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Jansa oder Rendulic?

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„Die große Schweigerin.” Das war der Ehrentitel der alten österreichischen Armee. Sie verdankte ihn nicht zuletzt ihren Offizieren und Generalen, die auf Zurücksetzungen und persönliches Ungemach nie mit lauten Protesten zu antworten gewohnt waren und die selbst gröbstes Unrecht ertrugen, ohne daß ein Wort der Klage oder der Anklage an die Öffentlichkeit drang. So hielt es vor allem der in diesem Jahr gewiß noch oft zitierte Feldzeugmeister Benedek. Sein Mund blieb versiegelt, und selbst alle Papiere, die seine Person vor den Augen der Nachwelt wegen des verlorenen Schicksalstages von Königgrätz rehabilitieren hätten können, wanderten bis auf das letzte in den Ofen.

Ein stiller…

Aber warum so weit in die Vergangenheit zurückblicken? Es ist noch gar nicht so lange her, daß uns einer der vornehmsten und deshalb stillsten Repräsentanten österreichischen Soldatentums für immer verlassen hat. Wir sprechen von Feldmarschalleutnant Alfred Jans,a. In einer Schicksalsstunde 1935 zum Chef des österreichischen Generalstabes berufen, konzentrierte er seine ganze Energie und Begabung darauf, das lang vernachlässigte Bundesheer gegen den zu erwartenden militärischen Überfall des nationalsozialistischen Deutschland einsatzfähig zu machen. Inmitten einer Landschaft von halbem und deshalb kraftlosem Kampfeswillen, der Rückversicherung und des offenen Verrates war er der feste Hort österreichischer Selbstbehauptung. Adolf Hitler wußte sehr wohl, warum er bei der Begegnung auf dem Obersalzberg dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Schuschnigg unter anderem auch die Ablösung des österreichischen General- Stabschefs abpreßte. Damit war praktisch alles schon erledigt. Der „Blumenkrieg” konnte beginnen.

Feldmarschalleutnant Jansa verbrachte die Zeit des Dritten Reiches fern seinem Va toil a mi, in seiner deutschen Kleinstadt konfiniert. Nach seiner Rückkehr in das befreite Österreich kam nie ein bitteres oder gar gehässiges Wort über jene seiner ehemaligen Kameraden, die einen anderen Weg eingeschlagen hatten, über seine Lippen. Den Männern des Widerstandes war er ein warmherziger Freund, genauso wie jenen jungen Offizieren, die in einer österreichischen Tradition wurzelten. An der Neuaufstellung des Bundesheeres nahm er geistig noch lebhaft Anteil, drängte aber niemandem seine Gedanken — und wohl auch Sorgen — wegen mancher falschen Weichenstellung auf. Gelegentlich aufgefordert, seine Meinung offen auszusprechen, lehnte er eine solche Einladung stets ebenso ruhig wie entschieden ab. Dasselbe galt, wenn man ihn drängte, Memoiren zu schreiben. Allein eine Geschichte des österreichischen Generalstabes wurde in Angriff genommen; auch diese mit dem ausdrücklichen Vermerk: Für das Kriegsarchdv.

Ein Grab am Hietzinger Friedhof birgt, was sterblich war an diesem vorbildlichen Soldaten, der zeitlebens nicht nur seinem Vaterland, sondern auch dem ungeschriebenen Gesetz, nach dem er als österreichischer Offizier angetreten war, die Treue hielt.

… und ein gesprächiger Soldat

Warum wir gerade heute an Feldmarschalleutnant Jansa denken? Vor uns liegt ein Buch, das einen Verfasser hat, der als junger Leutnant auf die gleichen Fahnen geschworen hat wie Feldmarschalleutnant Jansa, den als österreichischen Offizier an2usprecfhen jedoch schwerfällt. Grund dafür gibt uns der ehemalige Generaloberst der Deutschen Wehrmacht Dr. Lothar Rendulic selbst nicht nur durch seinen persönlichen Lebenslauf, sondern durch sein offenes Bekenntnis: „Die Zeit in der Deutschen Wehrmacht gehört zu den Höhepunkten meines Lebens” (S. 242).

Dabei war der Ausgangspunkt derselbe. Die kaiserliche Armee gab ihren Tornisterkindern ihre Nestwärme besonderer Art, gleichgültig.

