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Der „Teufel“ auf dem Tonband

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Der Schock des Exorzismus von Klingenberg in der Bundesrepublik sitzt vielen tief in den Knochen, und es ist keine Sensationslust, wenn sich Presse und Fernsehen des Falles annehmen. Die Kirche hat Schaden genommen. Die einen fragen sich voll Empörung, wie das in einer christlichen Kirche möglich sein kann. Die anderen, unter ihnen viele praktizierende Katholiken, sind peinlich berührt: da stellen die Exorzisten und ihre Berater eine „Diagnose“ mit einer Unbekümmertheit, über die man nur staunen kann; da wird eine Erlaubnis erteilt, ohne zu wissen, was und wozu etwas erlaubt werden soll, ohne die Auflage, einen Arzt beizuziehen, obwohl es im betreffenden Kanon des kirchlichen Gesetzbuches (1151) heißt, die Erlaubnis müsse „besonders“ und „ausdrücklich“ sein, also gut und reiflich überlegt. Da wird der Teufel vernommen und auf ein Tonband aufgenommen. Der Triumph der Exorzisten ist vollkommen. Andere fragen, ob solche Peinlichkeiten überhaupt vermeidbar seien, solange die Kirche an Lehren festhalte, die der heutigen Welt nicht mehr zumutbar seien. Was muß denn geschehen, damit die römische Kirche endlich die Reste eines veralteten Weltbildes aufgibt? Soll dieser Wahnwitz noch grausigere Blüten treiben?

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Der Schock des Exorzismus von Klingenberg in der Bundesrepublik sitzt vielen tief in den Knochen, und es ist keine Sensationslust, wenn sich Presse und Fernsehen des Falles annehmen. Die Kirche hat Schaden genommen. Die einen fragen sich voll Empörung, wie das in einer christlichen Kirche möglich sein kann. Die anderen, unter ihnen viele praktizierende Katholiken, sind peinlich berührt: da stellen die Exorzisten und ihre Berater eine „Diagnose“ mit einer Unbekümmertheit, über die man nur staunen kann; da wird eine Erlaubnis erteilt, ohne zu wissen, was und wozu etwas erlaubt werden soll, ohne die Auflage, einen Arzt beizuziehen, obwohl es im betreffenden Kanon des kirchlichen Gesetzbuches (1151) heißt, die Erlaubnis müsse „besonders“ und „ausdrücklich“ sein, also gut und reiflich überlegt. Da wird der Teufel vernommen und auf ein Tonband aufgenommen. Der Triumph der Exorzisten ist vollkommen. Andere fragen, ob solche Peinlichkeiten überhaupt vermeidbar seien, solange die Kirche an Lehren festhalte, die der heutigen Welt nicht mehr zumutbar seien. Was muß denn geschehen, damit die römische Kirche endlich die Reste eines veralteten Weltbildes aufgibt? Soll dieser Wahnwitz noch grausigere Blüten treiben?

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Die beunruhigte Öffentlichkeit hat ein Recht auf Antwort von seitem der Kirche. Diese muß interessiert sein, eine rechte Antwort zu geben, da ihre Lehre durch die Vorkommnisse in Klingeniberg geradezu entstellt wurde.

Der hier veröffentlichte Beitrag kann keine Antwort der Kirche sein.

Zunächst ist zu sagen: Die Kirche glaubt nicht an den Teufel und die Dämonen im gleichen Sinn wie an Gott. In keinem ihrer Glaubensbekenntnisse drückt die Kirche ihren Glauben an den Teufel oder die Dämonen aus. Sie glaubt an Gott den Vater, sie glaubt an Jesus Christus, sie glaubt an den Heiligen Geist.

Seit der Auseinandersetzung mit Arius bat sie ihren Glauben an Gott den Vater und seinen Sohn Jesus Christus genauer umschrieben. Gegen die Leihre des Arius, der den Logos zum Geschöpf erniedrigte, stellte die Kirche ihr Bekenntnis von Ni-kaia. Sie sagt: „Wir glauben... an den einen Herrn Jesus Christus ... gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.“ Und um diesen Logos noch deutlicher gegenüber allem Geschaffenen abzugrenzen und seine Einzigartigkeit hervorzuheben, wird dem ersten Artikel beigefügt: „Wir glauben an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren.“

Das Konzil knüpft hier an den ersten Sata der Heiligen Schrift an: „Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde“ (Gen 1,1). Es umschreibt Himmel und Erde richtig mit „lunsichtbar“ und „sichtbar“. Gemeint ist nämlich mit „den Himmeln“ nicht die Transzendenz Gottes, sondern jene Transzendenz, zu der der Mensch hinübersteigen muß, die aber doch wie er geschaffen ist und die, ähnlich wie der Himmel die Erde, das Dasein des Menschen umgibt.

Die Weit, in der wir leben, ist nicht so rational durchschaubar, wie es sich das naturwissenschaftliche Denken des 19. Jahrhunderts vorstellte.

Wenn gesagt wird, die Welt der Dämonen und des Teufels gehöre mythischen Vorstellungen an, sei einer Welt zugeordnet, die nicht mehr die unsere ist, so ist das nur bedingt richtig. Nichts hindert uns, anzunehmen, daß das mythologische Reden von bösen Geistern und Teufeln Ausdruck von Grunderfaihrun-gen der Menschheit ist, von Phänomenen, die schon außerhalb des Christentums und vor ihm theologisch durch den Mythos gedeutet wurden. Nichts hindert uns, anzunehmen, daß die im Neuen Testament für diese Erscheinung gebrauchten Namen, wie „Mächte“, „Herrschaften“, „Dämonen“, „Elemente“, „Drache“, „Widersacher“, „Teufel“ und viele andere einer vorchristlichen Sprache entnommen sind, die aber eine Wirklichkeit trifft, die von Jesus Christus her eine neue Dimension gewinnt. Nichts hindert uns, Vorstellungen über Bord zu werfen, die mit der Reinheit des neutestamentlichen Gottesbildes

nicht übereinstimmen. Maßgeblich freilich ist immer und überall die zentrale Botschaft des Neuen Testaments: Gott hat in Jesu Tod und Auferstehung unser Unheil überwunden und uns ins Heil versetzt. Unmaßgeblich ist der Geist der Zeit, das Lebensgefühl von heute, die Zu-mutbankeit.

Von dieser Mitte her fällt zunächst auf, daß das Neue Testament sehr

zurückhaltend von den „Mächten“ spricht — dieser Name sei stellvertretend für alle anderen genommen. Nur an einer einzigen Stelle wird der Dämon gezwungen, seinen Namen zu nennen, und diese Stelle bereitet einige Schwierigkeiten für die Übersetzung (Mk 5, 9). Sonst wird die detaillierte Beschreibung solcher Vorgänge vermieden. Das Neue Testament ist an der Befriedigung menschlicher Neugierde nicht interessiert. Bandaufnahmen von Austreibungen und Beschwörungen li'egen nicht auf der Linie des Neuen Testaments.

Dieses Testament kennt keinen Teufels- oder Dämonenigliauben, Es ist deshalb auch nicht darauf fixiert. Es kennt keine Gespensterfurcht. Das einzige Mal, da die Jünger auf dem See Furcht vor einem „Gespenst“ überkommen will (Mt 14, 26),

wird ihnen das schnell durch das Of-fenbahrungswort „Ich bin“ genommen. Und als sie nach der Auferstehung wähnen, einen Geist zu sehen, wird ihnen das gleiche Wort gesagt (Lk 24, 37 ff.). In der Welt des „Ichbin“ ist kein Platz für Aberglauben und Gespensterfurcht.

