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Die Front der Erinnerung

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Die kleine Stadt in den Bergen ist übervoll. Meldeköpfe an den Einfallsstraßen, Richtungsweiser .....Divisions-Begleitkompagnie“ ... „Feldersatzbataillon“ ... „Feldkriegsgericht“ ... „Feldgendarmerie“ Ein Soldatentreffen, wie sie nun immer häufiger und in größerem Umfang stattfinden. Was steht dahinter? Reiner Kameradschaftsgeist? Eine noch im Dunkel wirkende Organisation, die letzten Endes politischen Zwecken dienen soll? Oder soll nur noch einmal eine vergangene Welt aufgebaut werden, damit sich in ihren grausigen Kulissen die alten, liebgewordenen Machtverhältnisse zum letzten Male schemenhaft einspielen? Und was mag in den Berichten der Agenten stehen, die die ausländischen Mächte stets zu solchen Treffen entsenden?

Man wird dem ganzen hier auftauchenden Problemkreis kaum gerecht werden können, ohne sich grundsätzlich mit den Fragen soldatischer Existenz und Wertung auseinanderzusetzen. Dies aber ist vielleicht das heikelste Thema, das man überhaupt anfassen kann: Millionen Gefallener, Gefangener ... Angehöriger '... die schönsten Jahre ... das furchtbarste Opfer ... daher eine ins Maßlose gesteigerte, aber keinesfalls unbegreifliche Empfindsamkeit. Laßt uns also behutsam, aber doch nicht feige vorgehen! Versuchen wir nicht aus tödlichem Stolz hochzufahren, sondern uns mit nüchterner Demut um die Wahrheit zu bemühen!

Ich glaube, viel des Nachkriegsmißverständnisses ist aus der Ansicht entstanden, daß die Soldaten einen ideologischen Krieg geführt hätten. Dies war indes keineswegs der Fall. Die alte Welt, in der der eingezogene Zivilist gelebt hatte, zerbrach, seine Persönlichkeit wurde bewußt aufgebrochen, allmählich entstand eine neue Welt mit neuen Werten. Hatte es früher zwei maßgebliche Kreise, den familiären und den allgemeinen (Gemeinschaft, Volk, wie immer man es nennen will) gegeben, so entstand nun als neue, größenordnungsmäßig zwischen den beiden liegende, hauptbetonte Lebenssphäre: die Einheit. Der deutsche Soldat und mit ihm erst recht der Oesterreicher in der deutschen Wehrmacht, kämpfte nicht für die NS-Ideologie (jedenfalls in seiner überwältigenden Mehrheit nicht), er kämpfte aber auch nur in einem sehr übertragenen, letztendlichen Sinn für Deutschland, er kämpfte, wie die Soldaten der anderen Nationen auch, mit, in und für seine Einheit. Zweifelsohne wären uns unendlich viele Mißverständnisse und Ressentiments erspart geblieben, hätte man nur diese fundamentale Tatsache zeitgerecht begriffen! War aber das Erlebnis des Krieges kein ideologisshes, so muß logisch gefolgert werden, daß die Masse der Soldaten einfach die allgemein verbreiteten Meinungen widerspiegelt. Dies ist in der Tat auch der Fall, selbst die von den Frontsoldaten gern zur Schau getragene Haltung: „Wir kennen den Krieg, sind daher mehr für den Frieden als die anderen“, stimmt im Grunde nicht ganz. Viele Zivilisten stellen sich den Krieg als pausenlose Hölle vor, was mit der Erinnerung der Soldaten nicht ganz übereinstimmt. Als zusätzliches Argument ließe sich hier natürlich anführen, daß die deutschen Soldatenverbände nach dem ersten Weltkrieg zweifellos die zum Kriege treibenden Impulse verstärkt haben — unvergessen der Tag, an dem der Stahlhelm nicht Hindenburgs, sondern Hitlers' Präsidentschaft unterstützte!