Soldat in stürzenden Reichen Von Lothar Rendulic, Damm-Verlag, München, 483 Seiten.

ob sie Jansa, Rendulic oder anders hießen — wobei gerade in den beiden genannten Namen die große Weite dieser jenseits des Nationalismus angetretenen Armee zum Ausdruck kam. Das Erlebnis der Eidesleistung der jungen ausgemusterten Offiziere war wohl vor 1914 für alle so eindrucksvoll, wie es Rendulic in Erinnerung ruft (S. 47). Es ist aber für die Gedankenwelt des zum Generalobersten der Wehrmacht Adolf Hitlers aufgestiegenen ehemaligen k. u. k. Leutnants bezeich nend, wenn er aus dem Jugenderlebnis sofort Verpflichtungen für alle Zeiten und für jeden Eidesnehmer abzuleiten bestrebt ist — gleichgültig, ob es sich um die hoch vom letzten Schimmer eines feudalen Zeitalters verklärte Person des apostolischen Kaisers oder um einen an die Spitze des Deutschen Reiches auf gestiegenen Abenteurer handelt.

Nietzsche im Tornister

Aber so weit sind wir noch nicht. Noch hält das Erlebnis des ersten Weltkrieges die Offiziere in ihrem Bann. Der Zusammenbruch der Monarchie ist wohl für alle — um ein Modewort der Gegenwart zu gebrauchen — ein „existentielles Erlebnis”. Neu beginnen! Aber wie?

Der Hauptmann Lothar Rendulic, der, einem durch und durch liberalen und sekularisierten Zeitgeist huldigend, seinen „Faust” und seinen Nietzsche im Feldgepäck mitgeführt hatte, geht auf die Universität. Zu der militärischen Ausbildung kommt das mit dem Dr. jur. abgeschlossene Studium. Eine solide Grundlage für den in die Generalstabsschule einrückenden Hauptmann. Die geistige und materielle Situation des jungen Heeres in den ersten Jahren der Republik war nicht die beste. Der „Schatten der. Parteien” (Ludwig Jedlicka) legte sich schwer über Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften. Der inzwischen zum Major beförderte Dr. Lothar Rendulic reagierte auf seine Weise. Steht er dem langjährigen christlichsozialen Bun- desminister für Landesverteidigung Vaugoin eher ablehnend gegenüber, so findet er heute Worte des Verständnisses für die damaligen militärischen Exponenten der Sozialdemokratie. Ist es die sozialistische Anschlußparole jener Jahre, die solches bewirkt? Rendulic wird jedenfalls nicht müde, durch eine einseitige Auswahl von Zitaten den Wunsch der österreichischen Bevölkerung nach einem Anschluß an das Deutsche Reich als einen damals allgemeinen hinzustellen. Von seiner eigenen Person bekennt Rendulic aber freimütig: „Mit einer gewissen Sehnsucht blickte ich auf das Heer des Deutschen Reiches” (S. 138).

Die Geister scheiden sich Die Zeit, in der sich die Geister scheiden, rückt näher. Als die junge österreichische Republik sich langsam von den ärgsten Wehen ihrer Geburt erholte, während andere aus der alten Armee kommende Offiziere das Ihre tun, um österreichische Tradition einer nachrückenden Generation zu’ vermitteln, geht Rendulic den umgekehrten Weg. Diesen aber mit Konsequenz. Im Mai 1932 tritt er, der sich bisher auf seine unpolitische Haltung als Offizier viel zugute hielt, der NSDAP bei (S. 151), Die weitere politische Entwicklung 4 ja Österreich sieht. Rendulic ąuch” 1965 noch durch die Brillengläser der nationalsozialistischen Propaganda von ehedem. Ob es sich um die phantastische Zahl von „18.000 Nationalsozialisten in österreichischen Anhaltelagern” (S. 198) dreht, oder um die Saarabstimmung, von der der Memoirenschreiber notiert: „Nur wenige,

denen Geld, und Geschäft über alles gingen, gaben ihr Volk preis” (S. 188). Daß damals auch deutsche Demokraten einen Verzweiflungskampf gegen die Mächte der Diktatur kämpften, davon hat der Verfasser nie etwas gehört.

Dunkel über einer Affäre

Ein Offizier mit einer solchen Grundhaltung mußte mit seinem Land, das gerade in jenen Jahren zur Besinnung auf seinen eigenen Charakter zu kommen schien, jin Konflikt geraten. Der Militärattache Rendulic wird aus Frankreich abberufen und in den zeitlichen Ruhestand versetzt. Sein Umgang mit dem deutschen Militärattache in Paris ist Anlaß dafür. Rendulic versucht diesen als durchaus harmlos hinzustellen und sich sogar auf einen mündlichen Auftrag des Staatssekretärs für Heerwesen Schönburg-Hartenstein zu berufen. Eine Befragung von noch lebenden eingeweihten Zeitgenossen sowie die Aktenlage könnten ein diffizileres Bild ergeben. Der Memoirenschreiber weiß schon, warum er über diese Affäre hinweggleitet, genauso wie er die Ermordung von Bundeskanzler Dr. Dollfuß gleichsam als verurtei- lenswerten Akt eines Einzelgängers und nicht als Tat im Gefolge eines Aufstandversuches seiner Parteifreunde darstellt, bei dem es an manchen Stellen Österreichs zu ausgedehnten Kämpfen mit dem Bundesheer gekommen ist (S. 180). Aber der damalige Oberstleutnant im zeitlichen Ruhestand hatte schon lange von einem Vaterland, das Österreich hieß und seine Unabhängigkeit und Freiheit auch verteidigen wollte, Abschied genommen. Gegen die Türken Widerstand leisten? Ja. Bestimmt auch gegen die Italiener. Aber gegen das Deutsche Reich Adolf Hitlers? Nein, niemals. So weiß er auch über den März 1938