In diese Welt paßt aber auch keine Verharmlosung, die die äußere Bedrohung des Menschen auf die innere durch die Sünde reduzieren möchte. Die Abgründe im Menschen, seine innere Bösheit und Sünde sind gewiß schrecklich und bedrohlich, wie wir in unseren guten Stunden erkennen. Das ganze Ausmaß dieser Verlorenheit wird aber erst sichtbar durch die Bedrohung von außen, und zwar nicht einer Bedrohung durch Katastrophen und Unglücksfälle, sondern durch eine widergöttliche Welt: „Der Widersacher schleicht umher wie ein brüllender Lowe, suchend, wen er verschlinge“ (1 Petr 5, 8). Dies also ist die Unheilsituation des Menschen: innen und außen von widergöttlichen Mächten bedroht.

Diese Mächte und Wesen gehören in den Bereich der Himmel (Eph 3, 1), „in denen das Irdische als in seiner Tiedje und Höhe schwebt, von denen es umfangen und angegangen wird, in die hinaus das irdisch-menschliche Dasein sich öffnet, in die hinüber als seine Transzendenz der Mensch aus ,Blut und Fleisch' stets

schreitet, das .Jenseits des Diesseits', das Unsichtbare, aber stets Erfahrbare, das sich in das Unverfügbare verliert.“ (Heinrich Schlier, Mächte und Gewalten im Neuen Testament, Freiburg 1958).

Dieses Böse ist also etwas, das dem Menschen gegenübersteht, etwas von ihm Verschiedenes und in diesem Sinne Fremdes, etwas, das ihn verlassen, aber auch wieder zurückkehren (Dk 11, 26) kann, was bei der inneren Sünde des Menschen nicht der Fall ist. Es ist also etwas anderes als eine mit halbem Herzen vollzogene Umkehr und Buße und ein Rückfall. Der Unterschied wird deutlich an den Fällen der Sündenvergebung und der Dämonenaustreibung im Neuen Testament. Wo es um die Sünde geht, wind gesaigt: „Deine Sünden sind dir nachgelassen“ (Mt 9, 2). Es sind die ureigenen Sünden des

Menschen, aus eigener und persönlicher Verantwortung begangen. Die Sündenvergebung ist ein rein innerer Akt, nach außen hin nicht sichtbar. Nur ein einziges Mal wird sie mit einem Zeichen verbunden, um Jesu Vollmacht zu zeigen (Mk 2). Ganz anders die Dämonenaustrei-bung. Da heißt es: „Schweig still, fahr aus.“ Nicht der Besessene wird angesprochen, nicht seine Verantwortung geweckt, sondern ein Dritter, ein Fremder.

Wie groß der Unterschied ist, zeigt vor allem auch die ganz andere Atmosphäre der Handlung. Dort ein Zeichen göttlicher Huld und Liebe, voller Barmherzigkeit; die Aufnahme ins Kindesverhältnis: „Kind“, „mein Sohn“. Hier der Ausdruck göttlicher Herrschaft und Strafe: „Schweig und verlaß ihn“ (Mk 1, 25).

Es hat hier keinen Sinn mehr, von bildhafter Rede zu sprechen. Es handelt sich um zwei ganz verschiedene Vorgänge. Die verschiedene Rede-und Handlungsweise wäre sinnlos,, wenn „Dämon“, „Mächte“ nur andere mythologische Ausdrücke für das wären, was im Neuen Testament als Sünde bezeichnet wird.

Die im Neuen Testament „Mächte“ genannten Wesen, die dem „Beelzebub“ untergeordnet sind (Mk 3,22), tragen personale Züge. Das beweist weniger die Tatsache, daß sie mit Namen genannt werden — das geschieht auch im gnostischen Mythos —, sondern daß sie gehorchen, und zwar nicht irgendwelchen Manipulationen, sondern dem einfachen Wort. Überzeugender könnte eigentlich nicht dargestellt wenden, daß es sich hier um „Personen“, nicht um „Prinzipien“ handelt.

