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„Hie Stauffenberg - Hie Remer!“

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VII. Auflösung einer irrigen Alternative

„In Deutschland lebte eine Opposition... die durch ihre Opfer immer schwächer ward, aber zum Edelsten und Größten gehörte, was in der politischen Geschichte aller Völker je hervorgebracht wurde.“ (Winston Churchill)

Generalleutnant von Hase hatte seinen Kommandeuren nach 16 Uhr mitj,-'teilt, daß Hitler schwer verunglückt, wahrscheinlich tot sei. Remer erhielt den Auftrag, mit dem Wachregiment das Regierungsviertel zu zernieren. Er erschien etwa eine Stunde später in der Stadtkommandantur, meldete seinem General den Vollzug des Auftrages, machte sich neuerdings auf den Weg, um, wie er sagte, für eine „verstärkte Absperrung des Gebietes nördlich des Anhalter Bahnhofes“ Sorge zu tragen, für die er schon früher stärkere Kräfte als notwendig bezeichnet hatte. Warum wollte er gerade dort stark sein? Die Antwort ist für jeden, der Berlin kannte, recht einfach, war doch in diesem Planquadrat das Reichssicherheitshauptamt gelegen! Daraus ergibt sich, daß Remer genau wußte, wo der Gegner des Heeres • stand, es ergibt sich ferner, daß er entweder bis zu diesem Zeitpunkt loyal an dem in verschwommenen Konturen bereits erkennbaren Vorhaben mitarbeitete — und dafür spricht, daß er anfänglich den Beschwörungen Hagens etwas mürrisch gegenüberstand — oder seinen General durch diese Disposition in Sicherheit wiegen wollte, was wieder der späteren Handlungsweise entspräche.

Zwischendurch scheint aber Remer durch einen weiteren Vorfall stutzig gemacht worden zu sein, wurde ihm doch die Uebergabe der Reichskanzlei von Gruppenführer Albrecht mit dem Hinweis, daß Hitler lebe, abgelehnt. Inzwischen war Hagen mit Remers Einverständnis bei Goebbels gewesen, war von dort in die Stadtkommandantur geeilt (17.30 Uhr), wo Remer gerade bei Hase Meldung erstattete. „Vor dem Zimmer des Generals bin ich zurückgeschreckt“, wird Hagen später schreiben. Da ihn also dort die Courage verließ, schickte er zwei Leutnants mit der heimlichen Botschaft zu Remer, daß Goebbels ihn innerhalb von zwanzig Minuten erwarte und, wenn er nicht käme, die Stadtkommandantur stürmen lassen würde!

Wir nähern uns dem entscheidenden Augenhlick! Halten wir fest, was Remer bisher wissen mußte: 1. daß ein Konflikt zwischen Heer und Partei bevorstehe; 2. daß auf der Gegenseite Kräfte mobil gemacht werden — es mag sogar sein, daß es Remer bekannt war, daß die „Leibstandarte“ im Raum Berlin verfügbar war. Halten wir fest, was er nicht wissen konnte: ob der Eidträger lebe oder nicht! Tritt nun Remer loldatisch-gerade vor seinen General, erstattet er Meldung von der Weigerung Albrechts, die Reichskanzlei zu übergeben, und von der militärischen Drohung Goebbels', die Stadtkommandantur stürmen zu lassen? Sagt er: „Herr General es geht um Ehr' und Fahneneid“? Legt er seinen Gewissenskonflikt dar? Nichts von alledem, er entfernt sich unauffällig aus dem Zimmer des Generals, berät sich flüsternd mit seinem Adjutanten, verläßt heimlich die Stadtkpmmandantur, ohne seinen Kameraden dort wenigstens im Nachhinein eine Warnung zukommen zu lassen, kurz, er benimmt sich genau wie ein vorsichtiger Mann, der in einem ausgebrochenen Staatsstreich die Seite wechselt. Dazu gibt er, verpflichtenderweise, noch seinen Kommentar, und zwar sagt er wieder nicht: „Jetzt geht's um den Schwur“, er sagt auch keinesfalls: „Jetzt geht's um Deutschland“, nein, er sagt viel nüchterner: „Jetzt geht's um meinen Kopf!“ Und die Köpfe der Kameraden?