Aber man muß sich hüten, daraus voreilige Schlüsse zu ziehen. Der durchschnittliche Soldat war auch damals nichts weniger als kriegslüstern, seine Loyalität, sein Kameradschaftsgeist war nur von politisch denkenden Funktionären mißbraucht worden. Suchen wir also aus diesen Ueber-legungen Schlußfolgerungen zu ziehen, so ergäbe sich zunächst eine allgemeine Forderung: Nie mehr dürfen Soldatenverbände ins politische Spiel eingeschaltet werden. Im besonderen österreichischen Fall aber müssen wir noch hinzufügen: Soldatenverbände und die von ihnen veranstalteten Treffen müssen in einem Geist abgehalten werden, der nicht im Widerspruch zu jenen Thesen steht, mit denen man Oesterreichs Lebens- und Freiheitsansprüche vor der Weltöffentlichkeit verfochten hat und verficht. Es ist nun von Interesse, mit diesen zwei Hauptgrundsätzen ausgestattet, die diversen Soldatentreffen und die dahinterliegende Organisation zu untersuchen. Hiebei zeigt sich, daß der rein äußerliche Verlauf der meisten Veranstaltungen recht ähnlich ist. Ueberau besteht ein gesundes und gutes Bestreben, den offiziellen Teil kurz zu halten. Der erste Abend ist einer Begrüßungs- und Gedenkstunde vorbehalten. Zwei, vielleicht drei Redner ... ein mit einfachen Mitteln würdig gehaltener Rahmen. Steht man da inmitten der ehemaligen Soldaten, so wird man plötzlich von der Ansicht überkommen, daß hier ein menschliches Uranliegen vorliegt: die Nachgestaltung, Symbolhaftmachung und damit Ueberwindung des gewaltigen, hinter einem liegenden Erlebnisses. Die Verhinderung dieses Aktes mit polizeilichen oder sonstigen Mitteln mutet als Widersinn an; greift man nämlich in diese Prozesse störend ein, so stellen sich erfahrungsgemäß Verdrängungen ein, die schwerer erfaßbar, aber im, Grunde genomnien gefährlicher sind.

Der Gedenkstunde schließt sich das kameradschaftliche Beisammensein an; ihm dienen die eingangs erwähnten Weisungstafeln — schon die Division ist ja ein so großer Verband, daß nur eine Aufgliederung das planmäßige Sichfinden möglich macht. Daß hiebei Offiziere und Mannschaft unter sich bleiben, mag die Dogmatiker der Egalität verstimmen; aber, wie immer man nun denkt, es ist schwer, sich der Tatsache zu verschließen, daß ein solches Treffen doch nur alte Zustände widerspiegeln kann. Ein wenig seltsam mutet es allerdings an, wenn unlängst ein Redner auch den Himmel noch nach Rang und Spiegel graduierte und von den „Generälen, Offizieren und Jägern“ sprach, die in den lichten Gefilden weilten ... Um aber wieder auf irdische Verhältnisse zurückzukehren: Es steht natürlich dem ehemaligen Landser frei, sich neben den Tischen des „Divisionsstabes mit Ehrengästen“ niederzulassen und dabei die allgemein menschliche, aber nur im Nachhinein tröstliche Beobachtung zu machen, daß all diese imponierenden Gestalten, so man sie nur ihrer furchtbaren Gewalt entkleidet, auch noch harmlose Schnitzelesser sind. Er wird sich nur in den Gasthöfen, wo er die Männer seiner Kompagnie treffen kann, wohler fühlen. Hier und im Gedränge auf der Straße, wie auch oft schon auf den Bahnhöfen, ergeben sich jene Wiedersehensszenen, die das emotionelle Herzstück des Ganzen darstellen.

„Ernst, bist du's wirklich?“

„Max, ja du bist's und kein anderer ..- Max, altes Schwein ...“

Ja, auch das „alte Schwein“ — aber im übrigen haben die neun Jahre die Grobintimität des Soldatendaseins irgendwie abgeschwächt, während in unsicheren Fällen mehr die Einheit als der Kampfort von Erinnerungswichtigkeit erscheint. „Du warst doch bei der siebenten ...“, heißt es hundertmal öfter als „Waren wir nicht zusammen in Narvik?“. Des alten Jargons bedient man sich zwar noch, aber jetzt wirkt er ein bißchen komisch, unwirklich. Kommandoworte hört man\ unter Anführungszeichen, es ist ein wenig so, als wollte man sagen: „War ja nie so, wie die da glauben machen wollen, nicht wahr, Kamerad?“, und der Kamerad (längst eingesponnen in den Verniedlichungsprozeß des Kommiß) grinst sein „Niemals“ zurück. Aber war es wirklich niemals so, Kamerad, wirklich ... ?

Der nächste Tag bringt dann einen Feldgottesdienst, eine gesellige Veranstaltung, Besichtigungen usw. Abends oder am nächsten Morgen beginnt der Abmarsch der Kriegskameraden, die oft unter beträchtlichen finanziellen Opfern von weither gekommen sind.

