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Dasein im Zwielicht des Glaubens

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Die Kirche leitet in ihrer Liturgie die Advent- und Weihnachtszeit mit einem Schriftwort ein, da zu tiefem Nachdenken anzuregen vermag. In der Lesung zum ersten Adventsonntag ruft sie uns zu: „Brüder, die Stunde ist da, nunmehr aus dem Schlafe aufzustehen ... Die Nacht geht zu Ende, der Tag hat sich genaht.“ Eine ausgeprägte Weltanschauung spricht aus diesem Zuruf, der dem 13. Kapitel des Römerbriefes entnommen ist. Eine Philosophie und Theologie der menschlichen Geschichte in einem einzigen Satz! Die christliche Deutung des irdischen Daseins und damit die einzig richtige Deutung! Denn keine andere vermag den denkenden Geist zu befriedigen. Ein Übergang ist das menschliche Dasein hier auf Erden, ein Übergang von der Nacht zum Tag, ein Harren in Dämmerung, ein Dasein im Zwielicht. Weder absolutes Dunkel umfängt unsere irdische Existenz, noch strahlt ihr ein voll entfaltetes Licht. Vielmehr steht sie in einem eigenartigen Gemisch von Licht und Finsternis. Diese Situation gehört zum Wesen menschlichen Daseins, darin liegt sein Unbefriedigendes, seine innere Spannung, seine Pein, aber auch seine Hoffnung. Das Medium, wodurch unser Dasein vom Zwielicht betroffen wird, ist der christliche Glaube.

In Zeiten großer Nöte und gewaltiger Katastrophen, wie wir sie durchleben, offenbart sich der Charakter unseres Daseins deutlicher als in ruhigen, gemächlichen Zeiten. Die Versuchung drängt sich auf, nur das Dunkel gelten zu lassen. Andererseits wehrt sich im Menschen etwas gegen Finsternis und Ausweglosigkeit. Er bemüht sich, das Dunkel als etwas Augenblickliches, nur Zeitbedingtes hinzustellen, es zu verharmlosen und mit allen Mitteln die Umgebung glauben zu machen, das diesseitige Leben sei trotz allem in eitel Licht getaucht. Aber der Zwielichtcharakter des Lebens bleibt bestehen, er läßt sich nicht wegleugnen und auch nicht beheben. Der Christ weiß dies. Er hat es immer gewußt, auch in den Zeiten der Prosperität, da man ihn wegen seiner gläubigen Weltanschauung verlachte, da man wähnte, die Religion durch Zivilisation, den Glauben durch die Naturwissenschaften ersetzen und das Dunkel des Daseins durch den Fortschritt in der Technik mit der Zeit endgültig beseitigen zu können.

Der Erlöser ist gekommen. Seitdem „leuchtet das Licht in der Finsternis.“ (Joh. 1, 5.) Immer wieder wird vom Glauben her das Dunkel des Daseins so weit aufgehellt, .daß ein Straucheln oder Abstürzen oder Liegenbleiben vermeidbar ist. Der Christ weiß um Tatsachen,' ?i denen er sich wirklich innerlich aufrichten kann. Vor allem zeigt ihm der Glaube ein ermutigendes Gottesbild. Gott erscheint in der christlichen Offenbarung zwar als der geheimnisvolle — er wohnt „im unzugänglichen Lichte“, heißt es von ihm —, aber niemals als der unheimliche. Hätte Christus der Welt keine andere Botschaft verkündet als diese, daß der absolut überlegene, alles beherrschende Gott durch und durch gut und wohlwollend und vertrauenswürdig sei, dies allein schon hätte ihn zum größten aller Religionsstifter machen müssen. Denn so sicher und geradewegs und uneingeschränkt hat noch keiner gelehrt, daß Gottes Macht und Herrschaft lauter Güte und Wohlwollen und Hilfsbereitschaft sei. Immer bleibt der heidnischen Gottesauffassung ein Rest von Unsicherheit, ein Stück Unberechenbarkeit, ein leiser Verdacht von Heimtücke, eine quälende Angst Vor Un-heimlichkeit, nicht zu reden vom sogenannten „Gottglauben“ der Neuheiden, die das Unheimliche und Bedrohliche schlechthin als letzten Weltengrund bezeichnen. Der Heide weiß nicht, wie er mit seinem Gott daran ist, der Christ weiß es und fühlt sich in diesem Glaubenswissen sicher geborgen mitten im Dunkel des irdischen Daseins. Er weiß aber noch mehr: um den Erlöser von letzten Übeln, vor allem von der Sünde und ihrer Macht über den Menschen, um ein neues höheres Leben in seiner Seele, um eine neue höhere Würde seiner Person, um einen letzten befriedigenden Sinn seines Lebens, um einen geistigen Halt an seiner Kirche, um wesentliche Klarheit in den Dingen, die das Jenseits betreffen. Er wandelt im Lichte des Glaubens.

