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Als Österreich den Sturm bestand

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Mit diesem Beitrag setzt die „Furche“ ihre Veröffentlichungen aus dem 2. Band des Memoirenwerks ihres Herausgebers fort.

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Mit diesem Beitrag setzt die „Furche“ ihre Veröffentlichungen aus dem 2. Band des Memoirenwerks ihres Herausgebers fort.

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Ein Unglücksvogel kann eine Lawinö auslösen und Unheil anrichten — ein Menschenwort kann unversehens ein Gleiches tun.

Eine kleine Gelegenheitsrede, gehalten am Fuße des Bisamberges bei Wien, wurde zufolge einer irreführenden, gekürzten Wiedergabe der ursächliche Anfang einer Kette politisch folgenschwerer Anschuldigungen und tragischer Ereignisse, die in der österreichischen Geschichte als „die Februarereignisse 1934" bezeichnet werden. Sie eröffneten eine der dunkelsten Passagen auf dem Wege der österreichischen Republik. Selbst heute ist das damalige Erlebnis noch nicht überall überwunden. Heute noch steigt aus dem Erinnern Schmerz und Klage auf, heute noch ist es im Namen der Liebe zu diesem Land und seinem Volk Aufgabe und Auftrag, diese traurige Ver1assenschaft liquidieren zu helfen.

Am 11. Februar 1934 hatten sich Mannschaften einer Wiener Heimatschutzabteilung nach einer Geländeübung in Lang-Enzersdorf bei Wien vor dem Kriegerdenkmal des Ortes zu einer Ehrung der Gefallenen aus dem ersten Weltkrieg versammelt, einer Kundgebung, der Vizekanzler Fey und Staatssekretär Fürst Schönburg-Hartenstein beiwohnten. Der Vizekanzler hielt eine Rede, die sofort am nächsten Tage das allgemeine Gespräch bildete und mit den Linzer Ereignissen in Verbindung gebracht wurde. Linksstehende Journalisten der Auslandspresse und nach ihnen verschied e interessierte Parteiblätter verbreiteten die Nachricht, der Vizekanzler habe in seiner Rede in drohendem Ton angeblich für den nächsten Tag einen Gewaltstreich gegen die Sozialistische Partei angekündigt und sich dabei auf die Zustimmung des Bundeskanzlers berufen. Der angelsächsische Korrespondent Gedye wiederholte diese Behauptung noch in seinem später erschienenen Buch „Oesterreichs Selbstmord“. Eine Quelle für seine Darstellqfl'nannte gr ni'cht. “'

D i e B e h a u p t u ti g i s t falsch. Sie entstand durch die im nachstehenden feststellbare Verstümmelung des echten Textes der Rede, hervorgerufen durch eine sinnwidrige Kürzung.

Der echte Text: I.

„Ich will am Grabe altösterreichischer Soldaten keine politische Rede halten. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß wir dieselben Aufgaben und Pflichten haben wie die Helden des großen. Krieges: Zu kämpfen für unser Vaterland und, wenn es gilt, für das Vaterland auch zu sterben. Ihr Heimatschützer habt brav gekämpft und darum habt ihr Anspruch auf Lob und Anerkennung, die euch das Vaterland nicht versagen wird. Ich kann euch beruhigen, die Aussprachen von vorgestern und gestern haben uns die Gewißheit gegeben, daß Kanzler Dr. Dollfuß der Unsrige ist. Ich kann euch noch mehr, wenn auch nur mit kurzen Worten, sagen: Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten für unser Vaterland, d»s nur uns Oesterreichern allein gehört, das wir uns von niemandem nehmen lassen und für das wir kämpfen wie jene Helden, die wir grüßen mit dem Gruße: Heil Oesterreich!“

Bericht der „Reichspost1' in dem Montag, 12. Februar, erschienenen Blatte, Wiedergabe nach dem von der Pressestelle des Heimatschutzes ausgegebenen Wortlaut.

Der verstümmelte Text: II.

„Ich will am Grabe alter österreichischer Soldaten keine politische Rede halten. Ich möchte euch nur sagen, daß wir dieselben Aufgaben und dieselben Pflichten haben wie die Helden des großen Krieges: …

… die Aussprachen von gestern und vorgestern haben uns die Gewißheit gegeben, daß der Kanzler Dollfuß der Unsrige ist. Ich kann euch sogar auch mehr sagen, wenn auch nur in kurzen Worten: Wir werden morgen an die Arbeit gehen und die ganze Arbeit gründlich machen."

