Aus Gott Geboren Sein

Werbung
Werbung
Werbung

Dass ein Gott auf Erden erscheint, war den Menschen der Antike keineswegs fremd. Neben außergewöhnlichen Theophanien gehörte die offene und verborgene Präsenz des Göttlichen in der Welt zum selbstverständlichen kulturellen Wissen der damaligen Zeit. In den Mächten der Natur, schrecklich und erhaben zugleich, waren die Worte und Taten der Götter zu vernehmen. Der antike Kosmotheismus hat sich in bisweilen radikalen Transformationen tief in die Geschichte der abendländischen Kulturen eingeprägt. Vom Deus sive natura des jüdischen Philosophen Spinoza, von dem Goethe begeistert war und weshalb er mit einer "übernatürlichen", geschichtlichen Offenbarung Gottes nicht mehr viel anzufangen wusste, bis hin zu dem pantheistisch und naturreligiös geprägten frommen Bewusstsein unserer Tage haben die alten Götter die ihnen zugesprochene Kunst der Verwandlung und Verstellung in beeindruckender Weise unter Beweis gestellt.

Das Alte Testament hat diesem Denken einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Mächte der Natur wurden ihrer göttlichen Bedeutung beraubt. Die Götter dieser Welt wurden als falsche Götter entlarvt. Die Welt wurde entzaubert. Sie wurde die Götter los und im wahrsten Sinne des Wortes weltlich. Die Entzauberung der Welt blieb nicht auf die Erde beschränkt. Auch im Himmel kam es zum Sturz der Götter: "Ich habe gesagt: Ihr seid Götter, ihr alle seid Söhne des Höchsten. Doch nun sollt ihr sterben wie Menschen, sollt stürzen wie einer der Fürsten", heißt es in einem der alttestamentlichen Psalmen (Ps 82,6 f.).

Ein Single-Gott, frei für die Welt

Analog zur Entgötterung der Welt setzte im Alten Testament eine gegenläufige Bewegung ein. In dem Maße, in dem im Himmel Ruhe einkehrte, wurde Gott frei, sich ganz auf die Welt und ihre Bewohner einzulassen. Seine eigentlichen Partner und Gegner waren nun nicht mehr die anderen Götter, sondern Völker und Menschen auf Erden. Der Gott des Alten Testaments ist ein Single-Gott, aber gerade das macht ihn fähig, sich ganz und in verbindlicher Weise auf die Welt einzulassen. Dabei konzentrierte er sich, so erzählt uns die Heilige Schrift, nach einem ersten, universal ausgerichteten Handeln, zunächst auf ein Volk. Nicht, weil er dieses Volk aufgrund seiner vermeintlichen Verdienste nach alter Götterlaune bevorzugte, sondern weil er durch dieses eine, kleine Volk zu allen Völkern der Welt kommen wollte. Zion soll zum Licht der Völker werden. Und zu diesem Licht, so die Verheißung des Propheten, werden die in der Finsternis lebenden Völker aufbrechen: "Nationen wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz"(Jes 60,1-3).

Nach christlichem Verständnis hat sich diese in der Schrift bezeugte Dynamik in einem Menschen, der ein Sohn dieses Volkes war, in einzigartiger Weise erfüllt. Er hat, so bezeugt es das Neue Testament, nicht seine eigenen Ideen verfolgt, um die Welt zu retten, sondern in Wort und Tat ganz aus dem heraus gesprochen und gelebt, den er seinen Vater nannte. Aufgrund des in der Heiligen Schrift bezeugten Glaubens hat sich die Kirche schon bald zu dem Bekenntnis durchgerungen, dass dieser Mensch Gottes eingeborener Sohn sei, "aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen ".

Es gehört zu den eigenartigen Engführungen unserer Zeit, dass zu Weihnachten - sofern dem Fest überhaupt noch ein religiöser Gehalt zuerkannt wird -allein der Geburt Jesu im Stall zu Bethlehem gedacht wird. In gut gemeinten Kindermetten wird dem Fassungsvermögen der Gottesdienstbesucher entsprechend erzählt, Jesus habe heute Geburtstag. In einer anspruchsvolleren Version ist dann einige Stunden später davon die Rede, dass Gott sich radikal auf die Geschichte eingelassen habe und dass somit Zeit und Zeitlichkeit zu konstitutiven Signaturen einer jeden christlichen Gottesrede geworden seien.

