6554218-1948_12_13.jpg
Digital In Arbeit

Das Zeugnis der Kunst

Werbung
Werbung
Werbung

Simonows Schauspiel „D i e russische Frage“ hat also nun auch, in der Skala, seine Wiener Premiere erlebt. Ein Ensemble, zusammengestellt aus Schauspielern nahezu aller Wiener Bühnen, ver- hilft unter der Regie Günther Haenels durch flotte und eindnicksstarke Darstellung dem Stück zu einem unleugbaren Erfolg.

Die Windmühlenflüge! der Kritik laufen auf hohen Touren. Sehr verschieden das Brot, das in ihren Mül'erstuben gebacken und dem wissenshungrigen Leser verabreicht wird, je nachdem, ob Ost- oder Westwind in der schwülen Hitze der Redaktionsstuben weht. Westler rufen erregt: Ein sowjetisches Propagandastück, ohne jeden künstlerischen Wert, ein politisches äußerst tendenziöses Machwerk ... Eine gewisse Mitte, beschaulicher Muße ergeben, stöhnt empört auf: Pfui, ein politisches

Lied, ein garstiges Lied! — Diese Mitte der taJ'art pour l’art“-Artisten findet es unstatthaft, die Probleme der Zeit zu Problemen der Bühne zu machen. Eine gewisse Linke aber jauchzt, und,wir wollen es ihr nicht verargen, beglückt auf: Endlich ein Theaterstück moderner Sowjetkunst, das wirkungsvoll und bühnengerecht die Thesen der russischen politischen Weltanschauung saft- und kraftvoll zur Darstellung bringt.

Entfernen wir uns jedoch für einen Augenblick aus dem B-ereiqJi dieser großen Windmaschinen und betrachten wir, i m Raum der Kunst, dieses beachtliche Schauspiel. Simonow behandelt ein Thema, das seit zwanzig Jahren von vielen und bedeutenden amerikanischen Autoren selbst rar Debatte gestellt worden ist: die tragische Unmöglichkeit eines Einzelnen, sich als Schriftsteller, Dichter, Bühnenautor und Journalist wider die kompakte massive Tyrannei der großen Mächte der „Geselläs chaft", der Finanz und der Politik durchzusetzen. Als Studenten lasen wir mit heißen Wangen Upton Sinclairs „Goldene Kette“ — eine Geschichte der Weltliteratur anter dem Gesichtspunkt dieses tragischen Ausgeliefertseins der Dichter und Denker,

die einst gezwungen waren und heute mehr denn je genötigt werden, ihre geistige Arbeit auf dem brutalsten Markt, den es gibt, zu verkaufen — auf dem Markt der Geister und der Seelen. Schriftsteller, Dichter, Verleger und Journalisten in aller Welt können dies „Lied von der goldenen Kette" singen... Simonow also läßt es in den USA vorgetragen werden. Harry Smith, ein netter offener Kerl, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, kommt soeben aus dem Weltkrieg Nr. 2 in die Staaten zurück. .Er erhält von seinem Boss, dem Zeitungsherren MacPherson, den Auftrag, ein Buch über, das heißt gegen Rußland zu schreiben Nach dreimonatigem Aufenthalt in der UdSSR und einmonatiger Arbeitszeit soll das Manuskript abgeliefert werden. Smith ist termingerecht fertig. Er hat ein Buch für Rußland geschrieben. Krach, Entlassung, Zerstörung seiner wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und privaten Existenz. Seine Frau verläßt ihn — Jessy ist nun 33 Jahre alt und will ein Kind, sie ist aber zu verarbeitet, zu schwach, um noch einmal mit Harry, von ganz unten auf, ein neues Leben zu beginnen.

Diese Hauptgestalten agieren in einer Welt, die überaus realistisch und lebensnah gezeichnet ist. Es ist die Welt der großen und kleinen amerikanischen Journalisten, die auf Bestellung arbeiten, pro und kontra schreiben, wie ihr Blatt es wünscht und bezahlt. Zumeist recht- brüchige Existenzen, kaum eine von ihnen ist jedoch ganz schwarz gezeichnet: selbst jener Reporter

Hardy nicht, der sich um zehn Dollar für jede x-beliebige Skandalstory verkauft, auch er denkt nicht nur an den Whisky, sondern auch an seine fünf Kinder. Ja, jawohl

— es weht durchaus etwas vom Atem jenes freien alten Amerika der Pionierzeit in diesem Stück. Ein „Ich hab’s gewagt" — wider alle Mächte des Tages und der Zeit.

Nun aber sehen wir uns um und blicken nochmals auf die Bühne und in unsere Zeit. Ein moderner Russe schreibt also ein Stück vom Kampf des freien, nur seinem person-