Nun hebt in einer kleinen Gruppe von Offizieren fieberhafte Endabrechnung an. Hinter dem erstaunlich gut funktionierenden Treffen steht zumeist nur eine lose Organisation. Zuerst trafen sich da und dort ein paar Offiziere, dann weitete sich der Kreis, eine große Korrespondenz, der Versuch einer Evidenzhaltung setzte ein, ein kleines Treffen wurde abgehalten, bei dem allein die vom Suchdienst erzielten Ergebnisse die Erwartungen übertrafen, ein größeres Treffen wurde geplant. Monatelange, freiwillige Arbeit ist dazu vonnöten, ein gewisses finanzielles Risiko muß von den einzelnen Offizieren getragen werden. Selbst wenn, wie es meist der Fall ist, alle Arbeit kostenlos geleistet wird, müssen mindestens 15,000 S bar ausgegeben werden, ehe die Sache ins Rollen kommen kann. Wie kommt dieser Betrag herein? Nun, gewöhnlich werden Abzeichen verkauft, die die Kosten decken, oft einen kleinen Ueberschuß für weitere Bemühungen zurücklassen. Nehmen wir an, es kommen 5000 ehemalige Soldaten zusammen und kaufen ebensoviel Abzeichen, ä 5 S, so würde ein Ueberschuß von 10.000 S verbleiben, der keinesfalls allmählich aufgefüllt wird, da ein Mitgliedsbeitrag von den Mitgliedern der Division nicht eingehoben wird. Mitgliedsbeiträge hebt nur der „Oesterreichische Kameradschaftsbund“ ein, der im Grunde andere Aufgaben hat und nur aus formellen Gründen bei manchem dieser Treffen als Veranstalter fungiert. Es liegt auf der Hand, daß eine so lose Organisation (die überhaupt nur funktionieren kann, weil dahinter der Generalstabsverband steht), die notabene nur über ganz knappe Mittel verfügt, von vornherein ein Garant dafür ist, daß keine verborgenen, auf lange Hand abgestimmten politischen Pläne vorliegen können.

Hiemit können wir uns unserer zweiten Forderung zuwenden, daß die Soldatentreffen in einem Geiste abgehalten werden, der Oesterreich und seine Position in der Welt auf keinen Fall kompromittiert. Hier nun erweist es sich, daß, so ähnlich die Treffen in ihrem äußeren Verlauf auch überall sind, der Takt und das Feingefühl der Veranstalter doch einen großen Unterschied aufweist. Hier könnte man das ganz harmonisch verlaufene Treffen der ehemaligen 2. Gebirgsjägerdivision in Zell am See, dem schon in der Anlage weniger glücklichen, schließlich verbotenen Wiedersehen des ..Panzerkorm Großdeutschland“ — es war für Linz vorgesehen— gegenüberstellen. Dabei muß betont werden, daß eine rein negative behördliche Maßnahme letzten Endes nur eines beweist, daß man sich um positive Einwirkung zuwenig oder zu spät bemüht hat. Daß die Spitzenfunktionäre des Landes Einladungen, bei solchen Treffen grundlegende Reden zu, halten, akzeptieren, sollte nur- der letzte Akt einer überlegten, verständnisvollen Fühlungnahme sein. Was auf diesem Gebiet geleistet werden kann, zeigt wohl die stets wie aus einem Guß wirkende Haltung des Salzburger Landeshauptmannes Dr. Klaus.

Damit sei die Schuld1 an dem Linzer Konflikt keinesfalls ausschließlich den Behörden zugeschoben. Allein die Erklärungen, die dortige Veranstalter nachher abgaben, scheint ein Schulbeispiel für all das, was in diesem Zusammenhang unter allen Umständen zurückgewiesen werden muß. Hat man es doch fertig gebracht, eine kaum belegbare Beschuldigung auszusprechen; sie lief darauf hinaus, daß man das Treffen auch verboten hätte, um die Aufdeckung von Verbrechen, die in den Tagen vor und nach der Kapitulation von „Zivilisten mit Armbinden“ an Wehrmachtsangehörigen verübt worden seien, zu verhindern. Nun, in jenen wirren Tagen ist vieles und Grausiges geschehen. Es muß hier füglich gefragt werden, ob es im Interesse solcher Institutionen liegt, noch einmal die Erinnerung an jene böse Zeit, die Erinnerung an die letzten Brückensprengungen und an das letzte Wüten der Feldgendarmerie und der Standgerichte wachzurufen. Auch die um fünf Minuten vor und nach zwölf Erschossenen und Justifizierten — unter ihnen nicht wenige, denen Oesterreich und seine Freiheit mehr galt als der in den letzten Zügen liegende Hitler-Krieg — sind nämlich nicht heimgekehrt ...

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