Wortlaut nach Charles A. Gulick: „Oesterreich von Habsburg zu Hitler", Band IV. S. 295, Deutsche Uebersetzung Danubia- Verlag, Wien 1949.

Eine Analyse des echten Textes ergibt:

Der echte Text widerlegt die Behauptung, daß die Rede gegen die Sozialdemokratische Partei gerichtet gewesen sei.

Der echte Text redet von „altösterreichisehen Soldaten“ nicht von „alten österreichischen“, die für das alte Reich, ihr Vaterland, gegen einen Angriff von außen als „Helden des großen Krieges“ 19141918 gekämpft haben.

3. „Dieselben Aufgaben und Pflichten obliegen nun auch den Heimatschützern von heute, da auch sie gegen einen Angreifer von außen ihr Vaterland zu verteidigen haben, das nur uns Oesterreichern allein gehört und das . wir uns von niemandem nehmen lassen.“ Damit ist aus- _ gesprochen, daß sich die Rede nicht gegen die Sozialdemokratische Partei, sondern gegen die Hitler-Macht richtet, die durch Gewalt und Terror die Unabhängigkeit Oesterreichs zu zerstören und „den Oesterreichern ihr Vaterland zu nehmen sucht“.

Diejenigen, die in dem Satze „wir werden morgen an die Arbeit gehen“ eine Gewaltdrohung herauslesen wollen, finden die richtige Erklärung in den von Fey selbst gebrauchten Worten: „Die Aussprachen von vorgestern und gestern haben uns die Gewißheit gegeben, daß Kanzler Dollfuß der Unsrige ist."

Der nüchterne Sachver h ä 11 ist, daß, wie heul noch, feststellbar kur? zuvpf .pine Aktion des Heimatschutzes ins Stocken geraten war, die auf eine Beteiligung an der Regierungsmacht in den Bundesländern abzielte; der Anspruch der Heimwehr begegnete in fast allen Bundesländern Widerspruch als ein Eingriff in die Länderautonomie, der selbst die ältesten Rechte der Landtage nicht unangetastet ließ. Die Verhandlungen der Heimwehr sollten nach der Rückkehr des Kanzlers aus Ungarn in Uebereinstimmung mit ihm fortgeführt werden.

„Kein Zweifel“, urteilt Staatssekretär Karl Karwinsky in seinem „Beitrag zur Geschichte des 12. Februar", „daß der Heimatschutz den Kanzler, da am 12. Februar die Besprechungen mit den Ländervertretern beginnen sollten, für seine Absichten schon gewonnen zu haben hoffte, da .Kanzler Dollfuß der Unsrige ist'.” Inwieweit Dollfuß in den „vorgestern und gestern geführten Aussprachen“ bereit war, dem Heimatschutz entgegenzukommen, bleibt dahingestellt. Immerhin nahm Fey an, daß nun der Heimatschutz „an die Arbeit gehen", also die begonnene Aktion für die Heranziehung des Heimat Schutzes zur Führung der Länder günstig abschließen könne.

Durch die Verstümmelung des richtigen Wortlautes einer in bescheidenem Rahmen zu bescheidenem Anlaß gehaltenen Rede sind Fehldeutungen und falsche Bezichtigungen hervorgerufen worden, weitergeschleppt in einer großen, einschlägigen politischen Literatur, die in einer kritischen Situation ein gefährlicher Beitrag zur Verwirrung und zur Vergiftung der öffentlichen Meinung wurde.

Es wäre an der Zeit, daß einer geschichtswidrigen Legende, die schon genug Unheil angerichtet hat, ein Ende gemacht werde.

