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Das Fest des Geistes

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Die Skepsis an unserer von globalen Kriegen, sozialen Revolutionen und kulturellen Dauerkrisen e :schütterten Zivilisation ist unaufhaltsam im Wadisen begriffen. Das anfängliche Mißbehagen wich einem Gefühl fundamentaler Bedrohtheit, ja einer Daseinsangst, die in literarischen und politischen Verzweiflungsakten ihren Ausbruch findet. Existentialistischer Lebensekel und surrealistischer Nonsens im Westen und totale diamaterialistische Diktatur im Osten sind nur die beiden Seiten derselben Münze. Bertrand Russells freidenkerisches Gewitzel (uns jüngst in Laskis „Monat“ vorgesetzt) unterscheidet sich nicht wesentlich von volksdemokratischen P'aukkursen, in denen nach wie vor Religion als Opium für das Volk verschrien wird, Andre Gide ist nicht frömmer aus Moskau zurückgekehrt; das unverbindliche Spiel seiner ästhetischen Intelligenz fand bis zum unbekehrten Ende kein fixierendes Objekt, das ihr Rang und Ziel verliehen hätte. Die Fronten werden nicht einfach durch die politischen Hemisphären und die Fronten diesseits und jenseits des Vorhangs gebildet. Was also ist der tiefere Grund unseres Mißbehagens, wo liegt die Fehlerquelle, die uns das Leben vergiftet? Wie müßte Remedur geschaffen werden, wenn der Mensch seines Daseins noch froh werden soll?

Daß es ums Ganze geht, ist oft gesagt worden. Die technischen Apparaturen, die unser menschlicher Intellekt nach jahr-hunderttausendlanger Vorbereitung geschaffen hat, genügen nachgerade, um dem Planeten nach etlichen weiteren und nicht einmal so grundsätzlichen Fortschritten den Garaus zu machen oder zumindest um die Rasse des homo sapiens auf die zivilisatorische Ebene von Troglodyten zurückzuversetzen. Die physische Existenz der Menschheit ist gefragt, und man begreift langsam, daß sie nicht von den technischen Errungenschaften — denn diese haben sich als Bumerangs erwiesen! — noch von einer Rüdckurbelung des geschichtlichen Vorganges, zu einer mythischen puren Natur im Sinne Rousseaus abhängig gemacht werden kann. Das Fortbestehen der menschlichen Familie ist eine Frage der Glaubensentscheidung, des Lebensgeselzes und seiner gewissenhaften Verfolgung geworden; von objektiv richtigen Urteilen, nicht nur von subjektiv aufrichtiger Gesinnung hängen Sein und Nichtsein der Zivilisation ab. Ob der Acker noch weiterhin bebaut wird, ob Kinder erzeugt und Städte errichtet werden sollen, ob sich das Humane vom animalischen Gesetz des Kampfes ums Dasein abheben wird.

Der Menschheit fehlt das Gemeinsame, seitdem die Zeitalter der Ideologien ausgebrochen 6ind; sind diese doch verabsolutierte Aspekte eines hsilen, ganzen Weltbildes, das nur im Glauben zu fänden und zu fassen wäre. Polare Spannungseinheiten werden zu metaphysischen Gegensätzen aufgebauscht, vereinseitigte Lösungsversuche erhalten den Charakter messianischer Bewegungen, Surrogate werden als unfehlbare Glücks- und Heilsmittel zwangsweise aufgedrängt. Individualistische Wirtschaftsfreiheit und kollektive Existenzsicherung avancieren au yerfeehtbaren und anfechtbaren Thesen zu geglaubten Religionen, deren Anhänger einer harten, oft grausamen Disziplin unterworfen werden. Wissenschaftliche Hypothesen wurden seit Jahrhunderten in den Rang unfehlbarer Dogmen erhoben. Intoleranz ist zur Lebensform, ja zur ethischen Grundforderung geworden, die militanten Auseinandersetzungen haben den pathetischen Charakter von Religionskriegen angenommen, die als Weltbürgerkriege überdies noch mit besonderer Verbitterung und Unvornehmheit geführt werden. Der Schwund~des Glaubens hat die Bluts- und Landesgötter auf den Plan gerufen, und niemand darf sich wundern, wenn sie, deren Name Legion ist, jeder das letzte Wort behalten und die letzte Schlacht für 6ich schlagen wollen. Domestizierung wild gewordener Ideologien durch Entlarvung ihrer pseudoreligiösen Natur wird der erste Akt unserer Lebensrettung sein.

Das zweite Notwendige ist ein Verbot des weltanschaulichen und ethischen Relativismus für alle redlich Denkenden. Man unterfange sich nicht, den eben zitierten bürgerlichen Teufel mit der generallinien-förmigen Zwangsjacke eines diktatorischen Beelzebub zu heilen. Aber man entblöde sich auch nicht, aus Furcht vor totalitärem Denkzwang, das christliche Dogma als faschistischen Zwillingsbruder der moskowitischen Inquisition zu erklären. Skepsis ist sogar gegen Pseudoglau-ben im Nachteil. Nur Märtyrer überdauern moralisch das totale System, nur Konfes-soren werden den guten Kampf ohne eine fünfte Kolonne des Bösen in ihrer Brust führen, die Sanftmütigen werden nach den Worten der Bergpredigt .das Land besitzen“, weil sie geglaubt und gehofft haben. Positivisten und Logizisten werden nicht zur wirksamen Resistance gehören. Christ und Antichrist sind wie ja und nein und können kein politisches Kompromiß schließen. Der Relativist aber wird seine Weltanschauung rechtzeitig beim Wort, das heißt relativistisch nehmen und sich als verlorener Sohn dem diktatorischen Vater reuig in die eisernen Arme werfen.

Zum dritten: man wird zur wahren Natur des Menschen zurückkehren müssen, die uns, glücklicherweise, allen gemeinsam ist. Nur nach oben hin treffen unsere Wege zusammen, wo man das Urbild des Ebenbildes finden kann, die Gottheit, die ihr „sehr gut“ zur Schöpfung auf die Natur des Menschen bezog. Humanität wird zur inhaltslosen Phrase, zum unwirksamen, weil ungeklärten Begriff, wenn man nicht weiß, was der Mensch, nach dem schon der Psalmist fragt, ist. Menschlich sein und handeln kann nicht aus Empirie gewonnen werden, die kennt nicht den „Menschenmenschen“, sondern bestenfalls Bruchstücke und Nährungswerte. Auch das „Rationale Tier“ tut's da nicht, sondern allein die konkrete Definition des Menschen auf Erden im Angesichte Jesu Christi. Auf ihn ist alles hin geschaffen, was Mensch ist, und erhält von ihm aus sein Maß. Jeder andere Humanismus wird schließlich bei der Austilgung „lebensunwerten“ Lebens, bei Euthanasie und Kinderabtreibung enden und zugunsten einer einzig göttlichen Herrenrasse alle weiteren durch die Krematorien ihrer Vertilgungslager wandern lassen. Christus, der Gott aller Menschen, wird uns davor bewahren, um des „wahren“ Menschen, willen den empirischen Menschen zu liquidieren, um der Apotheose einer gewissen Rasse oder Sozialschichte willen, den größten Teil der Menschheit als untermenschlich der Versklavung oder als diabolisch, das heißt als metaphysischen Gegenspieler, einer neu konstruierten Hölle zu überantworten. Viertens: man wird der Menschheit statt des chiliastisehen wieder ein eschatologisches Ziel geben müssen. Solange das Reich Gottes — das sich dabei unwillkürlich in ein Weltimperium des Menschen verkehren wird — ausschließlich in militärischen Manifestationen und sozialer Gerechtigkeit gesucht werden wird, werden Anarchie und Zwangsglücksstaat einander abwechseln, nihilistische und utopische Revolutionen einander auf dem Fuße folgen. Gottes Reich wird von der plötzlichen Gnade gebracht und nicht vom Willen des Mannes, seine Formel ist das anstoßerregende Bild des Gekreuzigten, der den Glauben ermöglicht und damit die Freiheit garantiert. Wo hingegen der politische Pomp des Teufels und die theatralischen Wunder seiner Regie sichtbar werden (wozu gehört, daß aus Steinen Brot verwandelt werden soll), funktioniert nur mehr die Marionette, deren einzige Tugend ihr entselbstender Puppengehorsam ist Wer den Himmel nicht aus den Händen der Gnade erwarten will, wird auf dieser Erde vorzeitig seinen Peiniger finden, der des Glaubens nicht bedarf, weil

er physisch, ja — wie erniedrigend! — psychisch zu zwingen versteht.

Und endlich: Freiheit ist nicht das selbstverständliche Produkt von Geistigkeit; die baut auch Massenvernichtungsmaschinen aus den überzüchteten Gehirnen von Atomphysikern. Es bedarf eines Geistes, der nicht dem Gesetz der Korruption und der Prostitution mit den Mächten der Finsternis unterworfen ist, Um der Freiheit willen bedarf es des Geistes, der allein die Liebe ist, des pfingstlichen.

Er formte am Morgen der Schöpfung eine chaotische Urwelt zum Kosmos und „schmückte die Himmel“. Er hält den Leib einer neuen, aus Wasser und Geist geborenen Menschheit zusammen. Ihm wird auch das letzte Liebeswerk noch gelingen — das Stöhnen der versklavten Kreatur zu erlösen zur Freiheit der Söhne Gottes.

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