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Randbemerkungen zur woche

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„STILLE ZUSCHAUER EINER NAHEN, ALLES UMSTÜRZENDEN KATASTROPHE“? Mit dieser Warnung wendet sich Papst Pius XII. in seiner Vorfastenansprache an die Römer. Das verklungene heilige Jahr soll, wie der Heilige Vater ausführt, „nicht einem zwar glänzenden, aber flüchtigen Meteor gleichen“. „Jetzt ist es Zeit, geliebte Söhne und Töchter, es ist wirklich Zeit, entscheidende Schritte zu unternehmen. Es ist Zeit, die verhängnisvolle Lethargie abzuschütteln. Es ist Zeit, daß alle Guten, denen das Schicksal der Welt am Herzen liegt, sich einander nähern und sich aufs engste zusammenschließen.“ Der Papst gibt die Losung aus: „Kraftvolle religiöse Erneuerung in eurem gesamten Tun und Denken. Religiöse Erneuerung, sagen Wir, die alle ohne Unterschied erfaßt, Klerus und Volk, sowie alle, die in führender Stellung stehen, die Familien, jedwede Gemeinschaft und jeder einzelne. Tiefgreifende religiöse Erneuerung des christlichen Lebens, sagen Wir, durch Verteidigung der sittlichen Werte, Durchführung der sozialen Gerechtigkeit, Wiederaufbau der christlichen Ordnung…“ „Bleibt euch stets bewußt, geliebte Söhne und Töchter, daß die Wurzel der heutigen Übel und ihre verhängnisvollen Folgen nicht wie in vorchristlichen Zeiten oder wie in heidnischen Ländern unverschuldete Unkenntnis der auf die Ewigkeit hingeordneten Ziele des menschlichen Lebens sind oder auch Unkenntnis der eigentlichen Wege, die dahin führen. Nein, heute ist es die Trägheit des Geistes, die Schlaffheit des Willens, die Kälte des Herzens,..“ Es liegt nahe, bei diesen ernsten Worten an die sozialen Spannungen in den westeuropäischen Ländern, an ihre neuen nationalistischen Entzweiungen zu denken — überall sind hier Katholiken mitverantwortlich, ja, nicht selten erstverantwortlich an der Regierung beteiligt. Näher aber noch muß uns in Österreich, die wir seit Wochen in den Vorbereitungen des gesamtösterreichischen Katholikentages stehen, diese Botschaft daran gemahnen, daß sie Wort für Wort, Satz für Satz für uns gilt. Unter ihrem Gericht und unter ihrer Verheißung steht gerade heute der österreichische Katholizismus. — „Die Hand also an den Pflug!“ — „Stützen werden euch die Gebete der Demütigen und Kleinen, denen eure liebevollsten Sorgen gelten…“ — Das ist christlicher Realismus: die nächstliegende Not zusammen sehen, zusammen erleben mit dem anscheinend Fernsten und Verborgensten, mit der Schau und Kraft der Gnade. Irrtum, Verhängnis, Häresie wäre es, den Ernst ihres Drängens, ihrer Forderung zu überhören.

BITTERE WAHRHEITEN waren es, die von einem hervorragenden Fachmann in der letzten Folge unseres Blattes über die unhaltbare wirtschaftliche Situation der österreichischen Bundesbahnen“ gesagt wurden. Wie ein Alarmruf hörte sich dabei die Tatsache des ständigen Absinkens der vollzahlenden Fahrgäste an. 1947: „noch“ 54 Prozent; 1950: nur mehr 36 Prozent — und' heute? 64 Prozent aller Personen reisen also auf den österreichischen Bahnen heute mehr oder weniger auf Regimentsunkosten… Die praktischen Erfahrungen bestätigen dies, ln den Abteilen der 1. und der 2. Klasse sieht man beinahe überhaupt nur mehr die glücklichen Besitzer von Freifahrscheinen und Regiekarten aller Sorten, und auch in der 3. Klasse zücken, zahlreiche Fahrgäste geheimnisvolle Ausweise, die alle eines zur Folge haben: ihr Besitzer bekommt seine Fahrt aus dem Staatssäckel subventioniert. So aber kann es schwerlich weitergehen. Es wäre sehr interessant, zu erfahren, welche Gedanken man sich an den zuständigen Stellen macht, um die „österreichischen Bundesbahnen“ aus dem Stockgeleise der gegenwärtigen Misere herauszurangieren — zu freier Fahrt.