All das ist nicht falsch, doch sowohl das Zeugnis der Heiligen Schrift als auch die geistliche Tradition der Kirche setzen breiter an. Sie kennen drei Geburten, derer in den drei heiligen Messen zu Weihnachten gedacht wird: der Geburt vor aller Zeit, der Geburt in der Zeit und der Geburt zu jeder Zeit. Was die Lehrer des geistlichen Lebens vor allem interessierte, war die Geburt zu jeder Zeit.

Wir alle sind geboren in der Zeit, "aus dem Willen des Fleisches und aus dem Willen des Mannes". Der christliche Glaube gibt sich mit dieser natürlichen Geburt nicht zufrieden. Er lädt ein zu einer zweiten Geburt, zu einer Geburt aus Gott. Das Neue Testament bezeugt, dass dies tatsächlich möglich ist: "Allen, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind"(Joh 1,12 f.). Der christliche Glaube erschließt eine neue Existenzweise. Es findet ein Statuswechsel statt. Aus dem Geschaffen-Sein wird ein Geboren-Sein. Das ist nicht leicht zu verstehen. In einem nächtlichen Gespräch mit Nikodemus, einem Pharisäer, einem führenden Mann unter den Juden, unternimmt Jesus mehrere Anläufe, dem "Lehrer Israels" dieses Geheimnis zu erschließen. Der Text lässt offen, ob er die Aufforderung Jesu "Ihr müsst von oben geboren werden!" (Joh 3,7) wirklich verstanden hat: "Wenn jemand nicht von oben geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht schauen. Nikodemus entgegnete ihm: Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden?"(Joh 3,3 f.). In der Tat: Wie soll das möglich sein?

"In diesem mitternächtlichen Schweigen "

Auf diese Frage geht der Dominikaner Johannes Tauler in einer seiner Weihnachtspredigten detailliert ein. Tauler ist von Meister Eckhart inspiriert und darum bemüht, die anspruchsvolle Lehre des Meisters auf die konkrete Praxis und das Fassungsvermögen seiner Zuhörer herunterzubrechen - ein Pastoraltheologe im besten Sinne des Wortes. Was empfiehlt er seinen Hörern? Er spricht von der inneren Einkehr, vom Leerwerden, von der Stille, von der Nacht und vom Schweigen. "In diesem mitternächtigen Schweigen, in dem alle Dinge in tiefster Stille verharren und vollkommene Ruhe herrscht, da hört man dieses Wort Gottes in Wahrheit. Denn soll Gott sprechen, so musst du schweigen, soll Gott eingehen, so müssen alle Dinge ihm den Platz räumen." Mit dem Sturz der Götter ist der erste Schritt dazu getan. Der Platz ist frei geworden und kann neu besetzt werden. Jetzt bekommt das Wort aus Psalm 82 einen überraschend neuen Sinn: "Ich habe gesagt: Ihr seid Götter." Bereits die rabbinische Tradition hat die Aussage auf Israel bezogen, als es die Tora empfing. Das Neue Testament greift den Gedanken auf und konkretisiert ihn auf die Empfängnis jenes Wortes, von dem der Evangelist Johannes bekennt, dass es Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat.

"Wie soll ich dich empfangen", fragt Paul Gerhard in einem seiner Lieder. Die Geburt Jesu in der Zeit kann daran erinnern und dazu einladen, die Geburt zu jeder Zeit zu einer guten Gewohnheit werden zu lassen, wie Tauler sagt: "Du sollst dieses tiefe Schweigen oft und oft in dir haben und es in dir zu einer Gewohnheit werden lassen, so dass es durch Gewohnheit ein fester Besitz in dir werde; was nämlich einem geübten Menschen wie nichts erscheint, dünkt einen ungeübten ganz unmöglich: denn Gewohnheit erzeugt Geschicklichkeit." Und der Lehrer des geistlichen Lebens schließt mit dem wahrhaft weihnachtlichen Wunsch: "Dass wir nun alle dieser edlen Geburt eine Stätte in uns bereiten, so dass wir wahrhaft geistliche Mütter werden, dazu helfe uns Gott."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung