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Abgestiegen zu der Hölle

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Wo liegt das Paradies? Liegt die bessere, die vollkommenere Welt am Anfang der Menschheit, in den uralten Tagen? Oder liegt das Paradies vor uns, in der Zukunft der Geschichte und Anstrengung? Erinnernde und ahnende Sehnsucht nach dem Glück geistert durch die Hoffnung der Menschen — denn hier und jetzt ist alles eher als Paradies.

Mitten durch die horizontale Zeitgeschichte läuft eine Bewegung, die senkrecht durch jede Stunde geht: der Abstieg Gottes in die Hölle.

„Hölle” ist das Beziehungslose; sie 1st das in sich selbst zurückkreisende Leben ohne hinaus, ohne hinauf, ohne hinunter. Hölle hat keine Dimensionen. Denn sie ist „Das- ohne-Liebe”. Erst wenn Gott das Nicht-Göttliche zu Seinem dreieinigen Leben in Beziehung setzt, schwindet die Hölle: denn „Gott ist die Liebe”.

Der Schöpfer stieg ordnend, lebenspendend in das Tohuwabohu, ins Chaos, in die Hölle — dann sah Er, daß alles gut war. — Als Gott sich Sein Volk auswählend schuf, setzte Er ein ungeeignetes, das „Mädchen Israel” zu Seiner Braut und Gattin ein, wie Ezechiel (Kap. 16) berichtet. Diese Braut wurde ehebrüchig und zur Dirne, die sich mit anderen Göttern verband; aber Gott holte sie Sich zurück: Er ist Erbarmen und Derjenige, der durch Liebe recht behält. — „Zuletzt” sprach Gott Sein eheliches Ja durch Seinen Sohn, den Er als Befreier aus Höllen in diese Welt sandte. Der Christus, eins und innig im himmlischen Vater, kam in die beziehungslose Menschheit, um von Gott aus Bindung zu schaffen zwischen den Menschen und dem Innersten Gottes. „Denn Er, der in Gottes Daseinsweise da war, dachte die Gottgleichheit nicht zum eigenen Nutzen zu gebrauchen, sondern Er entäußerte sich. Indem Er Knechtsgestalt annahm, uns Menschen gleich wurde und sich in Seiner ganzen Erscheinung wie ein Mensch gab, erniedrigte Er sich und ward gehorsam bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuze” (Phil. 2, 6ff.).

„Er kam in Sein Eigentum, aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf” (Jo. 1, 11). Er blieb der Nichtangenommene, der Nichtverstandene, der Ausgenutzte von Kranken und Dämonen, der Alleingelassene, der fast gänzlich Ungeliebte. Der Christus brachte das Angebot des Himmels auf die Erde, aber die Erde wollte nicht; sie wollte Hölle bleiben Da aber in allem Gott Sieger bleibt und durch nichts anderes als durch die Liebe — band der Himmel die Erde an sich durch den Tod des Christus; im Sterben des Gottmenschen starb die Alleinherrschaft und Alleinmacht der Hölle. Wohl blieb und bleibt sie dem, der von sich aus diese Freiheit von Hölle ablehnt: wer in sich selbst und beziehungslos existieren will. Aber die Saat der Freiheit war gesät und geht auf und wird weiterhin aufgehen, durchdringend jeden Augenblick des Zeithorizontes.

„Abgestiegen zu der Hölle” — so beten wir im Glaubensbekenntnis. In der „Zeit” zwischen dem Tode und der Auferstehung des Herrn durchdrang der leiblose Gottessohn die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe des Menschseins und des Weltalls mit Seiner Liebe (Eph. 3, 18): alles gelebte Menschsein und alles in der Zukunft bis zum Jüngsten Tage; alles Geschaffene in den unermeßlichen Räumen und Zeiten der kosmischen Systeme eignete der Gottes- und Menschensohn sich an. Er machte sich zum Herrn und Lebensspender, zum Haupt und alleinen Bezugsleben alles Geschaffenen. Er stieg in die Urgründe und in die Ursachen, indem Er allem Seine Fülle und damit allem und jedem den Zugang zur eigenen Vollendung schuf. Er ist die unbedingte Realität: absolute Einheit .und unendliche Allheit zusammenfassend. Für die Menschheit, schuf Er so die „Kirche”: Die Totalität der Persönlichkeiten in der Reifung zu Gott. Für das Weltall schuf Er die „Schönheit”: Er gab ihr Glanz und Lust, Charme und Freude und Faszination. Das „Heil” der Menschheit verbindet sich mit dem Leben des Weltalls zum Uni-Versum: Alles ist auf Ihn gewendet, der das „All an sich gezogen hat”, als Er am Kreuze erhöht war (Jo. 12, 32). Nach dieser Erhöhung stieg Er ab in die „Hölle”, ins Beziehungslose — um alles zu heilen, zu heiligen und heimzuführen. „Darum hat Ihn Gott auch so hoch erhoben und Ihm den Namen verliehen über alle Namen, daß im Namen Jesu sich jedes Knie beuge: der Himmlischen, der Irdischen und der Unterirdischen, und daß jede Zunge zur Ehre Gottes, des Vaters, bekenne: „Jesus Christus ist der Herr (Phil. 2, 9ff.).” Der am Kreuz erhöhte Herr ist zugleich der zum Throne des Vater erhöhte, verklärte Herr. Diese beiden Erhöhungen, Kreuz und Himmelsthron, sind verbunden durch den Abstieg zu Hölle und Heimholung des Weltalls: hier werden die allumfassende Größe, die Größe der Beziehungen, die Bezugssysteme der göttlichen, einigenden Liebe sichtbar. Christus ist nicht Lebensmittel für die elenden Menschentage. Er ist die Lebens- und Sinnmitte für alles, was existiert, lebt, atmet, sich bewegt: „daß alle eins seien, wie Du, Vater, in Mir und ich in Dir; daß auch sie in Uns eins seien — damit die Welt zum Glauben komme, daß Du mich gesandt hast.

