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Randhemerhungen zur woche

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Die große Weltpresse hat plötzlich Österreich entdeckt. Während vor allem Wien bisher den ausländischen Journalisten in erster Linie als Beobachtungsposten diente, von dem aus man wie durch einen Schlitz hinter den Eisernen Vorhang zu spähen hoffte, und selbst der Wahl-bewegung des vergangenen Jahres in den ausländischen Blättern nur geringer Raum zugestanden wurde, sind die englischen und französischen Blätter nun auf einmal voll mit Berichten über Österreich, senden die großen Zeitungen Norditaliens ihre besten Federn als Sonderberichterstatter nach Wien und in die Bundesländer. Die meisten dieser Berichte allerdings scheinen nach dem Rezept des erfolgreichen, von Engländern in Wien gedrehten Kriminalfilms „Der dritte Mann“ verfaßt. Österreich als Schauplatz eines gigantischen internationalen Spionagekrieges, als Land der Furcht, des Terrors und der Zensur, Wien, die „sterbende Märchenstadt“, Ruinenromantik, Schwarzhändel zwischen Ost und West, dazwischen, leise aufklingend wie die Zitherbegleitung in dem genannten Eilm, klagende Melodien vom einstigen Glanz, von verklungener Walzer- und Heurigenseligkeit. Und schließlich alarmierende, phantastische Sensationsmeldungen, wie jene vom Beginn der vergangenen Woche in französischen und italienischen Blättern über Unruhen, bevorstehende Umsturzversuche und drohenden Belagerungszustand. Es ist gewiß zu begrüßen, wenn in so tragisch-eklatanter Weise wie durch den „Fall Liberda“ dem Ausland wieder einmal eindringlich vor Augen geführt wird, was unser „befreites“ Land heute, fünf Jahre nach Kriegsende, noch immer erdulden muß. Aber es wäre im Interesse der Wahrheit und im Interesse Europas, zu dem ja schließlich auch unser so mißhandeltes Land gehört, doch zu wünschen, daß ein Thema, das in diesen Berichten nur am Rand berührt wird, stärker in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gehoben würde: daß hier nämlich eine Bevölkerung lebt, die trotz aller Schikanen, trotz aller Unsicherheit und Ungunst der Zeit, trotz der Last der vierfachen Besatzung sich leidenschaftlich bemüht, wieder normale, menschenwürdige und lebehswerte Verhältnisse herzustellen. Ein Volk, das Ruhe, Ordnung und sozialen Frieden bewahrt — woran sich manches andere, glücklichere Land Europas ein Beispiel nehmen könnte — und das sich schließlich,, und nicht zuletzt auch durch sensationelle ausländische Alarmmeldungen, nicht im Wiederaufbau stören läßt.

Nach dem Ende der großen, ausgedehnten Budgetdebatten hat sich das Schwergewicht der parlamentarischen Arbeit wieder in die Ausschüsse des Nationalrats verlegt. Eine Anzahl von Regierungsvorlagen wartet hier der Prüfung, Bearbeitung, vielleicht auch einer Korrektur. Vieldiskutierte Entwürfe sind unter ihnen, wie jener, der den Schutz der Jugend, vor den unter dem Namen „Schmutz und Scliund“ bekannten Abfällen der bruckerpresse endlich Gesetz Vierden läßt. Aber auch andere sind dabei, von denen die Öffentlichkeit bisher wenig Notiz nahm. Einer von diesen: der Referentenentwurf zu einem neuen H oäh-Schülerschaftsgesetz. Die, denen es die gesetzlichen Grundlagen zu ihrer Standesvertretung geben soll, haben daran wenig Freude. Im Gegenteil. Die Hoch-schüler, gleichgültig welcher politischen Uberzeugung, haben einmütig dagegen 'Stellung bezogen, da der vorliegende Entwurf der studentischen Interessenvertretung den Charakter einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft nimmt und die ge-ivähUen Siudentenvertreter — nach Ansicht der Studenten — in ein zu Hgoroses Disziplinarverhältnis zu den akademischen Behörden versetzt. Eine Studentenangelegenheit, eine Hochschulfrage, von allein lokaler Bedeutung für den akademischen Boden? Vielleicht aber auch mehr. Die Hochschulen waren durch Jahrzehnte ein gefährdetes Territorium unseres Staates gewesen. Seit 1945 war eine neue, bewußt österreichische Studentengeneration bemüht, sich eine Selbstverwaltung und Interessenvertretung zu schaffen, die vielleicht sogar den Ansatzpunkt zu einer in der heutigen Zeit so notwendigen Standes-vertretung der sozialbedrückten Akademikerschaft bilden könnte. Man sollte diese Arbeit nicht durch einige Federstriche in Frage stellen, man müßte eigentlich die Bestrebungen der positiven österreichischen Kräfte in der jungen Generation fördern, wo immer man sie trifft. So allein entzieht man am besten, am erfolgreichsten den um die Jugend werbenden Radikalismen den Boden.