nichts anderes zu bemerken als den lapidaren Satz: „Eine Entwicklung hatte ihr Ende erreicht” (S. 204).

Rendulic sieht nur die Menschen auf den Straßen. Die Verhafteten sieht er nicht. Von den Zügen in die KZ will er nichts wissen, und über Progrome gegen die jüdischen Mitbürger blickt er hinweg. Über Sektionschef Hecht, mit dem Rendulic— nach eigenem Bekenntnis — nach Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten konziliant zusammengearbeitet hatte und bei dem er auch in vielen anderen Angelegenheiten „größtes Entgegenkommen” gefunden hatte (S. 141), notiert er kalt: „Dr. Hecht war Jude und ist in einem Konzentrationslager gestorben.” Das Wort Konzentrationslager klingt in diesem Zusammenhang beinahe so wie Lungenheilstätte. Ganz zu schweigen davon, daß der Verfasser kein Wort des Bedauerns über das Schicksal seines Vorgesetzten äußert, geschweige, daß er sich für ihn hätte einsetzen können.

„Marschall” in der neuen Grande Armee

Aber Rendulic hatte nach dem 11. März 1938 keine Zeit für solche Sentimentalitäten. Es galt, sich immer mehr für die Rolle des „Marschalls” in der kommenden Grande Armėe des neuen Napoleon mit

Namen Hitler zu rüsten. Das ist kein billiger Vergleich, sondern die

Quintessenz aus dem vorliegenden Memoirenbuch. Dieses ist nämlich nicht sosehr für die Zeitgenossen geschrieben, die selbst noch den Größenwahn des Zollbeamtensohnes aus Braunau mit dem Verlust der „schönsten Jahre ihres Lebens”, oft auch mit ihrer Gesundheit und ihren geraden Gliedern bezahlt haben, sondern für kommende, von keinerlei eigenem Wissen und eigener Kritik getrübte Geschlechter. Darum tut es eben not, das Bild zurechtzurücken.

Wien 1938: Rendulic übernimmt den Posten eines Generalstabchefs des in Wien aufgestellten XVII. deutschen Armeekorps. Er vermerkt eine „atemraubende Tätigkeit…, da für alles kürzeste Termine gesetzt waren” (S. 206). Kein Wunder: Galt es doch das Menschen- und Kräftepotential des österreichischen Raumes der auf Touren laufenden Kriegsmaschine des Dritten Reiches zuzuführen. Eine Bemerkung am Rande: Bald sitzt Rendulic auch seinem Schicksalsmann persönlich gegenüber. Unter den Augen des Führers beginnt der Verfasser „eine Art — ich finde keinen anderen Ausdruck — auflösender Wirkung” auf sein „geistiges Ich” (S. 220) zu spüren. Wenn er glaubt, daß sich seine Unbefangenheit bald wieder einzustellen begann, so scheint der Verfasser zu irren. Ohne „diese auflösende Wirkung seines geistigen Ichs” wäre wohl manches in dem vorliegenden Memoirenwerk und der von ihm ausströmenden Grundhaltung anders ausgefallen.

Kein Wunder also, daß Rendulic die Vorgeschichte des Überfalls auf Polen in Worten erzählt, die dem Stehsatz des „Völkischen Beobachters” entnommen sein könnten (S. 200). Dennoch ist ihm für sein Zeugnis der langfristigen militärischen Vorbereitungen und der bewußten Planung des Krieges zu danken. Späte Apologeten des Dritten Reiches, wie der Amerikaner Hoggan und der Engländer Taylor, werden somit von einer für sie wohl kompetenten Seite ad absurdum geführt.

Hitlers „Feuerwehrmann

Der Krieg ist da und Rendulic große Zeit beginnt. Divisionskommandant, kommandierender General eines Armeekorps, schließlich Hitlers „Feuerwehrmann” auf dem Balkan, in Lappland, Ostpreußen, Kurland und zuletzt im April 1945 an der Spitze der Heeresgruppe Süd in Österreich, zu einem Zeitpunkt, wo hier für den Generaloberst und seinen obersten Kriegsherrn kaum mehr etwas zu vermelden war.

