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Hinter den Kulissen des Dritten Reiches

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In den letzten Monaten ist eine Reihe von

Erinnerungsbüchern erschienen, die in die Hintergründe der jüngst vergangenen, schreckensvollen Ära Licht gebracht haben. ;,Die Furche“ hat über diese neu entdeckten Zusammenhänge ihrer Bedeutung entsprechend berichtet.

Nun liegt vor uns eines der psychologisch tiefstschürfenden Bücher dieser Kette — die nachgelassenen „Vom anderen Deutschland“ betitelten Tagebücher des ehemaligen deutschen Botschafters Ulrich von Hassel*.

Dieser deutsche Diplomat zählte zu den konsequentesten und wegen seiner weitreichenden persönlichen Beziehungen „gefährlichsten“ Mitgliedern der deutschen Widerständsbewegung. Auf seinem römischen Posten 1937 durch Hans Georg von Mackensen ersetzt, konzentrierte er seine Kraft auf die Bekämpfung des nationalsozialistischen Regimes. Auf In- und Auslandsreisen für seine Idee wirkend, hat Hassel bald den Argwohn der Gestapo auf sich gezogen. Aus Freundeskreisen warnte man ihn, doch er änderte seine Haltung nicht. Nach dem Juliattentat wurde Hassel verhaftet, nach einer dramatischen Gerichtsverhandlung verurteilt und am 8. September 1^44 hingerichtet.

In seinen aufschlußreichen Aufzeichnungen vermerkt er an das DeSikel von Stalingrad geknüpfte Beobachtungen: „Die letzten Wochen haben die bisher schwerste Krise dieses Krieges gebracht, eigentlich die erste wirkliche Krise — leider nicht nur. der Führung und des Systems, sondern für Deutschland. Zum ersten Male gelingt es Hitler nicht, die Verantwortung abzuwälzen, zum ersten Male bezieht sich das kritische Raunen unmittelbar auf ihn. Insoferne liegt eine echte Krise vor: die militärische, bisher durch einige intuitive Lichtblicke, duren geglücktes. Hasardieren, gegnerische Unzulänglichkeit und durch Zufälle verdeckte eigene Unfähigkeit des .genialsten Feldherrn aller Zeiten', das heißt des größenwahnsinnigen Gefreiten, steht_ im Vordergrund. Das Opfern kostbaren Blutes “für unsinnige oder verbredierische Prestigegesichtspunkte ist weithin klar. Da es sich um militärische Dinge handelt, gehen nunendlich auch denGeneralen die Augen auf. General Gustav Adolf Wietersheim, der im Konflikt gegangen wurde, steht groß da. Der General, der seine Meinung am schärftsten verfochten hat und folglich in Ungnade keinerlei Auszeichnung oder Anerkennung erhielt, nämlich Strecker mit seinem ausgezeichneten Stabschef Groscurth, ist schließlich der gewesen, der am längsten gekämpft hat. Sogar Herr Zeitzier, Hitlers ausgewählter Generalstabschef merkt jetzt, was los ist und hat den Mut zum Widerstand gegen unsinnige Befehle gefunden, indem er zwei Tage lang nicht zum Vortrag erschienen ist und dadurch seine Ansicht durchgesetzt hat. Über Hitler kommen immer mehr.

Nachrichten, cfie beweisen, in welchem gefährlichen Geisteszustand er sich befindet. Ihren zehnten Geburtstag feiert die heutige Regierung als ein Konsortium, das nur noch um seine Selbstbehauptung auf Kosten des deutschen Volkes kämpft. Bezeichnend, daß Hitler am 30. Jänner nicht zu sprechen wagte! — Wer hätte das noch vor kurzem gedacht —, und daß Göring infolge Vpralarms während seiner Rede im Bunker verschwand...“

Das Menetekel von Stalingrad brachte die Führer des Dritten Reiches nicht zum Erbleichen: „Gesandter Thomsen meldete sich nach seiner Ernennung im Hauptquartier, bei Hitler und in Karinhall. Er ging mit Illusionen hin und kam völlig bekehrt zurück. Hitler befand sich in einer zur Schau getragenen, unverantwortlichen Siegeszuversicht, mit Bauplänen für Botschaften usw. beschäftigt — ein unwürdiges Schauspiel. Göring bot ein groteskes Bild“ — schreibt Hassel weiter —, „morgens im ,Wams' mit bauschigen, weißen Hemdärmeln, am Tage mehrfach das Gewand wechselnd, abends bei Tisch im blauen oder violetten seidenen Kimono mit pelzbesetzten Schlafschuhen, schon morgens einen goldenen Dolch an der Seite, der mehrfach, gewechselt wurde, am Hals eine Agraffe mit ebenfalls wechselnden Edelsteinen, um den dicken Leib einen breiten, gleichfalls mit vielen Steinen besetzten Gurt, ganz zu schweigen von Pracht und Zahl der Ringe.“

Man erkennt in dieser Schilderung den Mann, von dem Graf Ciano berichtet hatte, er spiele mit Juwelen, wie ein kleiner Junge mit Marmeln. Und wenn Göring nervös war, brachten ihm auf seiner Italienreise seine Adjutanten ein Gefäß voller Brillanten. Er breitete sie auf dem Tisch aus, zählte sie, stellte sie in Reihen und mischte' sie, und „so wurde er wieder glücklich“.

Die Methode, zu orientalischem Prunk zu gelangen, war einfach: Göring empfing 1943, zu seinem 50. Geburtstag, wie der frühere Reichswirtschaftsminister Dr. Kurt Schmitt Herrn von Hassel erzählte, Geschenke im Werte von einer Million Goldmark, darunter ein Sevres-9ervice bestehend aus 2400 Stücken zum Preise von ein#r halben Million Reichsmark, Görings Adjutant, Gritzbach, hatte Dr. Kurt Schmitt vorher darauf aufmerksam gemacht, was er dem Reichsmarschall schenken solle — wenn er etwa wegen der Wahl in Verlegenheit wäre.

