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Von der Freiheit und ihrem Zeugnis

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Je mehr der Mensch in seinem tiefsten Wesen durch die überhandnehmenden Mächte der Zerstörung bedroht wird, um so intensiver besinnt sich eine geistige Elite auf die Wurzeln des mensdilichen Seins. Wir zählen zu dieser geistigen Elite nicht etwa ausschließlich Intellektuelle, sondern mit Fritz Klatt („Vom Geiste“, Amandus-Edition, Wien) alle Menschen, ob Studenten, Theologen, Juristen, Lehrer, Künstler, Schriftsteller oder Menschen, „die im werktätigen und im alltäglichen Leben“ stehen, die „unmittelbar der lebendigen Schicht“ zugehören. „Es sind immer die Menschen, die sich einfach und selbstverständlich dem Unrecht, das geschieht, entgegenstellen, die helfend zugreifen, wo hundert andere die Augen verschließen und vorbeigehen, die das rechte Wort des Rates und des Trostes finden, ohne damit großzutun ... Daß si geistig lebendig geblieben sind, strahlt in all diesen hundert alltäglichen Gelegenheiten durch sie hindurch und wirkt auf diejenigen weiter, die'im Augenblick davon bestrahlt oder angerührt werden.“ (Klatt.) E$ ist jene Handvoll freier Menschen, di Georges Bernanos in seiner Genfer Rede „Welt ohne Freiheit“ anruft, die bereit sind, ein Beispiel zu geben und Zeugen zu sein für die Wirklichkeit einer geistigen Welt, die sich der Tendenz unseres Zeitalters zur allgemeinen Vermassung, zur Verwandlung ehemals gegliederter Völker in eine gestalt- und antlitzlos Masse, voll von Gottvertrauen und mutig entgegenstellen.

Seit die neuere Philosophie (N. Hartmann, M. Scheler, K. Jaspers, M. Heidegger) und die Naturwissenschaft (Planck, Heisenberg) das geistige Sein des Menschen gegenüber seiner Mißdeutung als einer Summe mechanischer Bewegungen oder eines biologlsdien Reflexes wieder in den Blickpunkt bekommen haben, seit man wieder anerkennt, daß der Mensch ein Leib -Geist- Wesen ist, dessen Wesensbestandteile mit arteigenen Begriffen erfaßt werden müssen, ist auch die Frage nach dem Wesen, der Möglichkeit und dem Sinn der Freiheit wieder ins Bewußtsein getreten. Denn Vernunft und Freiheit sind die wesentlichen Bestimmungsstücke des mcnsdilid-.cn Geistes. Die Besinnung ist noch tiefer vorgedrungen und hat es heute zur Gewißheit erhoben, daß Vernunft und Freiheit nur von geistigen Personen getragen werden können. Mit der Geistigkeit und Personalität ist aber die Einzigartigkeit, die Unwiederholbarkeit jedes Menschen gegeben, und sdion arbeiten Philosophie und Biologie (J. v. Üxküll) wieder an der -Lehre von der Unsterblichkeit des Menschen] Die Freiheit aber ist in diesem geistigen Gefüge wieder erkannt als Freiheit der sittlichen Wahl für oder gegen eine von einem hödisten Gesetzgeber erlassene sittlidie Ordnung, für oder gegen das im Gewissen klar sich offenbarende Bewußtsein vom sittlichen Wert oder Unwert eines Seienden. Unter dem furchtbaren Eindruck des völligen Niederhalens einer sittlichen und materiellen Weltordnung erwadn im Zusammenhing mit der Wiederentdeckung der Freiheit das Gefühl der Verantwortung für den moralischen Zustand der Welt und des Menschen.

Wir gewinnen wieder ein Gefühl für die Zusammenhänge zwischen dieser sittlichen Freiheit des Menschen — seiner Verantwortung vor Gott — und seiner in den Menschenrechten grundselegten mensdilichen. religiösen und politischen Freiheiten, und wir entdecken, „daß die Menschheit nach und nach freiwillig und förmlich unerbittlich ihren ererbten Anteil an Freiheit einschränkt ... Sie' opfert ihre Freiheit der Furdit vor sich selbst. Der Durchschnitts-mensdi verlangt im Grunde genommen nur einen Vorwand, um auf Freiheiten zu verzichten, deren Risiko er nicht mehr tragen will“. (Bernanos.)