Siegte jetzt in allerletzter Stunde wenigstens die Einsicht, daß auch er, der mit Ritterkreuz, Eichenlaub und Schwertern sowie dem Gojdenen Parteiabzeichen dekorierte General, auch nicht mehr war als nur einer von vielen, die in den Bann des großen Rattenfängers geraten waren? Mitnichteri. Reridulia schwelgt in Divisionen und Kampfgruppen, Gruppiert, um, schriebt auf der Landkarte Truppen hin und her, wo es nichts mehr zu tun gegeben hätte als mit dem Wahnsinn Schluß zu machen.

Aber, bitte, der Fahneneid! Für Rendulic ist er wie für manchen die Rechtfertigung aller Taten und Unterlassungen. Deshalb seine heute selbst in nationalen Kreisen selten mit solcher Deutlichkeit ausgesprochene Absage an die Männer des 20. Juli und sein Votum für Hitler bis zum bitteren Ende. Aber halt: Für den geborenen Österreicher Rendulic wäre spätestens mit der am 27. April von der provisorischen österreichischen Regierung ausgesprochenen Entbindung aller Österreicher von ihrer Eidespflicht noch eine allerletzte Gelegenheit gegeben gewesen, Konsequenzen zu ziehen. Weit gefehlt! Rendulic setzte mit Goebbels auf den „Tod der Zarin”, auf einen Waffengang an der Seite der Amerikaner gegen Rußland.

„Der letzte Gote”

Welche Irrtümer soll man noch aufdecken? Welche historischen Entstellungen zurechtrücken? Ein Artikel bietet zuwenig Raum. Einige Seifenblasen seien jedoch angestochen.

Eine Legende wird nicht besser, wenn sie wiederholt wird. Wenn der Verfasser wie bereits in „Gekämpft, gesiegt, geschlagen” abermals als der eigentliche Retter Wiens sich vor der Geschichte melden will, und seinen Befehl, keine Brücken zu sprengen, als Beweis anbietet, so sprachen die selbst über den letzten Mühlbach gesprengten Brücken in Niederösterreich 1945 eine andere Sprache. Eine gute Portion Vergeßlichkeit erfordert auch die Behauptung, im Partisanen- kampf sei von „deutscher Seite keine Grausamkeit (S. 331) vor-i gekommen. Bilddokumente gefällig? In welcher Geisteswelt sich dieser fachlich ohne Zweifel hochtalentierte Offizier bewegte, davon zeigt, daß er die Kroaten als einen ostgotischen

Stamm -,der Snrache nach slawisiert” (S. 335) anspricht. Aufwachen, Herr General! Auch ein Lothar Rendulic hat 1966 den großen Germanennachweis nicht notwendig.

Zuwenig „totaler Krieg”?

Aber was will man von einem alten Herrn, der in einer Gedankenspielerei über den Ausgang des Krieges notiert.

„Der grundlegende Fehler deutscherseits bestand in der bereits erwähnten Unterlassung der totalen Mobilmachung in diesem totalen Krieg mit der ganzen militärisch zählenden Welt, so daß schließlich den Gegnern nur ein Bruchteil jener Zahl an Kämpfern entgegengesetzt werden konnte, die sie selbst einsetzten” (S. 411).

General Unruh, der Schlappschwanz, Himmler, der „Humanist”. I5jährige Kinder mit Panzerfäusten und zusammengefangene Greise als letzte Barriere gegen die Armada der Shermans und T 34 waren für Rendulic zuwenig totaler Krieg. Solche „historische Einsichten” sind wohl nur noch an den Lagerfeuern der letzten SS-Veteranen an den Mann zu bringen. Soldat in stürzenden Reichen? Stürzender Soldat — Opfer der Hybris und der Einsichtslosigkeit, ohne auch nur ein Wort der Anteilnahme für die Opfer des großen Wahnsinns, ohne auch nur einer Geste der Anerkennung und Würdigung gegenüber jenem Land, das schließlich einmal Rendulic’ Vaterland ist und dessen Pension er heute annimmt.

Man könnte über dieses Memoirenwerk zur Tagesordnung übergehen, stellte es nicht den Versuch dar, die historische Wahrheit zu verwischen und die Geschichte auf den Kopf zu stellen.

Wir kehren zurück zum Ausgangspunkt. Jansa oder Rendulic? Das Heer der Zweiten österreichischen Republik muß sich entscheiden, welchen von beiden es den jungen Soldaten als Leitbild setzt. Es gibt kein „Sowohl-als-Auch”, kein Ausweichen.

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