liehen Gewissen verpflichteten Individuums wider den Terror der „Großen Mächte“. Eine höchst beachtenswerte Leistung. Die ewige Aufgabe großer Kunst — erscheint sie hier nicht durchaus richtig erfaßt? Besteht diese doch darin, Zeugnis abzulegen für alles, was an Schuld und Größe sich im Raum des Menschlichen begibt — um dergestalt im Spiegel ihrer Vorstellung dem Menschen zur Einsicht — und das heißt Uhikehr mahnend, ratend, beschwörend — zu verhelfen: die Katharsis des antiken Dramas! So stellen Aischylos, Sophokles und Euripides ihren Athenern den Zusammenbruch der alten sakralen feudalen Herrschaftsordnung in Fehde, Mord und Blutschuld dar, so hilft Shakespeare dem englischen Volk — als mächtigster Geburtshelfer bei seinem Aufstieg aus dem „Mittelalter" in die „Neuzeit" dadurch, daß er die Kämpfe und Schandtaten des hundertjährigen Bürgerkrieges, Auf- und Untergang seiner Könige zu großen Symbolen der Schuld und Sühne des ganzen Volkes verdichtet. Für Deutschland versucht Friedrich Schiller, dieselbe Mission zu erfüllen: seine Dramen wollen den Übergang aus der engbrüstig gewordenen alten Hemisphäre der Fürsten und Pastoren, der Dutzendhöfe der kleinen Gottkönige in den großen Vorhof der Humanität, der freien Menschlichkeit vermitteln, sie wollen ein Tor aufstoßen in eine neue Welt der Libertät und Liberalität, des freien Bürgers einer innerlich der äußeren Freiheit würdigen Gesellschaft. In diesem Sinne sind alle großen Dramen des Abendlandes zutiefst politische Werke, „Tendenzstücke“, von höchster gesellschafts- und zeitkritischer Bedeutung: sie alle ringen um eine politische und soziale, seelische und geistige Neuordnung im Zerbrechen einer alten, im Aufgang einer neuen Welt. Sie alle aber stehen unter einem Gesetz: Der große, der wahre Künstler und Dichter kann nur Zeugnis ablegen für das, was er selbst erlebt und erlitten hat — sein Pathos, sein Ethos ist nur echt, wenn er von den Konfliken und Kämpfen seiner Welt Zeugnis gibt: als klagende Stimme und als anklagender Ruf, als Mahner und Prophet, als Verteidiger und Ankläger! In concreto: . ein russischer Dichter der Gegenwart kann das Ringen der geistig-schöpferischen Persönlichkeit in seinem Weltraum zu gültigen Sinnbildern hoher Kunst gestalten. Dies ist zum Beispiel geschehen in den Filmwerken vom Leben Gorkijs und anderer großer russischer Menschen vergangener Generationen — ein Thema der Gegenwart wären etwa Leben und Tod Majakowskis, des führenden sowjetischen Lyrikers, der durch Selbstmord endete, aber auch der Kampf der sowjetischen Komponisten um einen Ausgleich zwischen den Forderungen des Staates und dem Aus druckswillen der eigenen Brust. Hic Rho- dus, hic salta! Zu deutsch: Hier, Künstler, Dichtet Journalist lege Zeugnis ab — im Raum deiner Lebenswirklichkeit, deiner konkreten Begegnungen mit den großen Mächten, welche Schicksal und Sälde, Heil und Unheil, Krieg und Frieden der Welt bestimmen! Alles kommt hier auf das innerste Ethos, auf den Charakter an: der

Dichter kann nicht gültiges Zeugnis ablegen für Leid und Verbrechen einer „an-, deren Welt" — verspottet und bespien, einsam und verachtet, gefeiert und mit Kränzen des Ruhms gesdimückt — immer kann er nur für seine Welt, für jene Gemeinschaft, die sein Leben, seine Erfahrungen und Gefahren trägt, einstehen. Im gegenwärtigen weltpolitischen Ringen der Geister kann deshalb auch der Russe nicht für den Amerikaner Zeugnis ablegen. Er kann wohl, und dies ist hier sehr gesdiiekt geschehen, die Taten und Fakten der anderen, der westlichen Welt verwenden, und daraus ein kluges zielstrebiges Stück bauen. Ein Werk der hohen, der echten Kunst entsteht damit nicht, weil der letzte Ernst persönlicher Verantwortung, persönlichen Einsatzes fehlt, dieser Ernst, der allein einem Werk den Siegel des Unabdinglichen, des Absoluten aufdrückf „Hier stehe ich und kann nicht anders, dies muß ich bezeugen“ ... Alle Geschicklichkeit artistischen Könnens kann deshalb dem Werk Simonows nicht diesen Stempel des gültigen Zeugnisses aufdrücken — er fehlt ihm ebenso wie den vom russischen Autor mit Recht angeprangerten westlichen Reportagen aus der Welt des Ostens, welche den leidschweren Weg eines großen und tapferen Yolks als Fahrrinne ihrer Witzeleien, ihrer boshaften Bemerkungen und Persiflagen journalistisch, literarisch, politisdi „benützen“ wollen.

So erhebt sich vor der „russisdien Frage" die Frage der Kunst: Dichter, kannst du für die Welt der anderen Zeugnis geben? Bericht zu erstatten über die Welt der anderen — jawohl — dies ist die Aufgabe des Reporters, des Journalisten, der immer und allezeit Gesandter, Abgesandter einer Macht ist, und in diesem Sinne darf Simonows Werk als eine gelungene Reportage angesehen werden. Werk der Kunst ist sie nicht: denn der wahre Künstler ist Gesandter keiner politischen Macht, keiner Partei, keiner Richtung, obwohl er über alle diese Potenzen zur Zeugenschaft, zur Rechenschaft eingefordert wird von Dem, den er in seinen Werken bekennt oder verkennt und dessen Gesandter er allein genannt werden darf, weil er, u n t r ü g- lich erkennbarvonlhm gezeichnet ist — mag er nun Sein Antlitz in verhüllenden Bildern oder in offenbarenden Zeichen gerufen — berufen deuten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung