die hier in sechs Stockwerken stattfinden. Den Behörden des Hafens von Algier gelang es aber vor kurzem, ein wenig Licht in das Dunkel östlicher Waffenexportgeschäfte zu bringen. Sie stellten fest, daß die Frachtpapiere eines bulgarischen Schiffes, das vom jugoslawischen Adriahafen Rijeka kam, gefälscht waren. Unter den Planen auf Deck befanden sich nicht Baumaschinen, sondern sowjetische T-54-Tanks (Stückpreis 100.000 Dollar). Und Ziel der heißen Fracht war das Chile des faschistischen Diktators Pinochet.

Die französische Zeitung „Le Ca-nard Enchaine“ berichtete ausführlich über den Fall, was die offizielle bulgarische Nachrichtenagentur BTA am 31. Oktober zu einer Gegendarstellung in ihrem englischsprachigen Dienst veranlaßte.

Der „Canard“ hatte überdies noch behauptet, Bulgarien habe auch den rechtsgerichteten libanesischen Fa-langisten Waffen geliefert.

Die Diskretion, mit der die algerischen Hafenbehörden die delikate Causa behandelten — und das Schiff schließlich weiterfahren ließen —, hat einen ganz einfachen Grund: Auch Algerien zählt seit Anfang der sechziger Jahre zu den dankbaren Abnehmern sowjetischer Rüstungsgüter via „Kintex“ in Sofia. Diese Firma hat Tradition. Im Februar und im Juli 1966 versorgte sie den Libanon mit Rüstungsgütern und militärischen Beratern, Ende August 1967 Aufständische im Südsudan, im Februar 1973 sogar die Türkei und Barzanis aufständische Kurden, und im Frühjahr dieses Jahres gingen Waffen an Libyen. Auch die PLO und royalistische Jordanier stehen auf der Liste der Geschäftspartner von „Kintex“, die kommunistische Volksrepublik Jemen ebenso wie zahlreiche „kapitalistische“ Golfstaaten, Bangladesh und Pakistan.

Wie heißt es so schön? Geld stinkt nicht. Vor allem keine harten Devisendollars.

Ein Avantgardist

Frankfurt, Städelsches Museum. Wieder einmal hat man einen der vergessenen, nun plötzlich interessanten Außenseiter des vorigen Jahrhunderts entdeckt. Er hieß Charles Meryon und starb vor. mehr als einem Jahrhundert in geistiger Umnachtung. Er zeichnete und, malte in einem Zustand, der jenem ähnelte, in dem Hölderlin zuletzt schrieb. In einem Zustand bewußter Hellsichtigkeit, wobei er sich von Geburt an allein auf der Welt und nur von gleichgültigen Menschen umgeben glaubte.

Was den Außenseiter des 19. für das 20. Jahrhundert interessant macht, ist seine Thematik. Wegen seiner Farbenblindheit nicht Maler, sondern Graphiker, schafft er Radierungen jenes mittelalterlichen Paris, das, eben erst von den Romantikern entdeckt, auch schon der Stadtplanung eines Häussmann zum Opfer fallen soll.

Meryon zeichnet in seiner unheilbaren Melancholie die alten Stadtviertel vor ihrer Abtragung, die zum Untergang bestimmten Straßen und Häuser, er kämpft eirien einsamen, von seiner Umgebung für krankhaft gehaltenen Kampf um die Erhaltung historischer Bausubstanz. Aber man schreibt nicht 1950, sondern erst 1850, und auch 1950 wäre er zu früh dran gewesen.

Seine Kommentare ritzt er in Texten und Versen mit der Nadel in die Platten. Die Blätter wurden damals veröffentlicht, aber kaum beachtet. Nur Baudelaire erkannte ihre Bedeutung. Denn das Wort Umwelt war damals noch nicht erfunden. Und auch nicht das Wort Denkmalschutz.

„Samtpfoten“

Daß die SPÖ immer wieder ihre Jugendorganisationen als Testballon benutzt, ist bekannt. Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf Aktionen der geduldeten Linken werden vom IFES regelmäßig ausgewertet. Diese Analysen dienen dann insbesondere Bruno Kreisky als wertvoller Hinweis dafür, „wieweit er gehen kann“.

Bei den sozialistischen Mittelschülern gab es jedoch seit einiger Zeit Schwierigkeiten, da der VSM (Verband Sozialistischer Mittelschüler) schon vor Jahren wegen zu starker Linkstendenz von der Mutterpartei verstoßen wurde.

Um einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen, hat nunmehr die Sozialistische Jugend eine Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Mittelschüler (ASM) gegründet, die nicht nur den Sanktus der SPÖ genießt, sondern auch finanziell kräftig unterstützt wird, was zur Folge hat, daß diese Neugründung in puncto Strategie und Ideologie eng an die Stammpartei gebunden ist

Der VSM hat es mit seinen klassenkämpferischen Parolen auf wenig Gegenliebe bei den österreichischen Mittelschülern gebracht. Soll jetzt versucht werden, Marx auf Samtpfoten in die Klassenzimmer zu tragen?

Gangart

Man kann jetzt nur zu Gott hoffen, daß Juan Carlos und sein Team sich durch die weisen Lehren, die ihnen von Nachrichtenverbreitern und Meinungsknetern täglich erteilt werden, nicht aus der bisherigen Gangart bringen lassen; daß sie also den ersten Schritt vor dem letzten tun, und nicht umgekehrt, wie das, mit unabsehbaren Folgen, in Portugal geschehen ist Portugal ist das negative Musterbeispiel, an dem das Juan-Carlos-Team (früher nannte man das „die Krone“) gelernt haben dürfte, die Meinungserzeuger aber offenbar nicht.

Unbeirrbar den eigenen Weg zu gehen und die theoretischen Erwägungen von Medten und Staatssekretariaten (nicht nur weltlichen) nicht unbedingt zur Richtschnur des eigenen Handelns zu machen, entspräche der seit Jahrhunderten gewachsenen spanischen Wesensart. Juan Carlos ist Spanier sowohl von Vater- wie von Mutterseite her. Kein Skandinavier, kein Mitteleuropäer, seit 150 Jahren kein Portugiese und seit 200 Jahren kein Franzose. Man darf also hoffen.

Augstein an Kreisky

Pressekonferenz des Bundeskanzlers am Donnerstag vergangener Woche. Hauptthema: Juden, Antisemitismus. Denn der Sturm, den die vom „Spiegel“ unter dem Titel „Kreisky: Die Juden sind ein mieses Volk“ wiedergegebenen, vom Bundeskanzler .„grundsätzlich“ nicht dementierten Interviewäußerungen entfacht haben, hat sich noch immer nicht gelegt. Kreisky erklärt während seiner Pressekonferenz — wie schon Tage zuvor bei anderer Gelegenheit — Augtein habe sich bei ihm entschuldigt.

Wenn sich ein Zeitungsherausgeber bei einem Bundeskanzler wegen eines Artikels entschuldigt, muß Peine Zeitung wohl falsch zitiert haben? Wenn ein Bundeskanzler auf die Entschuldigung eines Zeitungsherausgebers (noch dazu vom Range Augsteins) pochen kann, muß sich wohl eine Presseente in Luft auflösen?

Im gegenständlichen Fall kann man leider auch der Meinung sein, nicht ein Bundeskanzler, sondern ein Zeitungsherausgeber sei großzügig zitiert worden. Vorgefallen ist nämlich folgendes: Kreisky trifft während eines Hamburger Aufenthaltes in einer Privatgesellschaft mit Augstein zusammen (die beiden Männer kennen sich schon länger). Dies ausgerechnet am Wochenende vor dem Erscheinen der „Spiegel“-Nummer mit jenem Zitat. Augstein schickt nach dem Zusammentreffen, wohl, weil er mit dem Bundeskanzler über jenen Artikel, dessen Erscheinen bevorsteht, nicht gesprochen hat, ein Telegramm, in dem er sich vom Titel der Geschichte, den man ja tatsächlich für unglücklich halten kann, distanziert. Distanziert, und nicht entschuldigt. Lediglich vom Titel — und nicht vom Inhalt des Artikels.

Das Mißverstehen einer Distanzierung vom Titel als Entschuldigung, womöglich für den Inhalt, nun ja, Wunschdenken vermag vieles.