Schonungslos deckt Bernanos in seiner Genfer Rede (Amandus-Edition, Wien) die tieferen Gründe für die Unfreiheit des modernen Menschen auf, für sein Ausgeliefertsein an versklavende Mächte, die „diese Abdankung der Durchschnittsmenschheit“ begünstigen und den durch Verzicht auf die Freiheit entstandenen Hohlraum mit ihrem furchtbaren und unerträglichen Leben ausfüllen: An den sich rücksiiitslos über die Rechte des Menschen hinwegsetzenden totalen Staat, an die seelenlos Technik, an die von allen niedrigen Leidenschaften gepeitschte und von Betrügern verführte und immer mehr entseelte Masse. Es ist die Vision einer „Zivili-, sation von Händen“, in der der Mensch nur mehr Hand, nicht mehr Kopf und nicht mehr Herz, nur mehr Zahnrädchen in einem riesigen Stäatsmechanismus wird, die Vision einer „Zivilisation von Termiten, erbaut durch Termitenhände“, die Bernanos in schreckhaften Bildern vor uns entwirft. Die Ursachen: „Europa löst sich auf und die Systeme, die man uns anpreist, sind Systeme der Auflösung ... Europa hat sich nach und nach wie unbewußt entchristianisiert ... Das christliche Europa hat sich seines Christentums entledigt, wie ein Mensch sich der Vitamine entledigt.“ Leugnung der Kirche, Leugnung der Gottheit Jesu Christi, Leugnung Gottes, Leugnung des Menschen, Leugnung seines wesenhaften Unterschiedes von der Materie und vom Bloß-Lebendigen, vom Tier, damit aber Leugnung seiner Einzigartigkeit, seines Personenseins, seiner Vernünftigkeit, Freiheit, Verantwortlichkeit, seiner Unsterblichkeit — was bleibt? Ein Stück belebte Materie! Dieser Weg hat heute ein Ende gefunden in der Heraufkunft des „totalitären Tieres“, dieses Endprodukts einer entarteten Zivilisation, die ihrerseits nichts anderes offenbart als eine „verfehlte Christenheit, eine regelwidrige Christenheit“. Bernanos verweist mit letztem Ernst auf das warnende Beispiel, das Deutschland uns gegeben hat. Kein anderes Volk hat wie das deutsche „jeder Nation wie in einem riesenhaften Spiegel das Bild dessen gezeigt“, was wir, vielleicht unbewußt, sind, dessen, was wir vielleicht morgen sein werden.

So lautet das Ergebnis einer Diagnose des Krankheitszustandes Earopas und der Welt: Der Mensch läßt sich nicht mehr in seinem Menschsein halten, wenn er auf seine Geistigkeit, auf seine Freiheit, auf seine Verantwortlichkeit verzichtet. Er kann aber, weil durch und durch von Gott abhängiges Geschöpf, sein Menschseia, sein Personalität, seine Freiheit nur wahren, wenn er diese Freiheit (wia sein ganzes Sein überhaupt) als ein unfaßbar hohes und geheimnisvolles Geschenk des Schöpfers achtet und verehrt und sie richtig gebraucht. Wehe ihm, wenn er auf dieses Geschenk verzichten wollte. Er muß es, so oder so, gebrauchen. Der autonome Mensch ist heute entlarvt, er kann nicht mehr existieren und die Zeit ist wahrscheinlich nicht mehr ferne, da nur der gottverbundene, der mit dem wahren Gott verbundene Mensch, auch ein freier Mensch wird sein können.

In dieses Thema führt Gabriel Marcels geistvolle Rede „Über den Unglauben“ (Amandus-Edition, Wien) ein. Er entdeckt auf dem tiefsten Grunde des menschlichen Geistes das im Unglauben enthaltene leidenschaftliche Element des geheimen Widerstandes gegen Gott. Der Unglaube möchte sich gerne^als eine objektiv-wissenschaftliche Haltung geben. Das ist aber eine hinterlistige Täuschung, der er selber verfällt. Im Grunde genommen ist er „eine Weigerung, die übrigens fähig ist, sehr verschiedene Formen anzunehmen“. In den meisten Fällen nimmt sie, begünstigt, ermutigt, ja beinahe gezwungen durch die versklavenden Mächte des modernen Lebens „die Form der Unaufmerksamkeit“ an. Aber auf aller ungläubigen Seelen Grund lauert das „Ich will nicht glauben“ — und damit eine freie Entscheidung gegen Gott. Vor dieser Entscheidung aber, vor der vollen Verwirklichung dieser Entscheidung flieht der moderne Mensch, gequält von der Angst vor Gott, vor sich selbst, vor den im gott- und seelenlos gewordenen Inneren tobenden Mächten des bö-en Feindes und vor dem hilflosen Preisgegebensein an die Übel dieser Welt. Darum versucht er, auf seine Freiheit aus Furcht vor der Freiheit zu verzichten — gebn-.uchtt er sie mit letztem Ernst, so müßte er sich Gott stellen — und in eine allgemeine Sklaverei zu fluch-' ten, in die Sklaverei des Untertauchens in einer entpersönlichten, antlitzlosen Masse. Wenn die Menschheit den wahren Gott nicht anbetet, wird sie, den „Götzen eines Universums ohne Gott“ anbeten müssen, „das bald ein Universum ohne den Menschen sein wird“, dargestellt im totalen Staat, dem „Staat-Gott“, und ihm dienen müssen bis zur Selbstvernichtung (Berna-nos).

Gabriel Marcel zeigt die wahre Bedeutung der Freiheit. Sie ist berufen, Z e u g-n i s abzulegen im Dienste des wahren Gottes, denn der Glaube ist „ein dauerndes Attest“. „Mit der Bestätigung binde ich mich selbst, aber in aller Freiheit,da ein unter Zwang ausgestelltes Attest wertlos wäre... Es gibt keinen wesentlicheren menschlichen Akt als diesen.“ Und da sich der Wert des Zeugnisses immer klarer dort entwickelt, wo es „sich auf unsichtbare Realitäten bezieht“, eben auf die Welt und Wirklichkeit Gottes, so erfüllt „die Seele, die bezeugt und verherrlich t“, die in ihrem Leben Zeugnis ablegt für die Wahrheit und Echtheit ihres Glaubens und die ihren Lebenssinn in einem Verherrlichen Gottes erblickt, die wahre Aufgabe des Menschen. Sie allein ist wahr haft berufen, auch für die Freiheit Zeugnis abzulegen.

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