In der politischen Literatur, die sich mit den Wiener Februarereignissen beschäftigt, ist viel die Frage erörtert worden, welchen persönlichen Anteil die politischen Führer der radikalen Linken an den Geschehnissen nahmen. Verschiedene Kommentare sagen Doktor Otto Bauer und Dr. Julius Deutsch nach, daß beide allzu eilfertig den Schauplatz der Ereignisse, an deren Vorbereitung sie mitgearbeitet haben, verlassen und sich jenseits der Grenzen in der Tschechoslowakei in Sicherheit gebracht haben. In einer Rechtfertigungsschrift, die Doktor Otto Bauer noch im Verlauf des Februars zwischen den kämpfenden Truppen in Wien und, soweit es möglich war, auch in der Provinz hergestellt und aufrechterhalten. Aber die Kampfleitung hat unter außerordentlich schwierigen Verhältnissen gearbeitet. Der Bezirksteil, in dem sie ihren Standort hatte, fiel in die Hände der Regierungstruppen. Wir haben trotzdem, jeden Augenblick von der Verhaftung bedroht, unsere Arbeit bis Dienstag früh fortgesetzt. Dienstag früh war das nicht mehr möglich. Unsere Verbindungsleute, die Nachrichten brachten, Weisungen hinaustrugen, stießen schon unmittelbar vor dem Hause, in dem wir arbeiteten, auf Militär- und Polizeipatrouillen. Wir haben daher die Kampfleitung Dienstag früh geteilt und an zwei andere Standorte verlegt. Aber nach wenigen Stunden waren auch die Bezirke, in denen unsere Standorte lagen, in den Händen des Feindes und auch dort alle Kampfhandlungen zu Ende. Wir versuchten es nunmehr, zu einer der noch, kämpfenden Gruppen zu gelangen. Dieser Versuch scheiterte an der militärischen Absperrung, die wir nicht durchdringen konnten. Auch unsere Verbindungsleute konnten zu den noch kämpfenden Gruppen nicht vordringen. Sg waren wir von den kämpfenden Gruppen abgeschnitten. Die Polizei war uns auf den Fersen. Ich wurde trotz Verkleidung auf der Straße erkannt. Deutsch, schon verwundet, entging der Verhaftung nur durch einen fast wunderbaren Zufall: Polizeiorgane durchsuchten das Haus, in dem er sich gerade aufhielt, und bemerkten ihn nicht. Ohne jede Möglichkeit, in die letzten Kämpfe einzugreifen, hatten wir nur noch die Wahl, untätig unsere Verhaftung abzuwarten oder zu fliehen. Erst als in dem ganzen Stadtgebiet, in dem wir uns aufhielten, alle Kämpfe zu Ende waren und jede Hoffnung auf eine Wendung geschwunden war, haben wir uns zu dem Versuch entschlossen, die tschechoslowakische Grenze zu erreichen.“

Der deutsche Publizist Dr. E. Franzei Mün-in dem Prager Verlag der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakei veröffentlichte, sagt er über seine Rolle wörtlich aus:

„Montag mittag haben sich Deutsch und ich in einem Wiener Arbeiterbezirk zum Sitz der zentralen Kampfleitung begeben. Daß wir dort waren, hat uns für die Polizei unauffindbar gemacht. Die Kampfleitung hatte die Verbindung eilen hat dem Verfasser dieser Erinnerungen an eine stürmisch bewegte Periode der jungen österreichischen Republik die nachstehende abweichende Zeugenaussage übergeben:

„In seinem Buch',Oesterreich von Habsburg zu Hitler“ läßt Charles Gulick sich weitläufig über die Umstände um den Termin der Flucht Bauers und Deutschs aus, zitiert die Angaben beider und schließt daraus: Ein Vergleich der Berichte Bauers und Deutschs zeigt, daß sich dies die Flucht beider in die CSR am Mittwoch, dem 14. Februar, abspielte.“ Und Gulick fährt dann fort:

….. Kein Zweifel, daß Schuschniggs Erklärung vom 12. Februar ebenso unrichtig war wie die Feys vom 13. Ob diese Erklärungen überlegte Fälschungen waren oder in gutem Glauben abgegeben wurden, kann nicht bewiesen werden. Jedenfalls wurden sie damals von vielen Schutzbündlern geglaubt und allerdings eine geringe Anzahl glaubte sie auch noch im Jahre 1937.“