Bruderkusse

Alvaro Cunhal, der portugiesische Kommunistenchef, fand nach einem Besuch in Moskau noch Zeit, um in Budapest Station zu machen. Trotz seines revolutionären Programms rund um die portugiesische Uhr war ihm die Rückendeckung durch die ungarischen Genossen wichtig genug, ihnen vier volle Tage zu widmen. In der besten Programmzeit strahlte das ungarische Fernsehen ein Interview mit Cunhal aus.

Der Zuschauer erfuhr dabei daß die „.Freiheitsrechte“ der Kommunisten in Portugal bedroht seien. „Illegale Terrororganisationen“ im Staatsapparat, ja „sogar in den Streitkräften“ strebten einen „konterrevolutionären Staatsstreich“ an. Den ungarischen Normalverbraucher, der seine eigenen Ansichten über Freiheitsrechte und Legalität hat, wird das hoffnungsvoll gestimmt haben. Freilich klang nicht gut, was hier von der Warte bereits vollzogener Tatsachen ausgesprochen wurde: Als wäre Portugal bereits eine etablierte „Volksrepublik“, die sich nun ihrer Feinde zu erwehren habe.

Seinerseits war der portugiesische KP-Chef hoffnungsvoll, was die Entwicklung in Spanien angeht. Eine „demokratische Wende“ dort (sprich Ausdehnung des kommunistischen Vormarschs auf die ganze iberische Halbinsel) wäre in Anbetracht der gemeinsamen Grenze von großer Bedeutung. Auch hier werden die Ungarn aufgehorcht haben. Sie haben leider nur knapp 200 Kilometer gemeinsame Grenze mit Österreich. Diese schmale Gasse aber hat sich zunehmend als Brücke zur Freiheit erwiesen.

Niemand weiß, worüber Cunhal und Kädär gesprochen haben. Ein im eigenen Land so dringend gebrauchter Genosse fliegt nicht nach Osteuropa, um nur Bruderküsse zu tauschen. Was er neben den bereits empfangenen Waffen sowjetischer Herkunft vor allem braucht, ist offenbar das Know-how gestandener Kommunisten, die seit 30 Jahren an der Macht sind.

Fernbeben

„Seit Jahrhunderten pflegt, was in Frankreich geschieht, nach geringem Zeitabstand Fernwirkungen in Deutschland auszulösen. Seit Jahrhunderten pflegt, was in Portugal geschieht, Spanien überhaupt nicht zu berühren.“ So Dr. Otto Habsburg auf einer Pressekonferenz in der „Concordia“, einberufen von der JES-Studenteninitiative, auf deren Einladung hin er am gleichen Abend auf der Wiener Universität über „Vormarsch der Sowjetunion — Rückzug der Amerikaner — Lösung: Europa“ sprach. (Nach ihm werden im gleichen Vortragszyklus Min.-Rat Elliniger über „Österreich im militä-richen Spannungsfeld der Großmächte“ und Schachgroßmeister Lu-dek Pachmann über „Entspannungspolitik ohne Freiheit“ sprechen.)

„Historischer Kompromiß in Italien?“ Dr. Habsburg erklärt, zwar nicht der Beichtvater des Herrn Ber-linguer zu sein, glaubt aber annehmen zu können, daß die Unsicherheit im Hinblick auf mögliche Entwicklungen in Jugoslawien den kommunistischen Marchese veranlaßt hätten, seinen Sturmlauf zur Macht wenigstens vorübergehend zu bremsen.

„Naher Osten?“ Einvernehmen herzustellen sei immer schwerer, als Einvernehmen zu stören; ein schwieriges Jahr stehe jedenfalls bevor.

„Europäischer Pessimismus?“ Rückschläge machen Schlagzeilen, Erfolge kaum. Daß man sich auf die Direktwahl der Europa-Abgeordneten geeinigt hat, ist jedenfalls eine Tatsache. Daß diese Direktwahl in zwei Jahren stattfinden soll, hat die sozialistischen, die liberalen und die christdemokratischen Parteien der einzelnen Länder gezwungen, sich auf europäischer Ebene zu verständigen. Ein Erfolg zweifellos. Er macht keine Schlagzeilen, löst aber Fernwirkungen aus.

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