Ich habe die Herrlichkeit, die Du Mir gegeben hast, auch Ihnen gegeben, damit sie eins seien, so wie Wir eins sind: Ich in ihnen und Du in Mir, damit sie vollendet seien in Einheit — damit die Welt erkenne, daß Du Mich gesandt hast und sie geliebt hast, so wie Du Mich geliebt hast. Vater, die Du Mir gegeben hast, von ihnen will Ich, daß, wo Ich bin, auch sie seien, daß sie Meine Herrlichkeit sehen, die Du Mir gegeben hast, weil Du Mich schon vor Anbeginn der Welt geliebt hast,” (Jo. 17, 21ff.l. Darin besteht das neue Leben, die neue, die Christusschöpfung; dies ist unser Lebenssinn und Sinngehalt: Einssein durch Christus mit Gott; die Herrlichkeit Gottes sehen lernen. Mit solchem Entschluß geben wir der ganzen Schöpfung teil an der Freiheit, dem herrlichen Gut der Gotteskinder (Röm. 8, 20 ff.). Christenleben ist keine isolierte Behauptung der „Geretteten”, sondern eine weltumfassende Konstitution: der unaufhörliche Einfluß der göttlichen Liebe.

Um solcher Liebe willen wurde das „gemeinsame Herz von Vater und Sohin” (Solojweff), der Heilige Geist, in die „Hölle” gesandt: der Heilige Geist der Liebe soll sich ins Herz des Universums ergießen, damit die Menschen und das Weltall langsam die universale Liebe der Gottheit lernen; aus Erfahrung sollen allg Geschöpfe des erlösenden Gottes Liebe inne werden. Erfahrung braucht ihre „Zeit”: ihr Auf und Ab, das Mehr und Weniger, das Näher und Ferner eines geschichtlichen, noch unvollendeten Lebens. — Das Werk des Heiligen Geistes setzt das Werk Christi fort, das der Vater dem Christus aufgetragen hatte. Der Abstieg des „toten Gottes” in die Hölle hat das Menschwerden des Gottessohnes ins Kosmische ausgeweitet: Er, der in der Fülle der Zeit eine menschliche Natur angenommen hatte, nahm die kosmische Natur an.

Damit diese wachse und sich vollende, wurde der Heilige Geist in die Welt gesandt; wurde der Christus in den heiligen Zeichen der Sakramente gegenwärtig-anwesend, um im Bewußten und im Unbewußten das Lieben Gottes einträufeln zu lassen: damit lebendiges Leben langsam und in Mühen, in Seufzen und Geburtswehen reife.

Zum letzten Male wird der Christus Gottes am Ende dieser Weltzeit und Weltgestalt herabsteigen: dann wenn das Werk vollendet sein wird. Wie dies sein wird? Was die Reife sein wird? Das weiß Gott allein und will er allein vollenden. Das ist die uns nicht offenbare Seite seines Geheimnisses mit dem menschgewordenen Gott-Sohn was wir bewußt-gläubig wissen, ist wenig — fast nichts; was wir er-leben, ist wenig — fast nichts; was wir sind, ist viel, sehr viel, aber wir begreifen es nicht: „Jetzt sind wir Kinder Gottes. Es ist noch nicht in Erscheinung getreten, was wir sein werden; wir wissen aber, wenn Er in Erscheinung tritt, so werden wir Ihm ähnlich sein; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist” (1. Jo. 3, 2). „Euer Leben ist mit Christus in Gott verborgen” (Col. 3, 3).

Gott stieg in die Hölle: das Umbezogene, das Beziehungslose bezog Er auf sich und in sich selbst hinein. So ist die Liebe, die Gott ist. Die Bewegung Gottes nach unten bewirkt die Bewegung des Geschaffenen nach oben: die Liebe verbindet, einigt, erhöht. Der Gott, der in die Hölle abstieg, durchfährt senkrecht alle Stunden der leidvollen Horizonte unserer Weltgeschichte. Die Welt und ihr Verlauf sind „aufgehoben”: sie sind erhöht; und gelten schon nicht mehr in ihrer zusammenhanglosen Vereinzelung von Sekunden und Dingen; und sind schon jetzt bewahrt und bewährt in den ewigen Scheinen Gottes. „Die Liebe Gottes ist ausgegossen ..

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