Freilich strahlt dieses Licht noch nicht in voller möglicher Helligkeit in sein Dasein hinein. Immer ist es abgetönt, leuchtet noch nicht in seiner vollen Stärke. Noch ist die Rede vom „Stückwerk“ unseres Glaubens, noch heißt es: „Euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.“ Immer bleibt ein letzter Vorhang gespannt, ein Schleier gebre'.tet. Wie eine in weiter Ferne undeutlich sichtbare Stadt mit unsicheren Kontaren, wie eine ferne Uferlandschaft im bläulichen Nebeldunst, wirklich zwar, aber doch nicht deutlich erkennbar, so nehmen sich die Wirklichkeiten aus, welche die Offenbarung uns zeigt. Nicht das Auge nimmt wahr. Nur der Glaube vermag, mehr ahnend als sehend, zu schauen. Und doch möchte' der Mensch schauen, fühlen, erleben, greifen, spüren, berühren, prüfen, aber statt dessen wird ihm gesagt: „Noli me tangere! Noch ist die Zeit dazu noch nicht gekommen!“ In diesem Gehaltensein liegt das Dunkel des Glaubens, das Schwere, das Peinliche, die Last des Zwielichts. Es wird uns gesagt: „Ihr seid alle Kinder des Lichtes, Kinder des Tages. Wir gehören ja nicht der Nacht und nicht der Finsternis an“ (wie es im ersten Brief an die Thessaloniker heißt). „Laßt uns ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffenrüstung des Lichtes. Wie am Tag laßt uns wandeln!“' ruft der Apostel in seinem Römerbrief. Aber der Tag ist noch nicht in seiner vollen Helle heraufgezogen. Er dämmert erst allmählich herauf. Dieses Zwischenstadium voll der Spannung und Erwartung, diese Forderung rein auf Hoffnung hin, das ist unser Leben, das die Auigabe des Christen. Der tfnglaabe vermag das Zwielicht 'des Daseins nicht zu ertragen. Es gebricht ihm h!?zu am. nötigen Mut und an der notwendigen Geduld. Darum sucht er sich die Lage zu erleichtlru. Er löst das Zwielicht in seine beiden Elemente auf und bekennt sich zum einen oder zum anderen allein, entweder zum Dunkel des Pessimismus oder zu einem krampfhaften Glauben an das volle Licht des Diesseits. Die Erfahrung weist auf, daß viele die eines Ha'tes im religiösen Glauben entbehren, aus dem Dunkel des weltanschaulichen Pessimismus nicht herauszukommen vermögen. Sie erliegen einer geheimen inneren Verzweiflung am Leben. Nicht wenige ziehen daraus die praktischen Konsequenzen und machen ihrem Leben ein gewaltsames Ende. Der Apostel Paulus zeichnet in klassischer Kürze die geistige Situation, in der sie leben: „Ohne Gott, ohne Christus, ohne Hoffnung in dieser Welt.“ Das Leben erscheint ihnen wertlos, sinnlos, aussichtslos, als ein Ding, das verdient, weggeworfen zu werden. Nur durch äußere Rücksidnnahmen wer Jen viele davon abgehalten, das auszuführen, was sie eigentlich für das Richtige halten.

Die menschliche Natur wehrt sich gegen eine derartig negative Lebensbilanz. Daher das Bemühen der meisten, dem diesseitigen Dasein als solchem einen letzten befriedigenden Wert abzugewinnen. Sie stellen es unter ein künstliches Licht. Sie bestrahlen es je nach Zweckmäßigkeit mit einer wechselnden Rampenbeleuchtung. Raffinierte Lebens-, technik soll retten, erlösen, hinweghelfen, trösten oder wenigstens nicht iu tieferem Nachdenken kommen lassen. Dies Eindruck drängt sich einem unwillkürlich auf, wenn man die Plakattafeln betrachtet oder einen Blick tut in das Schrifttum, das vom Unglauben diktiert wird: Vergnügen, Genuß, Abwechslung, Gelegenheit, sich für Stunden zu unterhalten. Darauf zielt das meiste ab, was da geboten wird. Selten etwas Ernsteres, Tieferes. Das zieht nicht. Das würde als langweilig empfunden werden. Man möchte meinen, das Leben sei eine einzige Kirmes. Relative Werte sollen die Sehnsucht nach dem Absoluten ersetzen! Ungläubige, die mit dem Lichte des Diesseits allein auskommen und so das- Leben meistern wollen, kommen mir vor wie Menschen, die tief in Schulden stecken und sich krampfhaft bemühen, sie dadurch zu begleichen, daß sie anderswo wieder neue Schulden machen. Ihre Lage ist aussichtslos, ihr Bemühen vergeblich. Menschen dauernd in künstlichem Licht! Wie oft wird es nicht plötzlich abgesdialtet, ohne daß sie es hindern können! Menschen mit Hoffnungen, aber ohne Hoffnung! Die kurzen Perioden zwischen einer neuen Verheißung und einer neu einsetzenden Enttäuschung, das sind die Zeiten ihrer Hoffnungen. Sie gleichen Menschen, die sich auf Eisschollen den Strom hinabtreiben lassen und sich vor dem Versinken immer nur zu retten vermögen, indem sie von einer Scholle auf die andere springen. Ein rettendes Ufer, einen wirkliche letzten Halt gibt es in ihrem Leben nicht. Es fehlt die Hoffnung, die auf dem religiösen Glau'uen aufbauen wurde.

Zwielicht gibt es am Abend und am Morgen. Das Zwielicht des Glaubens ist eki morgendliches Zwielicht. Nicht dam Dunkel einer einbrechenden ewigen Nacht, geht es entgegen, sondern dem anbrechenden ewigen Tag! „Der Tag hat sich genaht!“ „Der große Mittag“, von dem Nietzsche geträumt, wird kommen, aber nur religiös gläubige Menschen haben das Recht, sich darauf zu freuen. Die Wirklichkeiten, die im Zwielichte des Glaubens ferne sichtbar werden, sind keine enttäuschende Fata morgana.

Das menschliche Dasein im Zwielichte des Glaubens zu sehen und zu schildern, ist nicht nur ein Belieben und Meinen eines Theologen, eines Priesters, eines religiösen Menschen. Es geht hier um die geistige Grundlage des ganzen Volkes, der ganzen Menschheit. Die menschliche Situation ist etwas einmalig Vorgegebenes. Man kann sie nur hinnehmen, so wie sie ist und die nötigen Konsequenzen daraus ziehen, oder verkennen und daran scheitern.

Weihnacht ist das Fest des Lichtes, aber so ganz nur für den religiös gläubigen Menschen. Für ihn hat die Weltfinsternis ihren Tiefpunkt überwunden. Seine Tage werden länger, heller, je lebendiger der Glaube sich m ihm entfaltet. Jener ist erschienen, der allein sprechen durfte: „Ich bin das Licht der Welt!“

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