Der österreichische Finanzminister hat dieser Tage mitgeteilt, daß man daran denke, den steuerfreien Betrag für N eb e neinkommen von 1200 auf 2400 Schilling zu erhöhen. Das ist eine Nachricht, die man mit Vergnügen hört, denn diese kleine Änderung des bestehenden Besteuerungssystems wird den geistig Schaffenden unseres Landes ihre meist ohnehin prekäre Lage wesentlich erleichtern helfen; Gelehrte werden in Zukunft kleinere Arbeiten ohne Angst vor progressiven Steuersätzen veröffentlichen können und viele Angehörige akademischer Berufe ihr schmales Häushaltsbudget immerhin durch einen kleinen Nebenerwerb verbessern dürfen — ohne daß schließlich die größere Ausnützung ihrer Arbeitskapazität nur dem Finanzamt zugute käme, wie dies bis jetzt in beklagenswert häufigen Fällen geschah. — Es ist kaum zu leugnen, daß sich seit dem Amtsantritt des neuen Finanzministers die Steuerpolitik gegenüber den geistigen Berufen wesentlich maß- und verständnisvoller zeigt, als man es erhoffen durfte. Freilich — dies sei als Küriosum angefügt — so weit wird es bei uns nicht Ixommen, wie es kürzlich in Brasilien kam. Dort nämlich unterzeichnete der Staatspräsident vor einigen Wochen einen Erlaß, der allen geistigen Berufen volle' Steuerfreiheit gewährt. Brasilien ist das erste Land der Welt, in dem sich solches ereignete; es witd noch längere Zeit das einzige sein.

„Ein tastender Versuch, wie man dem Theater helfen kann“:' so nannte Bürgermeister Körner den Hilfsplan der Stadt Wien, den diese im Einvernehmen und mit Beihilfe des Unterrichtsmihlstetium's zur Stützung der wiener Privattheater entwickelt hat. Das Rezept ist bekannt: zwei Millionen Schilling aus Kül-türgrösche'netträgnissen Werden also bis August sechs, d'änn fünf Wienet Bühnen zur Verfügung gestellt, und zwar so, daß immer Gruppen v'on 25 Personen die Kütten um ein Drittel ermäßigt erhalten. Der Tagesvorteil liegt also offensichtlich bei jenen Gruppen, die bereits über feste Publikumsorganisationen verfügen. Der Ruf nach einem Zusammenschluß aller weltanschaulich auf christlicher Grundlage stehenden Verbände zu einer Organisation, vergleichbar der vor 1938 sehr gut funktionierenden christlichen Kunststelle, ist also verständlich. Das aber ist nur ein Problemkreis. Eine andere Frage ist, inwieweit durch diese indirekte Subventionierung das gute, wertvolle, literarisch hochwertige Stück gefördert wird, da es ja nunmehr noch stärker als bisher von der Propagandakunst und dein schwanken Willen der Massen abhängig wird, dieses oder jenes Stücfc dütch den Besuch zu fördern. Die Wiener Privatbühnen, die gegenwärtig bei einem Schuldenstand von 7,5 Millionen Schilling angelangt sind — von 11.110 Sitzplätzen bleiben gegenwärtig täglich mehr als die Hälfte leer —, hatten bereits erklärt, daß sie, wenn es so weitergehe, Ende März ihre Tore schließen müssen. Wird ihnen der gemeinde- und bundesamtlich konzessionierte Tropfen helfen? Wird über Nacht ein neuer Kulturwille in Wiens Bevölkerung erwachen? Ungelöste Fragen... Und noch eines: der Toto schöpft wöchentlich drei Millionen Schilling von der Sozialsubstanz ab, gerade jene Summe, die statistisch nachweislich der Wiener Bevölkerung in ihrem schmalen Haushaltsplan für „kulturelle Genußmittel“ zur Verfügung steht. In Summa: die Krise des Theaters läßt sich nur dann wirksam behandeln, wenn man es wagt, der ganzen Kulturkrise, der Krise der Gesellschaft, des Menschlichen, des Volkskörpers ins Auge zu sehen. Davon aber sind wir noch weit entfernt. „

In Frankreich und Italien wird zur Zeit das Prinzip des Streiks ad absurdum geführt. Aus einer Waffe der wirtschaftlich Schwächeren im Kampf um günstigere Lohn- und Lebensbedingungen ist eine Waffe im nicht nur innenpolitischen Kampf geworden, deren Einsatz keineswegs mehr dem Interesse der arbeitenden Bevölkerung dient. Das gilt ebensosehr von den durch die kommunistisch geführten Gewerkschaften in Frankreich anbefohlenen Streiks gegen die amerikanischen Waffenlieferungen wie noch mehr von den Arbeitsniederlegungen und Unruhen in Italien, die von dem kommunistischen Gewerkschaftsführer Di Vittorio als Protest gegen die Sicherheitsvorkehrungen der Regierung anbefohlen wurden. Bezeichnend, daß sowohl in Frankreich wie in Italien die freien sozialistischen wie christlichen Gewerkschaften diesen Mißbrauch gewerkschaftlicher Kampfmittel zu parteipolitischen Zwecken schärfstens verurteilen. Wie wenig es sich bei den nach einem weltweiten Plan anbefohlenen Streikbewegungen und Unruhen im Grunde um eine Angelegenheit des betreffenden Landes handelt, beleuchtet schlagartig die Tatsache, daß die Schmährede gegen die aus „unfähigen, verantwortungslosen Provokateuren“ bestehende italienische Regierung, die Togliatti im kommunistischen Zentralorgan veröffentlichte, durch die sowjetische Nachrichtenagentur „TASS“ über die ganze Welt verbreitet wurde.

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