DEN ERZIEHUNGSKOSTEN FÜR KINDER, die außerhalb des Wohnsitzes ihrer Eltern eine höhere Schule besuchen, wurde bekanntlich durch einen Erlaß des Bundesfinanzministeriums vom 9. März 1951 der steuerliche Charakter einer „außergewöhnlichen Belastung“ abgesprochen. Die „Furche“ hat sich bereits mit dieser Verfügung, die gerade für Familien des Mittelstandes besonders drückend ist, befaßt. Eine andere Regelung fanden, wie nunmehr bekannt wird, die auf dem gleichen Gesetze beruhenden „Lohnsteuerrichtlinien 1952“ der westdeutschen Bundesrepublik. Danach wird Eltern für die auswärtige Unterbringung jedes in Berufsausbildung stehenden Kindes die steuerliche Anrechnung eines Betrages gewährt, der der Hälfte einer Kinderermäßigung gleichkommt. Der deutsche Bundesfinanzminister hat die Erlassung der neuen Richtlinien, die unter anderem auch Freigrenzen für Heirats- und Geburtsbeihilfen vorsehen, mit den Worten begleitet: „Es ist ja bekannt, daß der Arbeitnehmer ein zuverlässiger Steuerzahler ist und daß ihm so manche gesetzliche Ausweichmöglichkeit wie anderen Steuerpflichtigen nicht zusteht.“ Wenn also die sonst noch größtenteils in Gebrauch stehenden „Einkommensteuer- Ergänzumgsrichtlinien 1943“ in dem fraglichen Punkte nicht mehr als maßgeblich anerkannt werden können, so sei das Beispiel unseres westlichen Nachbarn empfohlen: die bisherige Übung durch eine neue, legi- stisch zweifelsfreie Regelung zu ersetzen. In einer Zeit, die die Förderung der Familie, die Hebung des allgemeinen Bildungs- und Ausbildungsniveaus als Kardinalprobleme erkannt hat, müssen Verschlechterungen der bisherigen Gesetzeshandhabungen vermieden werden können. Und warum könnte flicht auch hier der §14 des „Abgabeneinhebungsgesetzes“ Anwendung finden, der seit kurzem zur Vermeidung von „Scheingewinnen“ von Gewerbetreibenden Anwendung findet? Handelt es sich nicht auch hier um die Milderung einer Abgabe, deren Einhebung „nach der Lage des Falles unbillig wäre“?

EINEN UNVORHERGESEHENEN Erfolg kann die Altpapiersammlung der Schulkinder verzeichnen. Ob die zusammengetragenen Papiermengen die Initiatoren dieser „Volksbewegung“ befriedigen, ist nicht bekannt. Uneingeschränkten Dank verdienen die jungen Sammler aber allein für eine Tat: mehr als einmal nämlich wurde beobachtet, daß sie ihren Sammeleifer sogar bis auf jene Häusermauern und Zaunplanken ausdehnten, die ihrem Jagdeifer allerdings reiche Ausbeute versprachen, die noch immer nicht entfernten Plakate und Affichen der Präsidentenwahlen im Frühling vorigen Jahres nämlich. Sechs Monate lang hofften wir, daß Sonne und Regen jene Arbeit tun würden, welche weder öffentliche noch private Stellen zu leisten imstande waren — und jetzt sind es Schulkinder, die eine fast schon staatspolitische Tat setzen…

„ERTÖNT ES AUS DEN KAFFEEHÄUSERN: ,PARIS!', so kann von unserer fßeite nur der Ruf erschallen: ,Moskau!' Brutal und bedingungslos!“ Dieses „Aperęu“ des von Präsident Gottwald als „größter und kühnster“ tschechischer Dichter gefeierten Stanislav K. Neumann könnte als Devise über der Kampagne stehen, die gegenwärtig mit besonderer Heftigkeit gegen den „dekadenten Poetismus“, gegen die westlichen Einflüsse in der neuen tschechischen Literatur“ geführt wird. Alle Waffen dieses Kampfes stammen aus dem Arsenal Radogast Paroleks, aus seiner „Studie über die Bedeutung der Oktoberrevolution für die Entwicklung der tschechischen Literatur“. Die russische Oktoberrevolution hatte — so wird hier behauptet — nicht nur die Entstehung einer selbständigen Tschechoslowakei zur Folge, sie schuf auch für die Kunst, vor allem für die weitere Entwicklung der tschechischen Literatur neue, nie dagewesene Bedingungen, deren Erforschung von der Literaturwissenschaft arg vernachlässigt wurde. Ausgehend von Bjelinskijs Ausspruch, daß ein Künstler, der „reaktionären“ Ideen dient, Verstand und Talent verliere, wird Jaroslav Dury ch — eine deutsche Übertragung seines Buches „Friedland“ erschien im Herold-Verlag — als Anführer einer „zwar zahlreichen, aber an Begabung schwachen Gruppe reaktionärer Schreiberlinge“ dargestellt. Eine breite Darstellung erfährt Karel Cap eks Schwenkung vom „typischen Vertreter der Ideologien eines Masaryk und Beneš“ zum Befürworter einer tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaft. Als tatsächliche Bahnbrecher eines sozialistischen Realismus werden Marie Majerovd und der Redakteur Julius Fuclk, im Bereich der slowakischen Literatur Petr Jilemnick y gefeiert, erweitert wird ihr Kreis durch Vitizslav N e zv al, der dem Surrealismus entsagte. Den vorläufigen Höhepunkt bilden die Romane eines Antonin Zäpotockf — im Hauptberuf Ministerpräsident —, eines Dr da, Rezdč, C ach, während die Poesie noch bei weitem nicht die Breite und realistische Einfalt der Sowjetpoesie erreicht und die Kritik noch mit Wachstumsschwierigkeiten zu kämpfen habe. Vorbild ist hier wie überall die Sowjetunion. Der Dichter Kubek erklärt, daß die Sowjetliteratur ihn in der Muttersprache des humanistischen Sozialismus anspreche, und Marie Pujmd- novd behauptet, daß sie sich nach der Lektüre eines sowjetischen Buches wie nach einem Reinigungsbad fühle, so, als hätte sie Ozon geatmet. Am treffendsten und ehrlichsten wohl hat auf eine Rundfrage der „Lidovė Noviny“ der Schriftsteller Jin Marek geantwortet, wenn er erklärt, daß er ohne Sowjetliteratur sich politisch nicht orientieren könnte ..

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