Dr. Franzel widerspricht der Auffassung Gulicks und sagt: „Folgendes ist in bezug auf Otto Bauer die geschichtliche Wahrheit: Er verließ seinen Standort als Führer des Aufstandes in den frühen Morgenstunden des Dienstag, 13. Februar, und begab sich in die Wohnung des Presseattaches der tschechoslowakischen Gesandtschaft, Srom, der ein alter Sozialdemokrat und Mitarbeiter des Parteiblattes ,Pravo Lidu“ in Prag war. Srom war über den Besuch seines Parteifreundes keineswegs erfreut. Er teilte dem tschechoslowakischen Gesandten, Dr. Zdenko Fierlinger, der auch Sozialdemokrat war, telephonisch mit, daß sich ein Mann in seine Wohnung geflüchtet habe, den er unmöglich lange beherbergen könne, ohne die CSR peinlichen diplomatischen Verwicklungen auszusetzen, den er aber aus menschlichen Gründen auch nicht wegschicken könne. Fierlinger war jedenfalls in großer Verlegenheit. Er ließ zwei sudetendeutsche Journalisten, die damals in Wien weilten — den damaligen deutschen Bundestagsabgeordneten Ernst Paul und den Schreiber dieser Zeilen, Dr. Franzel —, in das Gesandtschaftspalais am Lobkowitzplatz rufen und teilte ihnen den Sachverhalt mit. Mit Paul besprach er den Fluchtplan für Otto Bauer, um den allein es sich bei dem fremden, asylsuchenden Mann handeln konnte; von mir forderte er meinen Paß mit der kategorischen Begründung, daß er ihn benötige. Er werde mir einen regulären anderen Paß ausstellen. Ich sollte Wien auf dem schnellsten Wege verlassen. Würde ich verhaftet, so könne es sich nur um wenige Wochen handeln, dann werde er mich freibekommen. Ich war in einer Zwangslage doppelter Art: Ich konnte als tschechoslowakischer Staatsbürger und Journalist in der vom Bürgerkrieg durchtobten Stadt nicht gegen .meinen“ Gesandten meutern, ohne mich größten Unannehmlichkeiten auszusetzen. Ich wollte auch menschlich nicht schuld sein, wenn Bauer in die Hände der Polizei fiele und es ihm ans Leben ginge, obwohl ich sein Verhalten unbegreiflich fand. Ich gab Fierlinger meinen Paß, erhielt zwei Stunden später einen anderen auf meinen Namen, allerdings einen mit einer mir wenig gleichenden fremden Photographie, wurde nachmittags in einem Wagen der Gesandtschaft zum Nußdorfer Bahnhof gebracht — während eben die Artillerie von der Hohen Warte auf den Karl-Marx-Hof feuerte — und fuhr mit dem nächsten Schnellzug nach Prag.

Um die gleiche Nachmittagsstunde brachte ein Wagen der Gesandtschaft Bauer aus der Hietzinger Wohnung Srorns in die Innere Stadt, wo Ernst Paul mit einem Mietauto und einem verläßlichen Chauffeur wartete. Man händigte Bauer meinen Paß aus. Der Wagen verließ merkwürdigerweise völlig unbehelligt Wien, passierte bei Preßburg-Engerau die Grenze und Bauer befand sich in den frühen Abendstunden des 13. Februar in einem Preßburger Hotel auf slowakischem Boden in Sicherheit. In Prag eingetroffen, erhielt Dr. Franzel kurze Zeit später seinen Paß zurück, dessen Vidierung an der Grenze vom 13. Februar 1934 den Zeitpunkt der Flucht Dr. Bauers ersichtlich machte.

Deutsch hat nach Aussage Bauers den .Standort“ zur gleichen Zeit wie Bauer, also in den frühen Morgenstunden des Dienstag, 13. Februar, verlassen. Er hat sich dann auf eigene Faust durchgeschlagen und die Grenze später überschritten als Baur."

Soweit hier die Aussage Dr. Franzels, eines angesehenen, erfahrungsreichen deutschen Publizisten. Vielleicht wird Professor Gulick künftig doch etwas vorsichtiger mit Ausdrücken umgehen, wenn er Darstellungen ehrenhafter Gesinnungsgegner in Zweifel zu ziehen für gut findet.

Was die Rollen Dr. Otto Bauers und des Schutzbundkommandanten Julius Deutsch betrifft, so kann man zu ihren Gunsten wohl sagen, daß sie es in ihrer politischen Führerstellung als ihre Pflicht erachtet haben mochten, die vorbereitete Aufnahmsstellung in Brünn zu erreichen und von dort aus ihre schwer betroffene Partei nicht führerlos zu lassen.

Die Veröffentlichung wird fortgesetzt. Nächste Folge: Papen und die Diplomatie des „reifen Apfels“.

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