Diesen ,.Mächten“ jst eines gemeinsam: sie halben eine Beziehung zur Ausübung von Macht. Der „Oberste“ von ihnen heißt „der Starke“ (Mt 12, 20 par). Der Mensch ist ihnen zwar nicht ausgeliefert — er steht unter der ausschließenden Herrschaft Gottes —, aber die Mächte können Wohnung in ihm nehmen, ihn zerstören, ihn sich selbst entfremden (vgl. Mt 17, 14; 8, 28). Diese Ausdrücke durch Begriffe der modernen Medizin ersetzen wollen heißt, das innere Ausmaß mancher Krankheiten verkennen. Gerade die ärztliche Kunst vcn heute zeigt, wie sehr manche Krankheiten über organische und individuelle Verursachung hinaiusreichen, wie hier Kräfte ins Spiel kommen, über die man nicht nur beim heutigen Stand der Wissenschaft nicht Bescheid weiß, sondern bei denen die Medizin überhaupt an eine Grenze gekommen ist.

Umgekehrt spricht nichts vielleicht mehr für die Glaubwürdigikeit des Neuen Testaments als die Tatsache,

daß die Dämonenberichte ins Medizinische hinübergreifen. Zwar läßt sich feststellen, daß auch zwischen reinen Krankenheilungen und Dä-monenaustrahlungen ein Unterschied besteht (vgl. Mk 1, 29 ff. und 5,6 f), aiber viele Formen der Besessenheit gehen kaum erkenntlich ins Medizinische über (vgl. Mt 9, 32; Lk 13, 11). „Der Starke“ greift nicht die- uneinnehmbaren Bastionen des Menschen an, sondern die schwachen Stellen körperlicher und psychischer Art, so daß der Unterschied zwischen dem „medizinischen Fall“ und der Besessenheit, der Überwältigung durch den „Starken“, kaum mehr festgestellt wenden bann. Dies wirft ein ■neues Licht auf die Unbekümmertheit der Diagnose von Klingenberg.

Es geht hier nicht ohne Unterscheidung der Geister, die allein der Glaube an den Auferstandenen schenkt. Von ihm her enthüllt sich idie Wirklichkeit der Welt, die umfassender ist, als es sich „unsere Schulweisheit träumen läßt“. „Wenn der loyale Bürger von Pergaimuim zu seiner Akropolis aufsah, stand für ihn da eben tatsächlich der Tempel des Augustus und der Roma. Aber der Seher schreibt an die Gemeinde von Pergaanum: Ich weiß, wo du wohnst. Dort, wo der Thron des Satans ist“ (Apk 2, 13) (Heinrich Schlier, a. a. O. 27). Dieses „Mehr“ wird deswegen nicht unwirklich, weil es die „Bürger“ nicht sehen, so wenig Fanben unwirklich werden, weil sie von Blinden nicht währgenommen werden.

Die Auferstehung Christi hat der Welt ein neues Maß gegeben; sie hat auch die Dämonen und den Satan entmachtet. Das ist der „Abschied vom Teufel“. Der da glaubte, eine Weile von-Jesus abstehen zu können (Lk 4, 13), um ihn in seiner ärgsten Not zu überwältigen (Lk 22, 3, 31), wurde in eben der Stunde der schlimmsten Schwäche und Enniedri-' gung (Jo 12, 32) durch den erhöhten Herrn besiegt. Von jetzt an gibt es keinen „Ankläger“ mehr, weil alle im Blute des Lammes weißgewaschen sind und das Unheil der Welt in so vollkomenes Heil verwandelt ist, daß es von keiner Träne mehr getrübt werden kann (Offib 7, 17). Noch ist dies alles nicht in letzter Klarheit offenbar, sondern nur in Glaube und Hoffnung greifbar.

Von hier aus muß die Lehre der Kirche verstanden werden. Sie rechnet — wie könnte sie anders? — mit der Macht des „Starken“, die er noch einige Zeit hat. Aber sie hat zunächst zu sagen, daß er grundsätzlich überwunden ist; sie hat die Auferstehung Christi zu verkünden, die von den Mächten der Finsternis nicht mehr bestritten werden kann.

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