Es ergibt sich die Frage, ob Remer, nachdem er sich befehlswidrig zu Goebbels begeben hatte, nochmals in den Schoß der Heerespartei hätte zurückkehren können. Wohl kaum, nicht allein, weil er seine Stellung dort entscheidend diskreditiert hatte, sondern aus dem viel gewichtigeren Grund, daß Goebbels ihn nicht hätte ziehen lassen. Denn wenn Goebbels drohen konnte, daß er die Stadtkommandantur stürmen lassen werde, dann mußte er auch genug Truppen greifbar haben, um Remer und seiner kleinen „Hausmacht“ von zwanzig Soldaten den Rückweg zu verlegen. Man kann eben bei Staatsstreichen die Seite wechseln, aber keine Hin- und Rückfahrkarten lösen.

Im übrigen wollte es das Schicksal, daß Remers Leben später noch für Augenblicke in der Hand der Unterlegenen ruhen sollte, um deren Schicksal Remer selbst so wenig Sorge getragen hatte. Aber der Generalleutnant von Hase formulierte seine Aussage vor dem Volksgericht mit großer Sorgfalt so, daß Remers Haltung eindeutig und führertreu erschien. Seinem Sohn Alexander gegenüber aber hat der schon vom Tode gezeichnete Mann bitter Klage über Remer geführt, der „doppelt abgefallen sei“.

Hält man sich diese Tatsachen vor Augen, so scheidet auch bei Remer das Eidmotiv aus. Das berühmte Gespräch, das er — vermutlich nach 19 Uhr — mit Hitler führte, erfüllte nur eine bereits vollzogene Wendung mit verstärkter Aktivität. Und im Grunde kann es nicht weiter verwundern, daß Remers Verhalten dama' nicht unter einem sittlichreligiösen Primat stand, hatte doch seine scharf antichristliche Einstellung bei vielen seiner Kameraden Aergernis hervorgerufen. Wir stoßen hier nur wieder auf jene schon eingangs erwähnte Eigentümlichkeit, daß die Männer, die in diesem Zusammenhang dauernd den Eid im Mund führen, religiös indifferent oder areligiös sind, während die Verschwörer des 20. Juli von einer tiefen und ergreifenden Gläubigkeit erfüllt waren Wie läßt sich dieser Widerspruch erklären? Wohl nur daraus, daß den Verschwörern innere Zusammenhänge offenbar geworden sind, von denen die anderen mit dem Blick von außen nach innen keinerlei Ahnung hatten.

Nun muß jede Analyse des Soldateneides mit der Feststellung beginnen, daß ihm erstens religiöse, zweitens staatspolitische Bedeutung zukommt. Um mit letzterer zu be--ginnen, ist es von Nutzen, sich den Kommentar der damaligen militärischen Handbücher in Erinnerung zu rufen. Dort steht: „Der Fahneneid ist die Verpflichtung des deutschen Mannes, sich' jederzeit mit Leib und Leben für den Führer, für Reich und Volk nach den Pflichten des deutschen Soldaten einzusetzen.“ Der Führer, dem man also Treue gelobte, aber war selbst durch einen zeitlich vorangegangenen, vor Hindenburg geleisteten Eid verhalten, „seine Kraft für das Wohl des Volkes einzusetzen, die Verfassung und die Gesetze des Reiches zu wahren ... und seine Geschäfte gerecht gegen jedermann zu fun-, ren“. Jedes dieser Gelöbnisse aber wurde gebrochen. Die Verfassung wurde bereits verletzt, als nach dem Tod Hindenburgs die Position von Staatsoberhaupt und Regierungschef vereint wurde, zur Zeit des zwanzigsten Juli aber besaß Hitler überhaupt kein legales Mandat mehr, da er nicht berechtigt war, das „Ermächtigungsgesetz“ durch ein Dekret zu verlängern/Die Gesetze, die natürlich den Mord verbieten, wurden zum erstenmal anläßlich der Röhm-Affäre gebrochen, die Verpflichtung, die Geschäfte „gerecht gegen jedermann“ zu führen, hätten keinerlei Sondergesetze gegen die Juden zugelassen, und was den Passus „seine Kraft für das Wohl des Volkes einzusetzen“ anbelanet, so tut man am besten, ihm den Ausspruch gegenüberzustellen, den Hitler Speer gegenüber getan hat: „Es ist nicht notwendig, auf die Grundlage, die das Volk zu seinem primitivsten .Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil, es ist besser, diese Dinge selbst zu zerstören!“

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