Der ganze Abgrund öffnet sich, wenn man den Bericht liest, den Hassel über Hitlers Geisteszustand durch eine medizinische Autorität vom Range Professors Dr. Ferdinand Sauerbru ch persönlich erhielt. Dieser fand Hitler, Ende November 1942, „alt und zusammengesunken“. Im Gespräch habe er zusammenhanglose, merkwürdige Dinge gemurmelt, wie: „Ich muß nach Indien gehen“ und „für einen getöteten Deutschen müssen zehn Feinde sterben.“ Hassel schreibt wörtlidi: „Sauerbruch meinte, er sei j e t z t u n zw e i f e 1-haft verrückt.“ Niemand wagt dem Diktator mehr die Wahrheit zu sagen. Alles verfällt dem Byzantinismusund der Liebedienerei. Als Generalleutnant W a r 1 i m o n t, stellvertretender Chef des Wehrmachtsführungsstabes, aus Tunis zurückkommt, verlangt er zu Hitler geführt zu werden, um ihm zu melden, daß man sich dort noch bis Herbst halten werde. Er muß die Antwort einstecken: „Das wird den Führer in der Tat sehr interessieren. Eben ist die Meldung gekommen, daß Bizerta und Tuhis gefallen sind ...“

Für Ribbentrop, einen der unheilvollsten Männer seiner Ära ist es charakteristisch, daß er anordnet, die Kriegserklärungen der kleineren Staaten an Deutschland sollen von einem untergeordneten deutschen B e a m t e n ,in einem Vorzimmer entgegengenommen werden, der sie vor den Augen der überbringenden Gesandten zu zerreiße* und wegzuwerfen hätte. Es wundert danach gewiß niemanden, wenn Ribbentrop Hitler erklärt, er wolle 40 SS-Leute, 40 SA-Leute und 40 HJ-Führer haben und mit ihnen das Auswärtige Amt neu besetzen. Der Prätorianertyp der neuen deutschen Diplomatie hat entsprechende Resultate erzielt.

Strahlend hebt sich dagegen das Bild der von Hitler mit allen üblen Mitteln bekämpften Vertreter der sittlichen Gegenmächte ab!

„Der Münsterer Bischof Graf Galen hat“ — wir zitieren h'ier die Aufzeichnungen Hassels wörtlich — „im Juli und August (1941) höchst unerschrockene

Predigten gegen die Kirchenverfolgungen und den Geistesschwachenmord gehalten, in einer bisher unerhört freimütigen Sprache über die Rechtlosigkeit und die Methoden der Gestapo gesprochen. Himmler hat ge kocht und sofortiges sdiärfstes Vorgehen — angeblich Erschießen — beantragt. Über flehentlidies Bitten des Reichskirchcn-ministers Kerrl fand Hitler es dann doch ratsam, mit Rücksicht auf den Krieg, die Kirdienverfolgungeti abzustoppen. Bisdtof Galen wurde damals vorläufig auf Münster konfinier t.“ N

Mannigfjrdie interessante Liditer -fallen auf Österreich und die hier damals handelnden Personen, wenn Hasse! anläßlich eines Zusammentreffens mit Glaise-Horstenau um Mitte September 1939 vermerkt, daß Glaise erzählte, bei einer Volksabstimmung in Österreich würden jetzt nicht mehr zehn Prozent für Hitler stimmen, was die bekannte diktatorische Abstimmung von 1938 in die richtige Beleuchtung rückt. Zweifellos kann man es aber Glaise zugute rechnen, daß ter den kroatischen „Marschall“ Kwaternik in schärfster Weise wegen der durch die Ustascha begangenen furchtbaren Greuel zur Rede stellte, und was noch mehr bedeutete, darüber berichtet hat.

Ein Empfang in Wien enthüllt den Parvenü S c h i r a c h : „Er hat es sich zur Parole gemacht“, erzählt Hassel, „in allem den Unterschied zu Bürckels Methoden hervorzukehren. Er, dem übrigens die Falschheit auf dem Gesichte steht, markiert den Großzügigen, Verständnisvollen tnd lobte m seiner Rede das Fürstenhaus (die Habs burger), das aus Wien die Hauptstadt einer Weltmacht gemacht habe, und seine hervorragenden Vertreter Maria Theresia und Josef II.... Ab und zu kommt dann der großspurige Parteibonze durch, so wenn er beim Frühstück zwischen Ricci und dem türkischen Botschafter unbekümmert -allerhand Papiere studierte, die jhm überflüssiger- aber wohlberechneterweise gebracht werden. Es wurde vom kaiserlichen Porzellan und Silber, von Lakaien in kaiserlicher Livree serviert — eine Geschmacklosigkeit, die den General Bardolff zu resigniertem Kopfschütteln veranlaßte.“ ... Bei einem Empfang im Wiener Rathaus ließ sich dann Schirach die Gäste wie ein Souverän durch einen mit Fangschnüren geschmückten und den Namen des jeweils Vorzustellenden flüsternden Adjutanten präsentieren.

Die Aufzeichnungen Hassels, die Summe der Beobachtungen eines klarblickenden und hochbefähigten Mannes, kann man nur mit Erschütterung aus der Hand legen — Erschütterung wegen des Ausmaßes an“ Unfähigkeit, Frivolität und Verbrechertum, das eines der mächtigsten und wichtigsteh Länder der alten Welt binnen wenigen Jahren in den Abgrund geführt hat.

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